„O lieb’, so lang du lieben kannst!
O lieb’, so lang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!
Und sorge, daß dein Herze glüht
Und Liebe hegt und Liebe trägt,
Solang ihm noch ein ander Herz
In Liebe warm entgegenschlägt!
Und wer dir seine Brust erschließt,
O thu ihm, was du kannst, zu lieb!
Und mach’ ihm jede Stunde froh,
Und mach’ ihm keine Stunde trüb!“
Wer diese Zeilen liest und die träumerische Melodie eines Franz Liszt dazu im Ohr hat, bekommt unweigerlich ein Gefühl dafür, welche Wirkung Sprache haben kann. Die Verse stammen aus der Feder des Dichters Ferdinand Freiligraths und stellen die ersten drei Strophen seines wohl bekanntesten Gedichtes dar, dass er mit 19 Jahren schrieb, nicht etwa, weil ihn der Liebeskummer überkam, sondern, weil sein Vater verstorben war, an dessen Grab er die Zeilen gesprochen haben soll. Veröffentlicht aber wurde das Gedicht in einer bearbeiteten Form erst 1849, also etwa 20 Jahre später.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es allerdings bereits eine bewegte Vergangenheit hinter sich. Freiligrath nutzte das Gedicht mehrere Male, um sich mit Freunden auszusöhnen, bevor es 1845 durch Franz Liszt vertont und schließlich in der Gedichtsammlung „Unter den Garben“ vier Jahre später eigenständig veröffentlicht werden sollte.

So nutzte es der Dichter 1838 mehrmals, um sich bei Freunden brieflich oder persönlich für seine Launenhaftigkeit zu entschuldigen. Eine dieser Gelegenheiten trug sich im Bentheimer Hof in Hohenlimburg bei Hagen zu. Das geschah nicht zufällig, denn seit den Zeiten der Napoleonischen Kriege war diese Lokalität der Ort, an dem sich der Literarische Verein der Grafschaft Mark traf, wo man neben Literatur auch über politische und soziale Ideen diskutierte. Das Ergebnis dieser Diskussionen wurden in der Zeitschrift Hermann veröffentlicht. Es war also kein Zufall, dass sich Freiligrath hier aufhielt und auch zwei Freunden aus Barmen traf, beide nicht als Dichter oder Künstler bekannt, sondern als Kaufleute: Ernst von Eynern und Ludwig Elbers. Die drei Herren saßen zusammen mit anderen beieinander und verbrachten einen angenehmen Abend, der aber rasch enden sollte, weil Elbers am nächsten Tag pünktlich bei der Arbeit sein wollte. Der plötzliche Aufbruch des Kaufmanns missfiel dem Poeten Freiligrath und so kommentierte er dessen Abgang laut mit nicht überlieferten Worten, doch soll das Wort „Pedanterie“ gefallen sein. Darüber echauffierte sich der Barmer Kaufmann so sehr, dass er ohne Gruß nach Hause aufbrach.
Freiligrath nahm sich diesen unschönen Abschied selber schwer zu Herzen und besuchte Elbers am folgenden Tag in Barmen. Dieser war allerdings noch immer abweisend und wollte von Freiligrath nichts wissen. Daher verließ ihn der Dichter mit den Worten: „Nun wohl, wenn Du mit mir nichts mehr zu tun haben willst, so behalte dieses Blatt zum Andenken!“ und lies dabei das Blatt liegen, auf dem sich dieses Gedicht befand. Elbers warf einen Blick auf die Zeilen und erkannte zwei neue Strophen des alten Gedichts, die Freiligrath in der Nacht aufgeschrieben hatte:
Und wer dir seine Brust erschließt,
O thu’ ihm, was Du kannst, zu lieb!
Und mach’ ihm jede Stunde froh
Und mach’ ihm keine Stunde trüb!
Und hüte Deine Zunge wohl;
Bald ist ein boses Wort gesagt!
O Gott, es war nicht bös gemeint –
Der andre aber geht und klagt.“
Daraufhin verzieh er seinem Freund auf der Stelle, rief ihm nach: „Komm her, alter Freund!“ und umarmte ihn.
So berichtete es zumindest unter anderem die Gartenlaube, jene im 19. Jahrhundert berühmte bürgerliche Zeitschrift, in der über Kunst und Kultur in Deutschland geschrieben wurde. Natürlich kann man sich bei den Geschichten um dieses Gedicht durchaus kritische Fragen stellen. Wenn ein einziger Text ganze drei Mal innerhalb seiner Rezeptionsgeschichte genutzt wird, um Freunde wieder zu beruhigen und es dabei zwei Mal darum geht, dass der Autor einen früh von einer Feier aufbrechenden Freund beleidigt, dann drängt sich schon der Gedanke auf, dass diese Geschichten nicht ganz der Wahrheit entsprechen und zumindest teilweise eher ein literarisches Motiv bilden.
Immerhin: Der Heimatverein Hohenlimburg hat den Geschehnissen im Bentheimer Hof eine Gedenktafel gestiftet und verbürgt sich so für den Wahrheitsgehalt der Erzählung aus der Gartenlaube, wenn auch diese von 1841 spricht, die Gedenkplatte aber von 1838. Festzustehen scheint, dass die berühmte Version des Gedichts aber aus der Zeit stammt, als Freiligrath in Barmen lebte und arbeitete. Er war 1837 nach Barmen gekommen, um als Buchhalter bei der Firma J.P. von Eynern zu arbeiten. Seine neue Wirkungsstätte gefiel dem Dichter, der vorher im mondänen Amsterdam gelebt hatte, gar nicht. Er schimpfte über das „vermaledeite, prosaische, kleinstädtische, dünkelhafte Nest“, für das er Barmen hielt. Erst nach einem Umzug von der heutigen Zähringer Straße in Wupperfeld an den Werth in die Mitte Barmens fühlte er sich wohler, wenn er dennoch nicht lange blieb.
