Vor einigen Jahren war in den Nachrichten öfter von dem Geisterschiff „Lyubov Orlova“ zu lesen, das sich auf die irische Küste zu bewegt. Im Besitz eines Reeders, der es Abwracken lassen wollte, sollte es von Kanada aus zunächst in die Dominikanische Republik gebracht werden. Der Transport gestaltete sich aufgrund mangelnder Schleppinstrumente als fatal, das Schiff löste sich, wurde erneut eingefangen, aber in internationalen Gewässern von den Schleppschiffen abgehangen und treibt nun auf dem Atlantik mit nicht bekanntem Kurs Richtung Europa (Sietz 2013: 9).
Die kleine Geschichte hat nichts mit Fischerei zu tun. Das Schiff ist ein kleines Kreuzfahrtschiff und somit nicht einmal ein Fischerboot. Dennoch macht sie deutlich, welches politische Problem mit dem Meer verbunden ist. Ab einem gewissen Zeitpunkt hört die politische Zuständigkeit einzelner Länder auf. Das macht das Meer zu einem Ort, in dem ordnungspolitische Maßnahmen, die an Land greifen können, nicht funktionieren. Dieses stellt das erste und wichtigste Problem auch für die Fischereipolitik dar, denn was für das Meer als Ganzes gilt, gilt im Prinzip auch für seine
Bewohner. Fischschwärme sind national unabhängig, wem sie ins Netz gehen, ist daher von zufälliger Natur.
Diese Unbestimmtheit ist ein generelles Problem im Umgang mit natürlichen Ressourcen. Dennoch hat der Mensch von Anbeginn Mittel und Wege gefunden, dieses zu umgehen. Üppige Kornernten wurden gespeichert und für schlechte Zeiten verwahrt (Gen. 41, 25-36), Tiere wurden gezähmt und gezüchtet, um ihrer Habhaft werden zu können. Am Anfang menschlicher Zivilisation steht so die versuchte Beherrschung der Natur. Dem entzieht sich das Meer als für den Menschen nahezu
lebensfeindlicher Ort.
In diesem Bewusstsein muss jeder Seefahrer für die an Land gebliebenen ein Held sondergleichen sein, was wiederum dem Seefahrer bewusst ist. So wird auch der Beruf des Fischers, der das Meer nicht nur bezwingt, sondern ihm auch noch für den Menschen wichtige Lebensmittel entnimmt, zu einer Institution, die bewahrt wird, weil sie ein Hort der Ursprünglichkeit und des ewigen Kampfes des Menschen gegen die Umwelt ist (Griffin 2013: 35f.; Nellen/Dulcic 2008: 8ff.).
Dieser Umstand wird auch nicht dadurch gemindert, dass seit dem Ende des zweiten Weltkriegs die Fischerei zunehmenden industrialisiert wurde und uralte Probleme wie die Haltbarkeit zur See durch Tiefkühlbunker an Bord gelöst sind (Tardent 2005: 276). Vielmehr sorgte diese zunehmende Beherrschung des Elements für höhere Ausbeute bei den Fischzügen, was jedoch weltweit zu einem Problem mit den Fischbeständen führte, wie das Beispiel des Kabeljaus vor der grönländischen Küste zeigt. Trotz guter Umweltbedingungen waren die Fangerträge rückläufig, was mit einer qualitativen Steigerung der Fischereiindustrie zusammenhing (Stein 2011: 267f.). Die in den letzten dreißig Jahren festgestellte Veränderungen des Klimas, die nach Mehrheitsmeinung auch vom Menschen gemacht ist, führte zudem zu einer Versauerung des Meeres, was auf die Fischbestände Auswirkungen hat, da die Fische nun mehr mehr Energie in die Ausscheidung des CO2-Gehalts im Wasser verwenden müssen. (Jarchau et al 2009: 36; Pauly/Cheung 2011: 263).
Dennoch wird das Selbstbewusstsein der Fischer durch solche Einschränkungen kaum erschüttert. Damit ist ein weiteres Problem deutlich gemacht. Jegliche politisch gewollte Veränderung im Bezug auf Fischfangquoten wird durch die laute Stimme der Fischer entkräftet oder zumindest marginalisiert, stehen doch mit einer nachhaltigen Eingrenzung des Fischfangs durch Fangquoten Arbeitsplätze auf dem Spiel. Zudem könne eine national eingerichtet Quote, in den Augen der Fischer, zwar auf sie selber Auswirkungen haben, habe aber keine auf ausländische Kollegen, die die Pause der Einheimischen nützten, um ihrerseits in den ihnen nicht zustehenden Gewässern zu
fischen (Griffin 2013: 36).
Das Argument der Arbeitsplätze, deren Fehlen sich immer negativ auf internationale Vergleiche und nationale Wahlergebnisse (für Amtsinhaber) auswirkt, sorgt vielfach für eine eingeschränkte Art des Denkens, dem nicht mit ökologischen oder wissenschaftlichen Argumenten bei zukommen ist (Stein 269). Das zweite von den Fischern oftmals vorgebrachte Argument kann im Zuge supranationaler Organisation bezwungen werden. Innerhalb der Europäischen Union existiert dafür sogar das Instrument der Common Fisheries Policy (CFP), das jedoch daran krankt, dass neben verfehlten biologischen, ökologischen und auch rechtlichen Verfehlungen hier erneut von politischer Seite eher national als supranational agiert wird (Khalilian et al. 2010: 1181f.).
Im Zuge einer Liberalisierung von Zuständigkeiten sind gerade in Zeiten globaler Märkte die betroffenen Industriezweige gefragt, mit Ideen und Lösungen aufzutreten. Dabei muss nicht nur im Sinne eine Marketingkampagne gedacht werden, die sicherlich auch mitspielt, sondern auch im Sinne eines betriebswirtschaftlichen Handelns, das sich seiner Rolle in der Gesellschaft bewusst ist und daher bestimmt für eine nachhaltige Idee eintritt, die langfristig gesehen, auch dem Unternehmen selber nur nützen kann (Rüegg-Stürm 2002: 24ff.).
Es versteht sich von selber, dass ein Unternehmen selbst wenn es sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusst ist, anders agieren muss als ein von allen Bürgern getragener Staat. Ökologische Unterfangen sind Teil der Unternehmensstruktur, die durchaus nicht in allen Bereich zugänglich gemacht werden können, möchte das Unternehmen nicht der Konkurrenz Tür und Tor öffnen. Daher kann nur mit eingeschränkter Transparenz und damit zusammenhängend Teilhabe (je mehr Leute etwas wissen, desto höher ist das Risiko der Veröffentlichung) agiert werden. Dennoch ist die Grenzziehung zwischen gesellschaftlicher Verantwortung, die sich in einer großzügigen Informationspolitik ausdrückt, und stellungsgefährdeten Veröffentlichungen sicher nicht so starr, dass auf Grundsätzliches verzichtet werden kann, wie es zur Zeit bei vielen privaten Fischereiinitiativen der Fall ist (Fuchs et al. 2011: 364f.).
Es wäre jedoch verfehlt, als Ausgangspunkt für die bisher geschilderte Problematik einzig das Selbstbewusstsein der Fischer verantwortlich zu machen. Andere Probleme kommen hinzu und sind teilweise mit den Fischern verbunden. Während etwa innerhalb der EU durch die CFP durchaus ein Ansatz probiert wird, supranational im Fischfang zu agieren, ist eine dort getroffene Entscheidung für Länder außerhalb der EU, die aber dennoch Anrainerstaaten von Meeren sind, die auch im Einflussbereich der EU liegen, nicht bindend.
Während aber mit Länder der westlichen Welt ohne Probleme über gemeinsame bilaterale Vertrage gesprochen werden kann, ist dies bei Ländern der Dritten Welt nicht unbedingt möglich. Fehlende staatliche Infrastruktur und Verwaltung kann zur Nichteinhaltung der Verträge durch einzelne Individuen führen, deren Verstoß zudem nicht geahndet wird. Solche Verstöße haben oftmals auch damit zu tun, dass bei dem Wegfall des Fischerberufs nicht nur ein Arbeitsplatz fehlt, sondern zusätzlich das einzige Einkommen oder die Verpflegung der ganzen Familie wegfällt.
