Wer durch Wichlinghausen spaziert, muss nicht einmal mit offenen Augen bewusst nach ihnen suchen: Den vielen kleinen und großen Fachwerkhäusern, die das Stadtbild beinahe ebenso prägen, wie die Jugendstilwohnhäuser entlang der Wichlinghauser Straße.
Zahlreiche Häuser finden sich an vielen Stellen in Wichlinghausen. Sie wirken alt und oftmals wird dann ein Haus zum ältesten Haus in Wichlinghausen oder gleich in Barmen gemacht. Nur stimmt das? Sind die Fachwerkhäuser wirklich so alt? Zunächst gilt es dabei nämlich zu unterscheiden, denn Fachwerkhaus ist nicht gleich Fachwerkhaus.
Grob lassen sich die Wichlinghauser Fachwerkhäuser in vier Bauphasen einteilen. Die erste ist dabei die unsicherste und auch längste Bauphase. Sie umfasst die Zeit von den 1670er Jahren bis in die 1740er Jahre. Die Fachwerkhäuser, die in diesem Zeitraum entstanden sind wenige, aber dennoch kann man sie finden. Eines davon gehört heute der Predigerschule Johanneum unterhalb des Nordparks. Es handelt sich um das alte Hofeshaus des Hofes Klingelholl an der Melanchtonstraße. Mögen seine Fundamente auch in das 15. Jahrhundert zurückreichen, so ist der Bau selber aus dem späten 17. Jahrhundert. Jünger, nämlich aus dem frühen 18. Jahrhundert ist die Villa Wuppermann an der Ecke Breslauer Straße/Am Diek, die 1737 errichtet wurde, das vordere Gebäude aus der Teichstraße und auch das Haus auf dem Knapp in der Tütersburg 20. Auch viele der Häuser, die in den 1970er Jahren dem Neubau des Wichlinghauser Marktes weichen mussten, stammten aus dieser Zeit oder auch die alte Wichlinghauser Kriche von 1744, die 1927 abbrannte.
Die zweite Phase, in der in Wichlinghausen Fachwerkhäuser gebaut wurden, ist der Zeitraum von 1763, nach dem Ende des 7jährigen Krieges und, und dem Jahr 1806, als die Franzosenzeit beginnt. Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts ändern sich die Produktions- und Arbeitsbedingungen der Wichlinghauser Bandwirker, die neue, größere Stühle benötigen. Dazu bauen sie Fachwerkhäuser mit höheren Räumen und Anbauten für diese Stühle. Zu den Gebäuden, die aus dieser Zeit stammen, gehören nahezu alle Häuser auf der Westseite der Tütersburg. Ein alter Plan im Stadtarchiv, der das Anlegen einer festen Straße um das Jahr 1790 gezeigt wird, stellt die Tütersburg dar. Im Plan selber ist keines der Häuser, die dort heute stehen eingezeichnet, wohl aber das Haus auf dem Knapp, so dass diese Häuser allesamt aus der Zeit nach 1790 stammen müssen. Dazu passt auch der ehemalige Name der Eylauer Straße, die bis 1935 als Neue Straße bekannt war – wohl vor allem wegen der dort neu errichteten Häuser aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, und damit ein wenig älter als die Gebäude der Tütersburg. Für das Gebäude 15 gibt es eine ganz bezaubernde Quelle aus Kinderhand. Es handelt sich um einen Schulaufsatz des Jahres 1944, in dem Dieter Otto seinen Großvater nach der Geschichte seines Hauses befragt, das zum damaligen Zeitpunkt fast 200 Jahre alt war. Der Großvater gibt seinem Enkel einen Einblick in die Innenausstattung des Hauses:
„So, nun will ich dir noch etwas erzählen. Früher standen in diesem Haus Bandstühle, und weil sie so hoch waren, wurde ein großes Loch in die Decke gemacht, so dass dann die Stühle stehen konnten. Auf der ersten Etage sind die Decken so niedrig, dass man die Aufsätze auf einem Schrank nicht setzen kann. Manchmal muss man sogar die Beine absägen. Aber dies Haus hatte früher noch mehr sonderliche Dinge als heute. Auf der zweiten Etage ist ein kleines Zimmer, welches alle Bewohner „Sibirien“ nannten, so genannt, weil kein Sonnenstrahl hineinfiel und es im Winter bitterkalt war. Dort stand ein altes Bett. Es war sehr kurz, aber breit. Wenn sich der Schlafende streckte, ging das Bett auseinander, und die Matratze fiel auf die Erde.“

Auch die beiden Fachwerkhäuser in der Westkotter Straße gegenüber der Wichlinghauser Kirche und viele der Fachwerkhäuser aus der Alten Straße stammen aus diesem Zeitraum. Sie besitzen oftmals im hinteren Bereich einen Anbau, der genug Licht und Platz für Bandstühle bot. Viele der Fachwerkhäuser, die an der Märkischen Straße standen und stehen, sind wohl diesem Zeitraum zuzuordnen.
Erst mit der Zeit der Preußen beginnt die dritte Bauphase der Wichlinghauser Fachwerkhäuser, die nach 1815 einsetzte und bis in die 1850er Jahre andauerte. Mit ihr geht der Ausbau der Oststraße einher, die die Alte Straße als Hauptverkehrsweg ablöste. So gehören nahezu alle Fachwerkhäuser auf der Nordseite der unteren Oststraße in diese Zeit. Nach der Beschaffenheit einzelner Gebäude in der Matthäusstraße zu urteilen, muss man wohl auch die Fachwerkhäuser dort in diese Bauphase einordnen. Sie sind ein Beispiel für zwei unterschiedliche Entwicklungen. Zum einen zeigt sich in den kleineren Häusern die Zunahme der selbstständigen Bandwirker, die in Heimarbeit den Händlern in Wichlinghausen Bänder lieferten. Zum anderen zeigt sich in den Mehrfamilienhäusern ein Zuzug von Familien, wie es etwa im Haus Oststraße 7 der Fall ist. Dort wohnten zwei bis drei Familien zusammen, während im Dachstuhl und im Anbau im Hof die Bandwirkerstühle standen.
Die vierte und letzte Phase des Baues von Fachwerkhäusern fällt in die 1870er Jahre. Nach dem Ende der Einigungskriege wurde mit französischem Geld, auf das man Dank der Reparationen zurückgreifen konnte, durch die Barmer Baugenossenschaft für Arbeiterwohnungen und andere Baugesellschaften noch vereinzelt Fachwerkhäuser gebaut. Vor allem auf dem Sedansberg, in der Ortelsburger Straße und in der Nornenstraße kann man diese Bauten sehen.
Und was ist nun das älteste Gebäude in Wichlinghausen? Das dürfte der Turm auf dem Gelände des Johanneums unterhalb des Nordparks sein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich um einen spätgotischen Bau handelt, der aus dem Spätmittelalter, etwa aus dem 15. Jahrhundert stammt. Alter ist also durch massiven Stein und nicht durch Fachwerk gekennzeichnet.