Das Nibelungenlied im Deutschunterricht

Gemeinhin wird das Mittelalter im Deutschunterricht wenig behandelt. Das mag vor allem daran liegen, das ein Fokus auf die neuere Literatur gelegt worden ist und dass Deutschlehrer ihren Fokus während ihres Studiums auch darauf legten. Auch im Rahmen des Lehrplans der Oberstufe in NRW kommt das Mittelalter im Deutschunterricht nicht explizit vor, kann daher nur im Rahmen der Unterrichtseinheit „Deutsche Literatur vor 1700“ behandelt werden, eine so weite Zeitspanne, dass vom Hildebrandtslied bis zu Grimmelshausen alles darunter fallen kann. Hinzu kommt die Tatsache, dass etwa das Zentralabitur für NRW diese Epoche mit Gedichten des Barock verlangt.

Trotzdem bin ich der festen Überzeugung, dass das Mittelalter einen Rang im Deutschunterricht einnehmen soll. Das sei nun kurz erklärt. Im Geschichtsunterricht der Oberstufe, kommt das Mittelalter als klar umrissene Einheit nicht wirklich vor. Ab dem 11. Schuljahr wird nicht mehr chronologisch sondern systematisch gearbeitet, was dazu führen kann, dass unter einem Begriff wie „Arbeit“ Antike und Industrialisierung vergleichen werden. Ab dem 12. Schuljahr dann wird sogleich mit der Neuzeit begonnen und in Halbjahressprüngen wird dann von Karl V. zur Französischen Revolution gesprungen, um dann nach einem kurzen Halt bei 1848 schließlich im 20 Jahrhundert einen Großteil der Zeit zu verbringen. Für einen kritischen Blick auf das Mittelalter bleibt da kaum Zeit.

In der Sekundarstufe I kommt das Mittelalter dann tatsächlich großangelegt vor. Dabei ist aber zu beachten, dass es in der siebten Klasse beginnt, und in der achten Klasse kein Geschichtsunterricht stattfindet, so dass bereits in der neunten dass vor zwei Jahren, was in der Zeitmessung von Jugendlichen eine Ewigkeit ist, mit dem 19. und 20. Jahrhundert weitergearbeitet werden kann. Falls sich dann doch ein Schüler an das vor Urzeiten gelernte erinnern sollte, wird im kaum mehr in Erinnerung bleiben, als langweilige Stunden, in denen durch die Forschungsrichtung der Sozialgeschichte beflügelte Lehrer und Bildungspolitiker auf die Idee kamen, vom unheimlich spannendem Leben der in den Chroniken und Quellensammlung zu recht kaum beachteten Bauern zu sprechen, so dass für die Motivation der Schüler kaum etwas übrig bleibt. Wenn dann die Bauern abgehandelt wurden, wird schließlich auf das Leben in der Stadt verwiesen, freilich ohne den Schülern auch nur einen blassen schimmer davon zu geben, wie anders Stadt damals und heute ist. Schließlich wird an Hand von Ständepyramiden ein Feudalsystem gezeichnet, dass mit den Erfahrungen, die man grade über die Stadtbewohner gemacht hat nicht recht zusammenpassen will, kommen doch reiche Kaufleute in der Einheit von Adel, Klerus und Bauer gar nicht vor.

Die Behandlung des Mittelalters ist also an deutschen Schulen desolat und gehört dringen reformiert. Warum aber ist das Mittel alter so wichtig? Warum kann man diese Epoche nicht zu den Akten legen, scheint sie doch für immer von den Humanisten als düster und dunkel gezeichnet. Die Antwort darauf ist einfach. Weil Shakespeare und Cervantes, weil der Faust und Gerhart Hauptmann, weil Grillparzer und die Brüder Grimm, weil die deutsche Sprache und Gestalten wie König Artus immer noch aktuell sind und sie für Literaturanalysen gebraucht wird. Hauptmanns „Armer Heinrich“ kommt ohne Hartmann nicht aus, Grillparzer benötigt das Interegnum für „Wehe dem, der lügt“ Und die Königsdramen Shakespeares sind ohne Lear, Macbeth und die Richards nicht vorstellbar, ganz zu schweigen zum Ritter der traurigen Gestalt.

