Die Seenotrettung und die Abschottung Europas

Kapitänin Rackete ist eine Heldin! Sie hat Menschen vor dem sicheren Tod gerettet. Das ist die Definition einer Heldin. Sie ist aber auch ein Mensch. Und als solcher hat sie persönliche und politische Gründe zu tun, was sie tat.

Irgendwo habe ich gelesen, ihr Vater sei bei einem Waffenhersteller oder -händler oder etwas in dieser Art angestellt. Dort mag sich das persönliche Motiv verbergen, hier eigene Schuld abzutragen. Oder es ist einfach nur der Wunsch, moralisch richtig zu handeln, wenn Menschen gerettet werden müssen.

Die politische Ebene ist dabei viel interessanter. Gemeinhin wird diese eher auf Seiten von Racketes Gegenpart, des Antihelden Salvini, in den Vordergrund gestellt. So geht dann auch das Narrativ: es steht die moralische Überlegenheit gegen die rechtspopulistischen Ansichten eines Innenministers.

Allein: Narrative sind Fiktion. Da wird immer irgendetwas ausgeblendet, während etwas anderes an Licht geholt wird. Moral im Licht, politische Interessen von Seawatch im Schatten.

Was sind die politischen Interessen? Es geht um offene Grenzen! Und es geht wohl auch ein bisschen darum, die italienische Regierung zu ärgern. Warum geht es um Grenzen? Unterstützer und Mitglieder von Seawatch vertreten, so hörte ich es neulich im SWR2-Forum, eine Politik der offenen Grenzen. Das tue ich auch. Offene Grenzen sind eine tolle Sache – so lange sie zwischen Ländern existieren, die eine einigermaßen gleiche wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung haben. In allen anderen Fällen gibt es Probleme.

Bei diesen Problemen geht es weder um Rasse noch um Kultur, es geht bei um erlerntes Verhalten. Einer meiner Schüler aus Syrien erzählte mir, in Syrien herrsche die Arbeitseinstellung vor, dass man dann arbeiten würde, wenn man Geld bräuchte. Dann würde man ein paar Wochen richtig hart und viel arbeiten und dann den arbeitenden Lohn für eine etwas längere Zeitspanne verprassen, bis es wieder von vorne losginge. Geld brauche man vor allem für Gesundheit, weil es keine gesetzliche Krankenkasse gebe, Wohnung, wobei man fast immer in Eigentum lebe, und Nahrung, die, da aus einheimischer Produktion, recht günstig sei.

Durch den Krieg kommen solche Menschen nun in ein Land, in denen ihnen qua Gesetz eine Krankenversicherung und eine Wohnung bezahlt werden, dazu kommt Geld für Leben und Kinder. Die Ansprüche dieser Menschen sind recht gering. Sie haben hier in Deutschland nun alles, was sie zum Leben brauchen. Aus welchem Grund, sollte man mehr wollen? Aus welchem Grund sollte man sich anstrengen, diese furchtbare Sprache zu lernen? Warum sollte man arbeiten gehen?

Eine solche Haltung ist ein Problem für eine Gesellschaft, die dieses richtige und wichtige Wohlfahrtssystem aus Arbeit finanziert.

Über kurz oder lang bleibt die Hoffnung, dass ihre Kinder sich den hier gültigen Standards anpassen, und ich kann als Lehrer der Eltern und auch ihrer Kinder sagen, dass dies in ganz vielen Fällen gelingt. Es gibt kaum ein schöneres Gefühl, als wenn eine aus Syrien stammende Schülerin nach gefühlt 1000 Versuchen ohne Fehler ein Wort wie eintausenddreihunderfünfundsechzig aussprechen kann und sie sich selber darüber freut, als gebe es keinen Morgen mehr.

ABER: Bis die Kinder soweit sind, werden ein paar Jahre vergehen. In dieser Zeit wird es Probleme geben zwischen den Erwachsenen. Und leider gibt es auch die Arten von Kindern, die sich lieber am Leben ihrer Eltern orientieren als an der Schule.

Wer nicht vor Krieg flüchtet, flüchtet oftmals, weil die Perspektiven in seiner Heimat aussichtslos sind. In der Demokratischen Republik Kongo kenne ich einen gut ausgebildeten jungen Mann. Landesweit hat er den drittbesten Universitätsabschluss seines Jahrgangs gemacht. Er wohnt zu Hause bei seinen Eltern mit seinen fünf Geschwistern. Er ist der älteste Bruder, hat keine Arbeit, lebt von Gelegenheitsjobs, die nichts mit seinem Abschluss zu tun haben und versäuft das Geld abends auf Partys. Er und seine Familie gehören zur Mittelschicht, haben wenig bis keine Kontakte und so ist seine Aussicht auf Erfolg gering. Von solchen Menschen gibt es viele. Sind diese durch Familie ein wenig besser gestellt, machen sie sich auf den Weg in andere Länder. Für das Afrika jenseits der Sahara gehören dazu oft Länder wir Südafrika, Namibia oder Kenia, Länder mit wirtschaftlicher Prosperität, für Länder weiter nördlich, ist Europa aber eine Option. In beiden Fällen geht den Heimatländern eine große und wichtige Gruppe an Menschen verloren, was auf deren Entwicklung langfristig kaum positive Auswirkungen haben dürfte.

Mit anderen Worten: Offene Grenzen zwischen Ländern mit unterschiedlicher wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung fördern Migration von einer auf die andere Seite, was sowohl für die aufnehmende Seite zu (hoffentlich nur kurzfristigen) Problemen führt, für die Seite, aus denen Menschen fliehen, zu (hoffentlich nicht langfristigen) Problemen führt. Offene Grenzen sind daher nur für Länder wichtig, die eine einigermaßen gleiche wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung durchgemacht haben und auf dem gleichen Stand sind. So weit sind wir noch lange nicht!

