Irgendwo im Netz fand ich neulich den Spruch, der die Überschrift bildet. Er hat mich verwirrt. Schicksal oder Zufall? Wo ist der Unterschied? Lässt man sich beide Begriffe erklären, fällt eines recht schnell auf: Der Mensch kann von beiden beeinflusst werden, hat aber keinen eigenen Einfluss auf beide.
Der Unterschied zwischen beiden liegt daher auch nicht in der Wirkung auf den Menschen, sondern in der Ursache. Während der Zufall komplett unbestimmt passiert, ist das Schicksal durch eine überirdische Macht gesetzt. Der Mensch kann in beiden Fällen nicht wissen, was ihm passiert. Beim Zufall weiß niemand, was passieren wird, beim Schicksal gibt es, gehört man zu den Christen, Gott, der weiß, was passieren wird.
Damit stehe ich vor einem philosophischem Problem. Als einzelner Mensch kannst du entweder glauben, dass alles, was passiert, unbestimmt ist, oder du kannst daran glauben, dass es eine dir unbekannte Vorherbestimmung gibt. Die Gleichzeitigkeit beider Konzepte Zufall UND Schicksal schließt sich aus.
Aber selbst, wenn man in einem Gedankenexperiment einmal davon ausgeht, dass beide Phänomene gleichzeitig existieren könnten, hat man als Christ ein theologisches Problem. Denn Gott ist allgegenwärtig, immer, ohne Anfang und Ende. Vor ihm gibt es nichts, nach ihm gibt es nichts, denn er ist alles und immer. Wenn wir also Gott zum Bestimmer des Schicksals machen, und das sollten wir als Christen tun, bedeutet dies, dass er die Karten ausgibt, die aber vorher vom Zufall gemischt wurden. Da Gott aber kein Vorher hat, funktioniert der Spruch auch nicht auf dieser Ebene.
Einzig ein Ausweichen auf die Zeit vor dem Christentum, vor dem Judentum kann diesen Satz erklären. Wir landen somit also im Bereich des Heidentums. In den religiösen Vorstellungen zahlreicher Antiker Völker, auch der alten Babylonier, hat der Spruch in seiner zeitlichen Reihenfolge Sinn. In den religiösen Erzählungen existierte vor den aktuellen Göttern immer ein oder mehrere Vorgänger, zum Beispiel das Chaos. Zufall ist Chaos, weil es keine Ordnung im Zufall gibt. Bevor also die heidnischen Götter aufkamen existierte eine andere unbestimmte Entität, die durch das Auftauchen der Götter geordnet wurde. Die Götter nahmen dem Zufall nun die Karten weg, schauten sie sich genau an, prägten sie sich ein und verteilten sie, so dass sie genau wussten, was passiert. Für die alten Griechen war die chaotische Entität gar nicht verschwunden, sondern wirkte auf die Existenz der Götter ebenso ein wie auf die Existenz der Menschen. Diese fehlende Allmacht der Götter mag dazu geführt haben, dass die Griechen sich schnell zum Christentum bekannten, denn dort gab es Gott und sonst nichts.
Nun bringt der Blick in die Vergangenheit nichts, denn der Spruch soll ja für uns Heutige sein. Die gegebene Erklärung ist also weiterhin nicht hilfreich. Daher schaue ich mir jetzt einmal die Herkunft des Spruches an. Sucht man ihm im Netz findet man weder auf Deutsch, noch auf Französisch eine Entsprechung. Einzig ähnliche Sprüche sind zu finden. Auf Deutsch wird etwa der Philosoph Arthur Schopenhauer zitiert, der gesagt haben soll. Das Schicksal mischt die Karten, aber die Menschen und spielen. Dieser Spruch hat Sinn. Hier findet man sofort einen Ansatz. Zwar sind die Karten (durch Gott) vorgegeben, aber wir wir sie benutzten, liegt bei uns. Alle Gaben Gottes sind nützlich, schreibt Paulus im 1. Brief an die Korinther, und sollen daher entsprechend eingesetzt werden, um zu gewinnen, denn dies ist ja der Sinn eines Kartenspiels.
Auf Französisch schließlich finden wir eine Mischung aus unserem Spruch und dem Spruch Schopenhauers. Plötzlich gibt es einen Mischer, den Zufall, einen Verteiler das Schicksal, und einen Spieler, den Menschen. Dadurch bleibt auf der einen Seite Schopenhauers Appell an die eigenständige Nutzung von Gottes Gaben durch den Menschen bestehen, anderseits aber existiert auch der nur durch einen Schritt auf die heidnische Vergangenheit erklärbare Gegensatz zwischen Zufall und Schicksal weiter, die beide nicht zugleich existieren können, ohne die Allgegenwärtigkeit Gottes in Frage zu stellen.
Der Ausspruch stammt demnach nicht von einem Christen, sondern von einem Andersgläubigen, wohlgemerkt keinem Ungläubigen. Andersgläubige Menschen finden wir heute überall. Es sind Menschen, die ihren Glauben spirituell erklären, ohne Dogmen, ohne allmächtiges Wesen, aber mit vielen kleinen Naturgeistern oder zahlreichen Göttern. Diese verteilen die vom Zufall gemischten Karten. Ich brauche diese Spiritualität der wohlklingenden Worte nicht, dann lieber Schopenhauer: Das Schicksal verteilt die Karten, aber der Mensch spielt.