Selbst die Einhaltung solcher Verträge kann aber negative Folgen für den einzelnen Fischer haben. Die Industrialisierung der Fischerei mag für den europäischen Fischer üblich sein, der westafrikanische Fischer jedoch kann sich solcher Maschinerie nicht bedienen. Die Fangquoten der vollindustrialisierten Schiffe sorgen für ein Ausbleiben des Fangs beim einheimischen Fischer, was die erwähnten Auswirkungen auf dessen Leben hat (Jarchau et al. 2009: 35). Abhilfe kann hier ein so genanntes Regional Advisory Council (RAC) schaffen, an dem alle betroffenen Gruppen ihren Anteil haben. Neben nationalen Fischereiverbänden nehmen auch Umweltschutzorganisationen, Kundenvertreter und andere Interessengruppen an einem solchen Konzil teil und probieren dort gemeinsame Lösungen für die Überfischung zu finden. Am Beispiel
des für die Nordsee zuständigen RAC zeigt sich jedoch, dass die Fischerverbände ein Gros der Teilnehmer ausmachen, was etwa eine demokratische Abstimmung gegen deren Interessen erschwert. Wissenschaftliche Teilnehmer, die festgefahrene Diskussionen durch empirische Fakten lösen könnten, gehören dem Rat gar nicht an (Griffin 2013: 44 ff.)
Dieser Umstand ist ärgerlich, wenn man bedenkt, dass das Wissen der Fischer oftmals sehr auf ihren persönlich-kollegialen Umkreis beschränkt ist. Darüber hinausgehenden Zusammenhänge zur Ökologie des Meeres, ökonomischen Auswirkungen, politischen Verwicklungen oder historische Zusammenhänge bleiben so außen vor (Griffin 2013: 36).
Dabei ist die historische Entwicklung von Fischerei und Fischerkultur durchaus hilfreich. So wurde bis in die achtziger Jahre davon ausgegangen, dass der Hering etwa niemals vom Aussterben bedroht sein könnte (Delort 1987: 232), eine Vorstellung, die sich als trügerisch herausgestellt hat (Jarchau et al. 2009: 33). Dennoch gab es auch in der Vergangenheit Stimmen, die bereits auf eventuelle Engpässe innerhalb des Fischbestands aufmerksam gemacht haben und Lösungen ersannen, um dem entgegen zu wirken, wie das Walther Herwig tat (Wegner 2012: 98ff.).
Wichtiger aber ist dennoch die naturwissenschaftliche Perspektive. Diese ist aber durchaus eingeschränkt. Die Tatsache, dass das Meer sich einer wirklichen Messung entzieht, bedeutet auch, dass die Fischereiwissenschaft nur auf statistische Erhebungen zurückgreifen kann, weil eine wahre Ziffer über Bestände nicht ermittelt werden kann (Tardent 2005: 278).
Diesem und anderen Problemen ließe sich leicht entgegentreten, bestünde die Möglichkeit, die der Mensch seit der Neolithischen Revolution für Haustiere nutzt: Die Zucht der Fische. Bei dieser etwa bei Lachs durchaus in Ansätzen erfolgreichen Alternative,, aber existieren andere Probleme.
So sind die Larven der Fische nicht nur extrem krankheitsanfällig, auch existiert kein Wissen darüber, was diese als Nahrung benötigen. Ohne dieses Wissen aber kann ein Zuchtprogramm nicht funktionieren, so dass sich etwa in Japan mit der Umgehung des Problems geholfen wird, Lösungen aber nicht gefunden werden (Tardent 2005: 282).