Menschen aus Seenot retten, ist Pflicht. Sie nach Europa zu bringen, ist daher nicht unbedingt notwendig. Oder?

So einfach ist es dann auch wieder nicht. Warum muss es Europa sein? Die Küstenwache von Libyen ist doch unterwegs, um zu retten und die Menschen an Land zu nehmen. Das Probleme: Libyen ist kein Land mehr! Seit dem Sturz Gadaffis (unter Federführung von Hillary Clinton!) ist das Land destabilisiert, es ist geteilt in verschiedene Regionen und Regierungen. Eine gemeinsame europäische Verständigung zum Umgang mit diesen libyschen Regierungen gibt es nicht. So paktiert Italien mit der einen, Frankreich mit der anderen. Derweil werden die Menschen, die aus dem Süden Afrikas in Libyen landen unter furchtbaren Bedingungen fest gehalten. Sie sitzen in Kellern fest, die privaten Gefängnisse gleichen Lagern, zum Teil droht Versklavung. Dahin möchte man sicher nicht zurück.

Hinzukommt, dass die Menschen, die flüchten, nicht zurück können. Die Aufgabe Libyens besteht im Prinzip darin, die auf See geretteten, wieder in ihre Heimatländer zuschicken. Aber dort erwartet die meisten ein neues, riesiges Problem. Da auf Ihnen die Hoffnungen ihrer Familienangehörigen ruhten, diese Geld für sie ausgegeben und Schulden gemacht haben, ist eine Rückkehr bei vielen mit sozialer Isolation gleichzusetzen. Mit diesen Verlieren will man nichts zu tun haben. So sterben sie, nicht auf dem Mittelmeer, aber den sozialen Tod – der oft schlimmer ist als der wirkliche.

Nordafrika ist für die Geflüchteten keine Option. Europa muss es sein.

Aber warum Salvinis Italien? Salvini handelt wie er spricht. Das macht ihn in einer Gesellschaft, in der Worte mehr zählen als Taten, und in so einer Gesellschaft leben wir (Glauben Sie nicht? Wie viele Stunden verbringen Sie in ihrer Arbeit in Meetings, deren Gehalt in Protokollen wieder gegeben wird, die von niemandem gelesen werden und deren Ergebnis niemanden interessiert? Wie viel Stunden verbringen Sie tatsächlich mit Arbeit,an deren Ende ein Produkt oder zufriedener Kunde steht?), sind Salvinis Äußerungen unerträglich. Dabei spricht er nur das aus, was in den Ländern der europäischen Union gemacht wird. Salvini ist im Narrativ der Seenotrettung der ideale Antagonist. Bart, offenes Hemd, er sieht schon aus wie der klassische Italo-Macho. Denn muss man einfach ärgern. Deswegen ist es immer wieder Italien, das zum Ort der Auseinandersetzungen wird. Laut der Sendung Panorama hat Rackete probiert neben Italien auch Malta, Frankreich, Spanien und die Niederlande um Anlegeerlaubnis zu bitten. Keiner hat geantwortet! Deutschland hat sein icht gefragt. Hätte sie mal. Die im Nachhinein getätigten Aussagen der Regierungsmitglieder von Maas, über die Kanzlerin bis hin zu Seehofer bestätigen doch: Hier wären die 40 Leute gerne aufgenommen worden. Immerhin sind ja alle entsetzt, über das, was dort passiert ist.

Mit Verlaub, das ist schlicht Unsinn. Wenn Rackete nun von Frankreich eine Auszeichnung bekommt, weil sie sich gegen Salvini gestellt hat, während Frankreich nicht geantwortet hat und einen Hafen geöffnet hat, dann ist das eine einzige Heuchelei.

Wenn die Deutschen davon reden, dass das Sterben aufhören muss, dann spricht hier ein Land, das in seinem Aufenthaltsgesetz Ehegatten vor Visaerteilung zwingt eine der schwersten Sprachen der Welt zu lernen, und so die legale Ausreise erschwert. Kurz: In der europäischen Union wird geheuchelt ohne Ende.

Will man das Sterben im Mittelmeer verhindern, bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder Europa kümmert sich darum, dass es den Ländern aus denen geflüchtet wird, besser geht, so dass nicht mehr geflüchtet wird, oder sie machen die legale Einreise möglich.

Ersteres bedeutet nicht unbedingt die Ausgaben für Entwicklungshilfe zu erhöhen. Deren Konzept gilt gemeinhin als gescheitert. Es bedeutet einen intensiven Austausch von Menschen zu fördern, Europäer mit Knowhow nach Afrika zuschicken und andersherum gut ausgebildete Afrikaner in Europa aufzunehmen, von denen Europa kulturell und wirtschaftlich profitieren kann. Zweitens bedeutet, die Angst vor dem Fremden endlich beiseite zu schieben und vor allem bedeutet es, dass man als Politiker nicht probiert, rechten Parteien die Wähler dadurch wegzunehmen, in denen man deren Themen übernimmt. Es gilt nicht mehr zu analysieren, warum rechts gewählt wird, es gilt die Analysen zu lesen und zu reagieren. Dabei zeigt sich, dass es nicht um Rassismus geht, sondern um Lebensqualität. Wer Dörfer ausbluten lässt, vor Ort Straßen und andere Infrastruktur vergammeln lässt, der muss sich nicht wundern, wenn die Menschen gegen das Etablierte vorgehen.

International muss der afrikanisch-europäische Austausch forciert werden, national muss es Programme geben, Heimat wieder attraktiv zu machen. Wenn wir das ganze dann auch noch CO2-neutral hinbekommen – perfekt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert