Der Adoptianismus des 8. Jahrhunderts – Muslimische Wurzel einer christlichen Glaubensbewegung?

In diesem Essay werde ich insgesamt drei Themen behandeln. Zum einen werde ich Ihnen einen kurzen Einblick geben in die Synode in Frankfurt von 794, die im Grunde zwei Streitpunkte besaß, von denen der erste und am schnellsten abgehandelte der nach dem Adoptianismus war. Was mich in einem zweiten Schritt dazu führen wird, Ihnen eben diesen weiter vorzustellen. In einem letzten Schritt werde ich probieren, Ihnen darzulegen, dass sich diese Art des christlichen Glaubens nur im Spanien des 8. Jahrhunderts entwickeln konnte, weil, wie ich glaube, islamische Spuren hier zu finden sind, etwas das bisher nicht beachtet wurde.

Bevor ich jedoch zum eigentlichen Thema des Essays komme, möchte ich Ihnen eine kurze Geschichte erzählen. An einem Samstag fuhr ich nach Bonn in die Ausstellung „Gerettete Schätze – Die Sammlung des Nationalmuseums in Kabul“ in der Bundeskunst- und Ausstellungshalle. Während ich am Bahnhof wartete, schlenderte ich durch den Bahnhofskiosk und stieß auf ein Magazin, dessen Titelblatt mir „Schwarze Löchern der Geschichte“ versprach. Ich blätterte durch diese Zeitschrift, kaufte sie mir, damit ich mit meinen Kollegen, die mich auf dem Museumstrip begleiteten, während der Fahrt etwas zu lachen hatte. Denn wie Sie sich vorstellen können, waren die Artikel kurz und flach und allesamt ein großer Humbug. Was aber für Fachleute, war ich doch mit einem Althistoriker und einer Kirchenhistorikerin unterwegs, ein großer Spaß sein kann, ist für die interessierten Laien oftmals eine riesige Irreführung, was man anhand der Leserbriefe in dieser Zeitschrift sehen konnte, die zeigten, dass vieles, wenn nicht alles, geglaubt wird.

Was hat das mit diesem Essay zu tun? Eines dieser schwarzen Löcher betraf auch die heute zu behandelnde Zeit. Folgt man nämlich einem Artikel in dieser Zeitschrift, könnten wir uns den heutigen Abend schenken, sollen wir doch einem riesigen Bluff auferlegen sein. Karl den Großen habe es nämlich nie gegeben, weiter noch: fast 300 Jahre unser Geschichte seien eine Erfindung. Die gesamte Karolingische Kultur, Literatur, jedes offizielle Dokument in der Zeit von 600 bis 900 sei eine Fälschung. Belege für diese These sind unter anderem die Unauffindbarkeit von Karls Grab und die fehlenden archäologischen Beweise aus der Zeit. Motiv für die Fälschung sei der Wunsch Ottos III. unbedingt der Herrscher des Jahrtausendwechsels zu sein. Im Bund mit Papst Silvester II., der so Papst des Wechsels wurde, habe er von Mönchen, Klerikern und anderen Gelehrten seiner Zeit Dokumente umschreiben lassen und Unmengen von Fälschungen hergestellt. Die im 16. Jahrhundert schließlich von Gregor XIII. durchgeführte Kalenderreform, habe dem ganzen dann noch die Krone aufgesetzt.

Sie merken bereits an dieser Zusammenfassung, dass es sich dabei um einen großen Blödsinn handelt. Stellen wir zunächst die Frage nach der Motivation. Warum sollte eine Herrscher, der nach dieser Theorie so um 700 gelebt habe, auf die Idee kommen, der Herrscher des Wechsels zu werden, warum sollte ein Papst ihn dabei unterstützen, zumal er dann Vorgänger erfinden müsste, die in keinem guten Licht dastehen würden, denken sie an solche seltsamen Gestalten wie die Päpstin Johanna, die in dieser gefälschten Zeit aufkommt. Und warum wird dann nicht auch ein Grab des Herrschers Karl gefälscht, haben wir doch genug Belege dafür, dass Gräber von Heiligen zu dieser Zeit oft genug irgendwo gefunden wurden, etwas des des Hl. Jakobs in Spanien oder auch näher, die Grabauffindung, die später zum Bau des Bonner Münsters führte.