Da somit diese Möglichkeit ausscheidet, bleiben schließlich nur zwei Möglichkeiten, die Hand in Hand gehen müssen. Zum einen ist eine Rekrutierung der Fischbestände nötig, was durchaus mit einem temporären Fischfangverbot einhergehen kann und bei manchen Beständen sogar muss. Dabei ist auf das Wissen und die Expertise von Fischereiwissenschaftlern zurückzugreifen. Um ein weiteres Problem, das mit der Entscheidung für ein solches politisches Vorgehen einhergeht, zu lösen, ist es aber vor allem nötig, gleichzeitig ein öffentliches Bewusstsein zu schaffen, das die Problem der Überfischung ernst nimmt. Einzig öffentlicher Druck scheint als Lösung des Problems
möglich, um das Netz der primären Interessenvertreter zu durchdringen. Dazu kann es schon reichen, wenn sich Prominente öffentlich engagieren (Griffin 2013: 40).
Letztendlich muss zudem eine Weiterentwicklung der Technologie vorgenommen werden, die nicht allein darauf abzielt, möglichst hohe Fischerträge zu fangen, sondern die Möglichkeit bietet, Fische qualitativ auseinander zuhalten. Besteht diese Möglichkeit, können Fischereiseasons ähnlich den verschiedenen Jagdsaisons angelegt werden. Damit wäre eine hervorragende kompromissfähige Möglichkeit gegeben, alle Interessen zu befriedigen. Nur der Kunde müsste sich einschränken.
Fisch gäbe es zwar immer, aber Matjes würde mal für ein Jahr wegfallen.
Literatur:
- Delort, Robert (1987): Der Elefant, die Biene und der heilige Wolf. Die wahre Geschichte der Tiere, München: Hanser.
- Fuchs, Doris, Agni Kalfagianni, und Tetty Havinga. 2011. „Actors in Private Food Governance. The Legitimacy of Retail Standards and Multistakeholder Initiatives with Civil Society Participation“. Agriculture and Human Values 28 (3): 353-367.
- Griffin, Liza. 2013. Governance, Scale, and Power: A Case Study of North Sea Fisheries, London: Routledge.
- Jarchau, Peter; Nolting, Marc; Wiegler, Kai (2009): Nahrungsquelle Meer. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 6-7/2009, S. 33-38.
- Khalilian, Setareh; Froese, Rainer; Proelss, Alexander; Requate, Till (2010): Designed for Failure. A Critique of the Common Fisheries Policy of the European Union. In: Marine Policy 34 (6), S. 1178- 1182.
- Nellen, Walter; Dulcic, Jakov (2008): A survey of the progress of man’s interest in fish from the Stone Age to this day, and a look ahead. In: Historisch-Meereskundliches Jahrbuch 14, S. 7-68.
- Pauly, Daniel; Cheung, William L. (2011): Globale Prognosen der Auswirkungen der Erwärmung auf die Fischerei. In: Lozán, Jose L.; Graßl, Hartmut; Karbe, Ludwig; Reise, Karsten: Warnsignal Klima. Die Meere. Änderungen und Risiken, Hamburg: Wissenschaftliche Auswertungen, S. 259- 264.
- Rüegg-Stürm, Johannes (2002): Das neue St. Gallener Management-Modell. Grundkategorien einer integrierten Managementlehre. Der HSG-Ansatz, Bern: Haupt.
- Sietz, Hennig (2013): Alles klar auf der „Lyubov Orlova“? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Mai 2013, S. 9, online abrufbar: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/geisterschiffe-alles-klar- auf-der-lyubov-orlova-12170146.html (04. Mai 2013).
- Stein, Manfred (2011): Der Kabeljau und das Klima – Das grönländische Beispiel. In: Lozán, Jose L.; Graßl, Hartmut; Karbe, Ludwig; Reise, Karsten: Warnsignal Klima. Die Meere. Änderungen und Risiken, Hamburg: Wissenschaftliche Auswertungen, S. 265-270.
- Tardent, Pierre (2005) Meeresbiologie. Eine Einführung, Stuttgart: Thieme.
- Wegner, Gerd (2012) Walther Herwig und der Fisch, in Mahn, Anne; Wegner, Gerd: Frischer Fisch und Heidekraut. Walther Herwig. Präsident der Klosterkammer Hannover und „Vater der Fischer“, Rostock: Hinstorff, S. 87-129.