Die Frage nach den Grenzen eines Stadtteils, der – wie Wichlinghausen – selbst eine Grenzregion ist, wirft spannende Fragen auf – vor allem, wenn man diese unter historischen Aspekten betrachtet. Denn eine Sache ist klar: Grenzen sind immer politisch. Es gibt keine natürlichen Grenzen. Was es gibt, sind Gegebenheiten in der Landschaft, die politisch als Grenze genutzt werden. Fließende Gewässer, Berghöhen und Ähnliches bieten sich dafür an. Aber auch künstlich geschaffene Einrichtungen werden gerne genutzt.
Ein gutes Beispiel dafür bieten die Grenzen der beiden Wahlbezirke Wichlinghausen-Nord und Wichlinghausen-Süd, die recht klar gezogen sind. Nimmt man sie als Einheit des Bezirks Wichlinghausens wird diese im Nordwesten durch die Autobahn A 46 und die Märkische Straße eingegrenzt. Im Norden und Nordosten bilden verschiedene Gewässer, wie etwa der Markland-Siepen oder die Schellenbeck die Grenze. Im Westen wird diese Einheit durch den Straßen verlauf von Beule und Diek gezogen. Im Süden und Südwesten ist es, die Nordbahntrasse den Bezirk eingrenzt und nach Osten trennt die Westkotter Straße Wichlinghausen vom Wahlbezirk Sedansberg ab.
Abgesehen von den Bächen im Nordosten wird keine in der Landschaft natürlich vorkommende Gegebenheit als Grenze benutzt, was die Frage aufwirft, wie die Grenzen Wichlinghausens gezogen wurden, bevor es die Straßen, die Autobahn oder die Rheinische Bahnstrecke gab. Gerade letztere ist definitiv die neueste von Menschenhand genutzt Grenze, denn vor den 1870er Jahren kann hier keine Grenze gewesen sein. Als Anhaltspunkt, wie man davor die südliche Grenze zu Wichlinghausen zog, müssen hier die Straßennamen und Beschreibungen aus älterer Zeit genutzt werden.
Der Name Krühbusch ist ein solcher Straßenname. Er bedeutet wohl Krautbusch, was auf nicht besiedeltes Land hindeutet, auf dem Unkraut in Büschen wuchs. Eine solche zugewucherte Freifläche ist eine ideale Grenze. Weiter nach Westen folgen mit dem Sonnabend und dem Fatloh Ortsbezeichnungen, die in Akten und Karten des frühen 19. Jahrhunderts als bewaldet galten. Auch Wälder sind ein Hinweis auf Flächen, die nicht bewirtschaftet waren und daher als Grenzen gelten konnten. Damit reichte Wichlinghausen im Südosten weiter an die Wupper heran als der Wahlbezirk Wichlinghausen-Süd suggeriert, während die heutige Grenze im Südwesten ziemlich genau mit einer früheren Grenze zusammenläuft.
Auch die Grenzen von Kirchengemeinden sind für eine historische Betrachtung von Bedeutung. Da sie oftmals weiter zurückreichen als staatliche Gebilde, festigen sie einst gesetzte und heute längst vergessene Grenzen. Daher mag es den ein oder anderen dann doch verwundern, wenn er für einen evangelischen Gottesdienst in Wichlinghausen in die Stahlstraße muss, eine Straße also die westlich der Westkotter Straße liegt und damit gar nicht mehr innerhalb des politischen Bezirks Wichlinghausen.
Um dieses Phänomen zu klären, muss man bis in die Zeit Karls des Großen zurück, der nachdem er im Jahre 804 die Sachsen besiegt hatte, das eroberte Gebiet zum Teil des Frankenreichs machte. Um diese Regionen besser kontrollieren zu können, teile er sie in Grafschaften ein. Eine Grenze verlief mitten durch das heutige Wuppertal und teilte eine westfälische Grafschaft von einer rheinischen Grafschaft. Wo genau deren Grenze verlief, ist äußerst spekulativ. Eine Vermutung geht dahin, dass sie Ober- und Unterbarmen teilte, so dass die Westgrenze der westfälischen Grafschaft mit der Westgrenze Wichlinghausens identisch war. Man kann also davon ausgehen, dass um das Jahr 800 herum Wichlinghausen bis zur Leimbach ging und damit den nördlichen Teil des Sedansbergs und Teile des Hatzfelds mit einschloss. Dieses wird durch die Tatsache bestätigt, dass Teile von Hatzfeld bis zur Gründung der gleichnamigen Gemeinde 1954 von den Pfarrern aus Wichlinghausen betreut wurde.
Für das späte 14. Jahrhundert ist die Festigung dieser Grenze entlang der Leimbach durch die Landwehr des Amtes Beyenburg belegt. Diese Grenze macht deutlich: Wichlinghausen selber gehörte gar nicht zum bergischen Amt Beyenburg, sondern zum märkischen Amt Wetter und somit zu Westfalen. Die oftmals als Grenze zu Westfalen bezeichnete Schellenbeck kann daher höchstens eine Grenze zu Nächstebreck sein. Sie wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts festgelegt. Das Hofgericht Wichlinghausen jedoch entschied bis 1808 im Namen der brandenburgischen Herrscher, so dass die Schellenbeck zwar eine territoriale Grenze zog, aber keine rechtliche. Dazu kam es erst im Laufe des 19. Jahrhunderts.
Dieses Hofgericht Wichlinghausen regelte stellvertretend für den Amtmann von Wetter Verkaufs- und Vererbungsangelegenheiten. Aus seinen Protokollen geht die Zuständigkeit für verschiedene Höfe hervor. Dazu gehören neben den Höfen Bilten, Müggenburg, Tütersburg, Schimmelsburg, Wiesche und den Gütern Winkelmann, Braselmann (im Bereich Vockendahl und Stollenstraße) sowie Neuen Haus (auf dem Bergischen Plateau) auch Höfe an der Hardt, in der Schönebeck, auf dem Loh, zur Scheuren, im Werth und der Bredde sowie Heckinghausen und Bockmühle.
Die Lage Wichlinghausens als Grenzregion wird vor allem daran deutlich, dass auch das Amt Beyenburg von vier Höfen weiß, die in der Amtsrechung von 1467 zu Wichlinghausen gehören. Am Markt selber waren dies die Höfe Wyneke (wahrscheinlich heute das Haus Tütersburg 20), Goebel und Goebel Roggen (Sparkasse und Teichstraße) und schließlich Göckel (an der Ecke Wichlinghauser Straße/Westkotter Straße). Hinzu kommen Klingelholl, Leimbach, Riescheid und das Westkotten sowie das Haus am Dahl, das einmal in der Tütersburg stand. Man sieht deutlich, wie kompliziert eine territoriale Grenzziehung des Bezirks Wichlinghausen ist. Wer sich also mit Wichlinghauser Geschichte beschäftigen will, muss sich klar machen, dass seine Grenzen eine äußerst ambivalente Angelegenheit sind.