Das Mittelalter wird gebraucht. Warum aber gerade die Nibelungen? Helmut Brackert probiert darauf eine Antwort zu geben. Er postuliert, die nationale Rezeptionsgeschichte des Nibelungenliedes in Augenschein zunehmen und treibt diese gleich damit auf die Spitze, dass er Hermann Göhrings Stalingrad-Rede zur 36. Aventiure des Nibelungenliedes in Bezug setzt und dazu den ganzen Kontext der Rezeption dazu setzt, ohne jedoch dabei die romantischen Weiterentwicklung bei Fouqué etwa zu nennen oder auf Hebbel und Wagner einzugehen. Nun ist sein Vorschlag aus den frühen 70er Jahren und sei ihm daher verziehen. Ich für meinen Teil möchte anders vorgehen. Für mich bietet das Nibelungenlied nämlich eine einmalige Chance aufzuzeigen, wie Literatur, nicht nur im Mittelalter sondern auch noch heute funktioniert.

Bedingt nämlich durch die Hochstilisierung des Nibelungenliedes zum deutschen Nationalepos gehört es wohl zu den meistuntersuchten Texten des Mittelalters. Das heißt, dass man die Herkunft der verschiedenen Stoffe, sei es nun Burgund, Siegfried, Etzel oder Diedrich, der Hort, der Drache der Zwerg oder was auch immer, zurückverfolgen kann. Das heißt man kann an Hand dieses Leides schauen, wo der Stoff herkommt, hat also die Möglichkeit die Edda zu bemühen um den Stoff anders zu lesen.

Abgesehen davon, kann an Hand des Nibelungenliedes schließlich die Gesellschaft des Mittelalters nachvollzogen werden und endlich die an die Reihe kommen, die uns überliefert sind: Die Helden, die von denen spannende Geschichte erzählt werden, vom einfachen Volk. Die Ritter und das Feudalsystem, das in der siebten Klasse nicht verstanden und daher vergessen wurde, kann neu aufgefrischt werden. Die Grausamkeit am Ende, die Schlachtszenen en detail, bieten dann auch für die abgestumpftesten Leser etwas, was sie vergleichen können, mit Erfahrungen vor der Konsole.

Und um auch noch das frauenafine der Fernsehfilme in diesem Epos zu finden ist auch nicht schwer. Mit Brunhilde und Kriemhilde haben wir zwei Frauenfiguren, die stark und zerbrechlich zugleich sind, die sowohl Verstand als auch Kraft besitzen und sich zudem nicht wirklich leiden können. Das ist alles, was einen Fernsehabend von heutigen Schülern ausmacht. Warum sollte so etwas vorenthalten werden.

Schließlich ist Brackert zuzustimmen. Die Rezeption des Liedes kann auch noch fokussiert werden. Aber muss es gleich der Reichsfeldmarschall sein? Tut es Hebbel nicht auch oder gar Wagner? Was am Nibelungenlied begonnen wurde, kann schließlich an Hand dieser Arbeiten weitergesponnen werden. Wie hat Wagner seine Stücke erarbeitet, was hat er verwendet? Und hat Hebbel, wie er anfangs sagt, nur das uns bekannte Nibelungenlied verwendet?

All das kann im Unterricht geklärt werden. Möglich wäre hier das Gruppenpuzzel etwa um sich mit den verschiedenen Stoffen auseinanderzusetzen. Die größeren Zusammenhänge müssen wahrscheinlich in einem Lehrervortrag zusammengestellt werden. Grade die Dramen eignen sich zum inszenieren. Möglich ist auch eine Nachahmung Hebbels. Ein kreativer Umgang mit der Materie, der den Schülern nicht nur formale Unterschiede zwischen Prosaerzählung und Drama auflistet, sondern auch die praktische Umsetzung erläutert. Wie kann ich denn Kampf mit dem Drachen darstellen, muss er überhaupt Erwähnung finden? Wie stellt man Hagen als das heraus, was er ist.

Das Nibelungenlied eignet sich wie gezeigt hervorragend für die Schule. Es wäre Zeit es von seiner ideologischen Last zu befreien und es mit neuen Augen zu entdecken.

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