Wenn auch das genug Belege sind, um das Theoriegerüst aus dem Inneren heraus zu erschüttern, so kann man auch von außen auf es einwirken. Auf eine solche Theorie kann man nämlich nur kommen, wenn man europäisch und nicht global denkt. Die chinesische Kultur der Tang-Dynastie herrschte in dieser Zeit, deren Quellenlage deutlich besser ist. So weit aber muss man gar nicht gehen. Was ist mit den angelsächsischen Königreichen in Großbritannien, was hätten die von einer solchen Fälschung? Oder das maurische Spanien, warum sollten die Muslime diesen Zeitschwindel mitmachen, wo ihnen das Jahrtausend doch eh egal sein kann, da sie sich zu diesem Zeitpunkt erst in ihrem zweiten Jahrhundert befanden? Sie sehen diese Theorie ist Murks. Sollte ihnen jemals jemand damit kommen, haben sie nun Argumente dagegen. Um ein weiteres jedoch ist es nie Schade und damit beschäftigen wir uns heute: Dem Frankfurt Konzil von 794 unter Vorsitz Kaiser Karls des Großen.

Die Stadt Frankfurt ist eine frühmittelalterliche Gründung. Ihr Name verrät bereits, dass es sich bei ihr um eine Gründung der Franken handeln muss, diese haben nämlich an einer Furt eine Siedlung angelegt, die dann zu einer „Furt der Franken“ wurde. Die Gründungslegende der Stadt möchte, dass die Stadt natürlich nicht nur durch irgendeinen Franken gegründet wurde, sondern durch den größten und bekanntesten Franken überhaupt: Karl den Großen, der die Stadt nach einer wundersamen Jagd auf eine Hirschkuh gegründet haben soll. Der Verweis auf Karl den Großen ist dabei nicht so abwegig wie man aus heutiger Sicht denken mag. Im Jahr 794 taucht der Name „Franconofurd“ das erste Mal auf. Normalerweise finden sich solche Namen in Urkunden und Listen der Verwaltung und sind abgesehen von der Erstnennung einer Stadt oder eines Stadtteils relativ unspektakulär. Bei Frankfurt verhält sich das anders. Die Erwähnung der Stadt fällt gleich zusammen mit einem kirchengeschichtlichen Großereignis: Der Synode von Frankfurt 794. Zu dieser Synode gerufen hatte niemand geringerer als eben der damalige fränkische König Karl – in Absprache mit Papst Hadrian I. Sie sehen also, dass die Erstnennung der Stadt mit Karl dem Großen zu tun hat, warum also nicht auch ihre Gründung?

Zurück zu Synode. Das Thema dieser Synode waren zwei theologisch wichtige Fragen, von denen die nach dem Bilderstreit, also nach dem Verbot der Darstellung von Gott, die wichtigere war, zu der auch am längsten diskutiert wurde. Wichtiger war sie vor allem aus einem Grund: Die Synode und ihr Ergebnis sollten endgültig eine Trennung zwischen der westlichen und der östlichen Welt besiegeln. Auf der Synode von Frankfurt sollte klar antibyzantinsich agiert werden. Das machte bereits die Aufstellung der eingeladenen Bischöfe klar. Versammelt waren die abendländischen Bischöfe des Frankenreichs, Spaniens, Italiens und der angelsächsischen Länder.

Heute Abend aber geht es nicht um diese große Ausrichtung der Synode, zu der lang und breit geforscht wurde, sondern um den schneller abgehandelten und unwichtigeren Teil angesichts der großen Aufgabe dieser Versammlung. Bevor man den Bruch mit der Ostkirche vollziehen konnte, musste zunächst klar gemacht werden, was die Westkirche eigentlich war, welches gemeinsame Glaubensfundament sie auszeichnete. Und dabei störte eine in Spanien aufgekommene Vorstellung über die Göttlichkeit des Sohns: der Adoptianismus.

Karl hatte sich bereits im Vorfeld mit dem Papst geeinigt. Der Adoptanismus war eine Häresie und gehörte verurteilt. Auf der Frankfurter Synode jedoch musste über diese Vorstellung gesprochen werden. Die beiden Hauptangeklagten der Bischof von Toledo und sein Unterstützer Felix von Urgell erklärten sich schriftlich. Diese Schreiben wurden zur Diskussion gestellt. Karl selber beendete die ausführliche Diskussion nach Absprache mit seinen Hoftheologen und urteilte, um daraufhin die anderen Anwesenden nach ihrem Urteil zu befragen. Die Bischöfe baten um Aufschub bekamen in gewährt und mit ein wenig zeitlicher Verzögerung war der Adoptanismus verurteilt.

Was aber verbirgt sich hinter diesem Begriff eigentlich? Das Lexikon des Mittelalters gibt eine recht uneindeutige Beschreibung dieser Idee christlichen Glaubens: „Lehre von der Gottessohnschaft Christi, die [diese] des Menschen Jesus erklärt als Annahme an Sohnes statt, d. h. durch Adoption“. Hinter diesem eigentümlichen Satzbau verbirgt sich nicht anderes als die Behauptung, dass Jesus nicht der leibliche Sohn Gottes ist, sondern von diesem eben adoptiert wurde. Fleckenstein fasst diesen Umstand in deutlichere Worte, wenn er diese „eigentümliche Auffassung“ als „doppelte Sohnschaft Christi“ bezeichnet, in der Jesus als Gott und als Mensch hervortritt. Jesus galt als Mensch, der von Gott durch die Taufe adoptiert worden war und so zum Sohn wurde. Seine göttliche Natur indes war ewig. Darin unterschied sich der Adoptianismus von der Lehre der Arianer, die die Ewigkeit des Sohns zum Einen bestritten und auch seine Existenz nicht etwa aus göttlicher Substanz, sondern aus dem Nichts erklärten und damit auf den Konzil von Nikaia 325 verurteilt wurde. Sie erinnern sich an die Veranstaltung vor zwei Wochen.

Der Adoptianismus berührte trotzdem das gleiche Gebiet wie der Arianismus. Im Kern ging es um die Gestalt und Ausformung der Dreifaltigkeit. Festgelegt und theologisch war die Auslegung Gottes in der Gestalt des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Letztere spielte in diesen Auseinandersetzungen immer eine untergeordnete Rolle, was wohl darauf zurück zu führen ist, dass dessen Existenz parallel zum Vater und zum Sohn gesehen wurde und somit kein Problem darstellten. Die Worte „Vater“ und „Sohn“ jedoch verlangen nach einem, der zu erst da war, in diesem Fall „Vater“, und einem zweiten, der danach kommen muss, „Sohn“. Eine Gleichzeitigkeit von Vater und Sohn von Anfang bis Ende, eben in aller Ewigkeit ist für den normalen Verstand schwer vorstellbar, zumal wenn es darum geht eine Lehre wie das Christentum noch weiter zu verbreiten, befinden wir uns doch mit dem Adoptianismus im 8. Jahrhundert nach Christus, einer Zeit, in der noch längst nicht ganz Europa zum Christentum gehörte.

Wie auch beim Arianismus haben wir es hier mit einer Vereinfachung der Trinitätslehre zu tun. Das Komplizierte der Gleichzeitigkeit von Vater und Sohn wird probiert in denkbare Vorstellungen zu lenken. So ist der Sohn zwar genauso lange existent wie der Vater, seine Nachfolge als Sohn gegenüber dem Vater wird durch die Adoption aber erklär- und verstehbar.

Um das Ganze in ein Beispiel zu packen, dass nachvollziehbar ist: Stellen Sie sich bitte zwei Brüder vor, Zwillinge. Beide am selben Tag geboren, wer der ältere ist, ist nicht mehr heraus zu finden, deswegen sind beide gleich alt. Einer der beiden Brüder wird krank, und muss, damit das Erbe in der Familie bleibt, einen Erben haben. Da aber sein Bruder aus juristischen Gründen nicht erben kann, adoptiert sein Bruder ihn, so dass obwohl beide Brüder gleich alt sind, rein juristisch klar ist, dass der eine Bruder, der Adoptivsohn des anderen ist und so das Erbe in der Familie blieben kann.

Diese Lehre wich von der richtigen Trinitätslehre ab. Wie kam es dazu? Im Spanien des 8. Jahrhunderts herrschen Moslems. Trotzdem existieren weiter auch christliche Gemeinden, wie im Lektürekurs ja bereits Anfang dieses Jahres besprochen wurde, als von Albarus Paulus und Eulogius die Rede war, die beide als Märtyrer verehrt wurden bzw. werden wollten. Unter diesen Gemeinden gab es auch bestimmte Sekten und Gruppen, die mit dem christlichen Glauben zwar verbunden waren, aber kein theologisches Fundament hatten. Zu diesen Gruppen gehörte auch eine Sekte um Migetius. Nach der bisherigen Quellenlage ist leider zu Migetius nicht viel bekannt. Aus den Briefen der spanischen Bischöfe an ihre fränkischen Kollegen im Vorfeld der Synode von 794 sind uns jedoch Gerüchte über Migetius überliefert. Diesen zufolge scheint Migetius sich als ein neuer Jesus begriffen zu haben, was nicht nur heute sondern auch bereits im 8. Jahrhundert als irrsinnig galt. So scharte er Apostel um sich und prophezeite seine Auferstehung nach dem Tode nach drei Tagen. Selbst wenn man davon absieht, dass es sich hierbei um ein Schreiben von Bischöfen handelt, dass auf keinen Fall mit einem objektiven Griffel geschrieben worden ist, stellt sich diese Gruppe als konfuses Konstrukt da, so dass Heil davon ausgeht, dass bei den Migetianern eine auf keinem Fall mit der Orthodoxie konforme Lehre herrschte, die den Primas der spanischen Kirche, den bereits früher erwähnten Erzbischof Elipand von Toledo, dazu brachte gegen diese Gruppe vor zugehen. Um nochmal auf die am Anfang angesprochene These zurück zu kommen: Welchen Sinn hätte es für einen Papst einen solchen Streit, der die Einheit der Kirche widerlegt, in Dokumenten fälschen zu lassen?

Aber zurück zum Thema. Kurz soll auf Elipandus eingegangen werden. Geboren am 24. Juli 716 wurde er 750 zum Erzbischof von Toledo und in dieser Funktion zum Primas der spanischen Kirche. Als dieser musste er innerhalb Spaniens gegen Migetius vorgehen. Dies tat er zu aller erst in einem Brief, den er an Migetius schrieb. Darin sind vor allem vier Punkte genannt, auf die eingegangen wird. Erstens behandelt Elipandus die Trinitätslehre, dazu später, zweitens geht es um das Problem der Heiligkeit bzw. der Sündhaftigkeit der Priesters, die im als Sünder eigentlich keinen Gottesdienst geben dürften. Drittens darf mit Sündern keine Mahlgemeinschaft eingegangen werden und viertens wird von Rom eine besondere Heiligkeit ausgesagt, weil dort das himmlische Jerusalem auf die Erde kam. Nicht sachlich geht Elipanus in diesem Brief vor, sondern polemisch. Er schilt Migetius einen „doctor erroris“ und seine Lehre „einen einfältigen und albernen Wahnsinn“. Gemäß der Patristik folgend, werden die Punkte des Migetius mit Schriftstellen und Auslegungen der Schrift durch die Kichenväter, etwa Isidor von Sevilla oder Gregor dem Großen, widerlegt. Der letzte Punkt, die Heiligkeit Roms, muss an dieser Stelle besondere Beachtung finden, um einen Einschnitt durch das Konzil von 794 zu sehen. Dass Migetius Rom eine Heiligkeit zuspricht, muss von Elipandus widerlegt werden, der dieses dadurch tut, dass er der katholischen Kirche einen Universalanspruch unterstellt, der die Heiligkeit nicht auf Rom, sondern auf den gesamten Erdkreis bezieht. Durch die Beweisstelle, Mt. 16, 18 (Du bist Petrus und auf diesem Felsen werde ich meine Gemeinde bauen etc.) probiert Migetius die Heiligkeit des Papstes auf Rom zu übertragen, Elipandus widerspricht und überträgt die Heiligkeit auf den Erdkreis. Eine Distanz zu Rom ist an dieser Stelle, so stellt es Thersia Hainthaler da, zweifelsfrei festzustellen, was einen Blick auf das Selbstbewusstsein der spanischen Kirche wirft. Spanien sieht sich als Kirche mit eigener Tradition und eigener Lehre, etwas dass durch die Widerlegung der spanischen Lehre scharf geschnitten wird.

Elipanus‘ Vorgehen gestaltete sich, folgt man Schäferdiek, zunächst so, dass er probierte des theologische Gerüst der Migetianern auseinander zunehmen, indem er die Bibel bemüht, um einiges davon zu widerlegen. Das Ganze konzipierte er in einer Polemik, die trotzdem drei Vorgehensweisen des Migetius hervorhebt. Zum einen war er beliebt bei der Bevölkerung, was zum zweiten wohl mit seinem mangelnden Wissen in theologischen Fragen zu tun hatte und so auch drittens mit seiner sehr eigenen Art der Bibelauslegung, mit der er sich intensiv beschäftigt hatte, zusammenhängt. Was das Problem der Trinität angeht hat Migetius daher auch sein eigenes Konzept entwickelt. Folgt man Migetius, dann habe sich Gott in drei biblischen Gestalten personifiziert. Dabei ist der Vater identisch mit David, der Sohn identisch mit Jesus und der heilige Geist spiegelt sich in Paulus wieder. Ersterer und letzterer werden von Elipand leicht damit entkräftet, dass diese beiden sterbliche Menschen gewesen sein, allein bei Jesus tut er sich schwer. Er probiert Migetius mit der Zweinaturenlehre Jesu zu widerlegen, wobei er „so ungeschickte Formulierungen gebraucht, dass der Eindruck entsteht, er rede von einer Doppelpersönlichkeit Christi“. Auf dem Konzil von Sevilla wurde dann, um Migetius zu begegnen die Adoption Jesu durch Gott eingesetzt. Das bedeutet, dass nicht etwa die Anhänger des Migetius die Verbreiter der adoptianischen Lehre waren, diese entsprang den Lehren des Erzbischofs, der damit dieser Gruppe entgegen treten wollte und sie als Häresie verurteilte.

Das erklärt das früher Ausgeführte. In einer Zeit, in der man probiert die richtige Lehre zu verbreiten, um Irrlehren vorzubeugen, muss man vereinfachen und erklären. In der Auseinandersetzung zwischen Elipand und Migetius entstand der Apotianismus, der dann selber zu einer nicht unumstrittenen Lehre innerhalb Spaniens wurde, so die Forschungsmeinung.

Was aber war an dieser verständlichen Lehre, die einen klaren Kontrapunkt gegen eine definitiv häretische Sekte um einen wieder geborenen Jesus setzte, eigentlich so schlimm, dass sie ihrerseits als Häresie verurteilt wurde? Zwei Synodalschreiben der auf dem Frankfurter Konzill 794 versammelten Bischöfe sind überliefert, in denen das Fehlverhalten der Spanier dargelegt wird. Während sich die italienischen Bischöfe theologisch gegen die Spanier wenden, greifen die fränkischen Bischöfe ihre spanischen Kollegen mit textkritischen Überlegungen an. So werfen sie ihnen vor, dass sie sich zwar auf die Zeugnisse der Kirchenväter als Beleg beziehen, dieses aber „eben nicht ganz richtig“. Kann man sich sicher über die Auslegungen dessen, was die Kirchenväter gesagt haben streiten und daher die Kritik der fränkischen Bischöfe eher nebensächlich betrachten, so wiegt doch das Schreiben der italienischen Bischöfe schwerer. Sie legen dabei nämlich fest, dass alleine durch die Tatsache, dass Jesu sowohl seiner göttlichen, als auch seiner menschlichen Natur nach Gottes Sohn gewesen sein muss, weil – und wenn Ihnen jetzt Gedanken an Anselm von Canterbury und Burkhard Müller kommen, liegen Sie nicht falsch – nur der göttliche menschliche Sohn für die Sünden am Kreuz sterben konnte. Ein menschlicher Sohn, sei er auch adoptiert, wäre ein geborener Knecht, der dieses nicht hätte fertig bringen können. Ein weiteres Problem liegt in der lateinischen Formel des Wortes „adoptio“. Während die spanischen Bischöfe mit diesem Begriff eine theologische Bedeutung verbinden, die die menschliche Natur Jesu zu einer göttlichen aufwerten soll, ist im fränkischen Reich damit eine rein juristische Aussage gefasst, die nicht theologisch verstanden werden kann. Gott aber steht über dem menschlichen Recht, ein theologischer Terminus ist demnach auf keinen Fall zu akzeptieren. Darüber hinaus ist die juristische Vorstellung einer Adoption im Groben darauf ausgerichtet, dass jemand adoptiert und zum Sohn gemacht wird, der nicht der geborene Sohn ist. Diese Vorstellung wiegt im fränkischen Reich so schwer, dass über die göttliche Natur Jesu, die vom Adoptianismus ja gar nicht bestritten wird, nicht geredet und diskutiert wird, so dass für fränkische Augen in der spanischen Überlegung Jesu nur der adoptierte Sohn Gottes, nicht aber sein eingeborener Sohn sein kann.

Mag das Auftreten der Lehre einem Zufall, Migetius‘ Widerlegung, geschuldet sein, so ist sein Verbreitung und auch die Tatsache, dass dieses für Kaiser Karl eher kircheninterne Thema auf dem Konzil in Frankfurt behandelt wurde, vor allem der Ursache geschuldet, dass Bischof Felix von Urgell diese Lehre nicht nur übernahm, sondern sie sogar ausbaute, lehrte und trotz aller Widerrufe immer wieder zu ihr zurück kam.

Wer war dieser Felix von Urgell? Wie in der Geschichte der Spätantike und des Frühmittelalters üblich ist über solche Randfiguren wenig bis gar nichts überliefert. Schon die Herkunft des Felix ist umstritten. Sicher ist nur, dass er 818 in Lyon strab. Felix war vor seiner Berufung zum Bishof von Urgell Abt von Sant Serni de Tavèrnoles. Cabaniss etwa urteilte über Felix 1953, er sei „spanischer Abkunft“, was dazu veranlasste ihn sogar aus dem maurischen Spanien stammen zu lassen. Trotzdem ist der größte Teil der forschenden Zunft eher von einer Abkunft aus Urgell selber überzeugt. In den Jahren 792 bis 797 war Felix tatsächlich in Toledo und lernte bei Elipandus, freilich war er niemals der Überzeugung gegen die rechtmäßige Lehre zu verstoßen, ähnlich wie sein Lehrmeister aus Toledo. Der wohl einflussreichste Berater am Hofe Karls des Großen, Alkuin, lobte Felix‘ Frömmigkeit, so dass Felix sogar vom fränkischen Hof als Bischof eingesetzt worden sein kann.

Das Bistum Urgell befindet sich geografisch in der Mitte Kataloniens, an der nordöstlichen Grenze Spaniens in den Pyrenäen. Karl der Große hatte bereits 778 probiert gegen das maurische Spanien zu ziehen, was allerdings hingegen der literarischen Propaganda eines Rolandslieds von wenig Erfolg gekrönt war. Trotzdem hatte er auf der iberischen Halbinsel Fuß fassen können. Zu diesen kleinen Errungenschaften des fränkischen Reichs in Spanien gehörte auch das Bistum Urgell, so dass jeder Bischof, der ja dort nicht nur als geistliches Oberhaupt, sondern auch als Haupt der örtlichen Verwaltung diente, zum Machtbereich Karls gehörte und so vom Karolingerhof eingesetzt wurde. Mit dieser Verwaltung aber war es Ende des 8. Jahrhunderts nicht weit her, da die Moslems immer wieder Angriffe auf dieses Gebiet richteten. Nach seiner Rückkehr aus Toledo 797 reiste Felix daher durch Südfrankreich, vor allem Aquitanien, und verbreitete seine Lehre – ein Gebiet, das auch im Zentrum der fränkischen Macht lag und die Verbreitung der Lehre dort für unpassend befunden wurde, zumal der Adoptianismus auf der Frankfurter Synode 794, also nur drei Jahre zuvor, verurteilt worden war. Felix wurde zu mehreren Gesprächen gerufen und musste 799 in Aachen seine Lehre widerrufen. In sein Bistum zurück kehrte er indes nicht, sondern wurde von Bischof Leidard in Lyon bis zu seinem Tode 818 festgehalten. Im von ihm bereisten Gebiet wurde in Folge dessen probiert, die Gemeinden wieder auf den Weg der richtigen Lehre zu führen. Sie erkennen, wie erfolgreich und verständlich diese Lehre gewesen sein muss.

Obwohl Felix nicht nach Urgell zurück kam und seine Lehre widerrief lebte sie Felix‘ weiter – in seinem Schüler Claudius von Turin, dem „interessantestem aller Ketzer aus der frühen Karolingerzeit“, wie es Banning ausdrückt, zumindest so lange bis der Bischof von Lyon ihm vom Gegenteil überzeugen konnte. Claudius schaffte es immerhin zum Hauskaplan Ludwigs des Frommen, Karls Sohn, und zum Bischof von Turin zu werden bevor er 827 starb und sowohl die Verehrung des Kreuzes ablehnte als auch die Macht des Papstes nicht aus seiner Geschichte heraus, sondern aus dem Amt selber verkündete.

Ziehen wir eine kurze Zwischenbilanz: Der Adoptianismus löste die Einheit Christi auf, indem er eine göttliche, ewige Natur des Gottes Sohns neben eine menschliche Natur stellte. Seinen Ursprung hatte diese Idee im Spanien des 8. Jahrhunderts und kann nicht ohne weiteres mit dem Arianismus vergleichen werden, wie es etwa Engels im „Lexikon des Mittelalters“ getan hat.

Der Titel dieses Essays aber verspricht Ihnen ja muslimische Wurzeln des Adoptianismus. Bisher hatte ich Ihnen sein Entstehen ja durch die Auseinandersetzung mit Migetius erklärt. Ich aber vermute tiefer gehende Gründe für eine solche Idee. Wie Sie bereits im Vorangegangenen erfahren haben, war Spanien vor allem durch muslimische Religion und Kultur geprägt. Trotzdem existierte eine kirchliche Struktur, so dass immerhin spanische Bischöfe selber Synoden abhalten konnten. Man mag hierin nun einen Beleg für die muslimische Toleranz im Mittelalter finden, trotzdem ist uns aus Quellen, etwa der Lebensbeschreibung des bereits erwähnten Eulogius oder den Aussagen des Albarus Paulus bekannt, dass viele Christen, zumal die kirchlichen Amtsträger, diesen Zustand für unmöglich hielten und alles daran setzten, die muslimische Herrschaft abzuschütteln.

Um so etwas zu schaffen, gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste ist die Ausrottung der Muslime durch das Schwert, eine Möglichkeit, die mit dem verlustreichen Feldzugs Karls des Großen gegangen worden war und als untauglich gelten dürfte. Die zweite Möglichkeit ist die Mission, die auch noch im 13. Jahrhundert etwa durch Franziskaner und Dominikaner in Spanien praktiziert wurde. Um aber Missionieren zu können, muss man nicht bloß von der eigenen Religion rückhaltlos überzeugt sein, man sollte auch probieren, die Kultur der zu Missionierenden zu verstehen und sogar Teile davon zu übernehmen, um die neue Religion nicht umsturzartig einzusetzen, wie es etwa Gregor der Große seinem Missionar Augustinus in England mitteilte.

Und tatsächlich, auch Albarus Paulus beschwert sich darüber, dass seine Glaubensbrüder die arabisch-muslimischen theologischen Werke lesen würden. Das bedeutet, dass tatsächlich Christen sich mit der Religion der Mauren auseinandersetzen konnten. Was aber konnten sie im Koran etwa über Jesus erfahren? Zunächst erfreuliches. So findet sich in Sure 3 der Hinweis, dass Jesus der Messias ist. Später jedoch wird Jesus mit Adam gleichgesetzt, was allerdings nicht bedeuten muss, er sei ein Mensch sondern, dass er auf Befehl Gottes entstanden ist. „Er sprach zu ihm: Werde, und er ward“, so der Koran. Mit dieser Aussage kann der Christ, der der richtigen Vorstellung der Trinität verpflichtet ist, nicht übereinstimmen, da damit der Ewigkeitanspruch der Trinität verletzt ist. In Sure 4 schließlich wird die Trinitätslehre sogar ganz wörtlich für ausgeschlossen erklärt:

„O Schriftleute, überschreitet nicht eure Religion und saget von Gott nichts als die Wahrheit. Wahrlich, der Messias, Jesus, der Sohn Marias, ist der Gesandte Gottes und sein Wort, das er getan hat in Maria, und ein Geist von ihm. So glaubet an Gott und an seine Gesandten, und saget nicht: Dreiheit. Lasset dies, euch zum Guten. Wahrlich, Gott ist ein Einheitsgott; erhaben ist er einen Sohn zu besitzen. Sein ist, was auf den Himmeln ist und was auf Erden, und es genügt, in Gott einen Vertrauensfreund zu haben.“

Der Islam lehnt die Trinitätslehre ab. Gott existiert für ihn nur als Einheit. Ein Umstand übrigens der viele Muslime glauben lässt, die Christen hätten drei Götter. So schreibt der erste Gesandte des osmanischen Reiches in Preußen an seinen Dienstherren Mitte des 18. Jahrhunderts, dass die protestantischen Preußen nur an einen Gott glauben würden, was sie leichter dazu bringen könnte, den Islam anzunehmen.

Schaut man auf die Geschichte der frühen Kirche zurück, so kann man erkennen, dass auch im Frühchristentum viele Auffassungen über die Gestalt Gottes herrschten. Neben den Ihnen nun bekannten Arianern finden sich bei syrischen Christen sogar Vorstellungen, die nahezu identisch mit denen aus dem Koran erscheinen, was etwa den katholischen Theologen Karl-Heinz Ohlig dazu bringt, zu sagen, die Gestalt des Mohammed habe nie existiert und der Islam sei im Prinzip eine Weiterentwicklung des syrischen Christentums.Obwohl Ohlig mit dieser These nicht allein steht, muss darauf hier nicht weiter eingegangen werden. Wichtig scheint mir die Frage, ob spanische Christen des 8. Jahrhunderts von diesen syrischen Ideen wussten und sie als vergangenen Teil des Christentums akzeptierten.

Da das maurische Spanien ein Hort der Kultur war, indem sich mit Religion beschäftigt wurde, indem Übersetzungen von griechischen Schriften kursierten, scheint es mir nicht ungewöhnlich, dass spanische Christen, von denen, wie Albarus Paulus bestätigt, viele des Arabischen mächtig waren, diese Texte gelesen haben, so dass einiges darüber bekannt war.

Folgt man der traditionellen Forschung über den Gründer des Islams, dann war zum Zeitpunkt des Konzils in Frankfurt dieser gerade 150 Jahre tot. Man darf also davon ausgehen, dass auch der Islam als solcher noch nicht gefestigt war und durchaus noch flexibel in der Glaubensauslegung.

Zwecks Missionierung musste ein Christ also folgendes Bedenken: Erstens glauben die Moslems an Jesus als Messias. Zweitens glauben sie nicht an die Trinität, drittens gibt es Glaubensbewegungen im Christentum, die die Trinität auch anzweifeln, ein Umstand übrigens, der in Spanien erst mit dem Untergang des Westgotenreiches aufhörte. Die Goten waren überzeugte Arianer und damit Gegner der Trinitätslehre. Viertens kann der Missionar nach Gregor dem Großen Bräuche und Namen des alten Glaubens übernehmen, um zu missionieren.

Daraus lässt sich die Frage konzipieren, was gemacht werden muss, um einen Moslem vom Christentum zu überzeugen. Abgesehen von der Person Mohammeds, die, da alle Quellen, die seine Existenz bezeugen, erst aus dem 9. oder 10. Jahrhundert stammen, eventuell gar nicht gelebt und gewirkt hat, muss der wichtigste Faktor dabei sein, die Trinitätslehre so aufzuweichen, dass sie akzeptabel wird. Berücksichtigt werden muss dabei auch die richtige Lehre zur Dreifaltigkeit, die in Rom gelehrt wird, wenn auch nur am Rande, da Spanien, wie oben erwähnt, einen eigenen Weg geht.

Die Vorstellung also die Natur Jesu in eine menschliche und eine göttliche Natur aufzuspalten und die menschliche durch die Idee der Adoption wieder an Gott heran zubringen, löst das Problem zur Missionierung der Moslems. Die Trinität wäre teilweise aufgehoben, Gott würde als Einheit erscheinen, wäre weiterhin zu erhaben, um einen Sohn zu zeugen, man könnte sich in der Begründung auf ältere Traditionen berufen, was übrigens in den Verteidigungsschreiben zur Frankfurter Synode geschehen ist und hätte im Prinzip über die Adoption auch die richtige Trinitätslehre aufgeweicht, aber berücksichtigt.

Damit wäre die Lehre des Adoptianismus eine auf den Islam abgestimmte Missionierungsformel, die durch ihn beeinflusst ist. Zwei Umstände jedoch sorgten dafür, dass diese Missionierung bereits im Anfang erstickt wurde. Zum einen war das Auftreten des Migetius ein Problem, den es erforderte schnelles Handeln und Eingreifen, sowohl praktischer als auch theologischer Art. Die Zweinaturenlehre Jesu, die für die Missionierung der Moslems konzipiert war, ob bewusst ersonnen oder unbewusst angewandt sei dahin gestellt, konnte auch gegen Migetius eingesetzt werden. Das einberufene Konzil musste schriftlich festlegen, was beschlossen worden war, so dass diese noch nicht voll entwickelte Idee in schriftlicher Form nach Rom geschickt wurde. Das zweite Problem war ein Kommunikationsproblem. Wie der Schrift der fränkischen Bischöfe zu entnehmen ist, war Elipanus von Toledo kein begnadeter Schreiber, er hatte sogar Schwierigkeiten die Theologie des Migetius mit Worten zu entkräften. Einer solchen Person die Ausformulierung zu überlassen, scheint grob fahrlässig, bei einem solch heiklen Thema wie der Trinität. Sein Schüler und Mitbischof Felix von Urgell jedoch wäre in der Lage gewesen dieses zu schaffen, wie seine Geschichte und seine Missionserfolge im frühen 9. Jahrhundert zeigen, da aber war der Adoptianismus bereits auf dem Konzil von Frankfurt 794 verurteilt worden.

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