Seinen anfänglichen Unmut mag man ihm kaum verdenken. Die Zähringer Straße, früher als lutherische Kirchstraße bezeichnet, steht buchstäblich im Schatten der Wupperfelder Kirche, die zu jener Zeit das geistige Zentrum Wupperfelds bildete. Der Werth hingegen war mit der Concordia und den Bürgerhäusern ein ganz anderes Pflaster. Der junge Poet erwies sich jedoch unter allen Umständen als geschickter Netzwerker. So verstand sich auch gut mit dem Sohn seines Chefs Ernst von Eynern. Unweit von Freiligraths Wohnstätte in Wupperfeld muss der Dichter auch auf den nur zwei Jahre jüngeren Ludwig Elbers gestoßen sein, der in der Sternstraße wohnte. Diese Freundschaften hielt über Jahrzehnte hinweg, so dass noch in den 1860er Jahren Elbers und von Eynern in zahlreichen deutschen Zeitungen und Magazinen einen Aufruf starteten, um den verarmten Freiligrath aus dem Londoner Exil zurück nach Deutschland zu holen. Ludwig Elbers gab seinen Namen und seine Adresse an, so dass Spenden an ihn geschickt werden sollten, um eine Zersplitterung zu vermeiden. Als die Spendensammlung erfolgreich war, begrüßte Elbers den Dichter in seinem Haus in Oberbarmen, wo auch der Gesangsverein der Oberbarmer Liedertafel ein Ständchen für Freiligrath gab.
Wer war dieser Mann, der das Schicksal des wesentlich berühmteren Dichters mitbestimmen sollte? Geboren wurde Konstanz Ludwig Elbers im Dezember 1812, bald darauf erfolgte die Taufe. Sein Großvater war bereits Ende des 18. Jahrhunderts von Lüttringhausen aus nach Wichlinghausen gezogen und hatte im Bereich des Dieks, wie die Protokolle des Wichlinghauser Hofgerichts verraten, Land erworben. Die Familie war dann auch für kurze Zeit dort wohnhaft, so dass Ludwigs Vater in Wichlinghausen getauft wurde. Durch die Heirat mit Juliana Teschemacher konnte Ludwigs Vater in eine der ältesten Familien des Wuppertals einheiraten und so verlegte die Familie ihren Lebensmittelpunkt von Wichlinghausen nach Barmen. Dort wurde Ludwig 1812 geboren, doch die Ehe seiner Eltern stand unter keinen guten Stern. Sie wurde 1820 geschieden – in den streng pietistischen Kreisen, aus denen sowohl die Familie Elbers (Ludwigs Urgroßvater war Pfarrer) als auch die Familie von Juliana (aus den Reihen der Teschemacher stammt einer der bedeutendsten Orgelmacher des 18. Jahrhunderts) kam, ein Novum und Skandal ohne gleichen. Dennoch war es Ludwig Elbers möglich die familiären Netzwerke für seine eigenen beruflichen Interessen zu nutzen. Diese erstreckten sich vor allem auf die Stadt Hagen, in denen die Elbershallen noch heute ein Begriff sind und wo sich die Familie Elbers auch durch den Kauf eines Straßennamens, dem Elbersufer an der Volme, verewigt hat. Die Ursprünge der Familie lassen sich bis in das 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Im 18. Jahrhundert trennten sich verschiedene Familienstränge von Hattingen aus nach Wuppertal und Hagen.
So wurde Ludwig Kaufmann, promovierte zum Doktor der Medizin an der Universität Bonn über das flüssige Pech und schaffte es durch dieses Interesse in späteren Jahren zum Geschäftsführer der Philipp Kayser Chemiefabrik in Wichlinghausen.
Wie es sich für einen Kaufmann der damaligen Zeit gehörte, engagierte sich Ludwig auch politisch und war in den 1850er Jahren im Gemeinderat der Stadt Barmen aktiv. Hier war er als Vertreter der zweiten Klasse abgesandt worden, was aber nicht etwa hieß, dass Elbers auch finanziell in diese Klasse gehörte. Als gut gestellter Kaufmann war er finanziell so unabhängig, dass er selbst höher stand als die gut 500 Mitglieder der zweiten Klasse, von denen in Barmen jedoch nur 107 Männer zur Wahl kamen. Er erhielt von ihnen 44 Stimmen. Viel Lust hatte Ludwig auf die Politik jedoch nicht. Keine vier Monate später, im März 1854, teilte die Barmer Zeitung mit, dass erneut gewählt werden müsse, da die Position von Elbers frei geworden sei. Dennoch kandidierte er 1855 erneut, diesmal als Abgeordneter der 3. Klasse, wurde gewählt, lehnte die Wahl aber ab. Elbers schwankte, das zeigt sich deutlich, zwischen seinem Auftreten als öffentliche Figur und seinen eigentlichen Interessen. Die politische Rolle scheint Ludwig nicht geschmeckt zu haben, doch war es sein Vater, der sich öffentlich zur liberalen Partei bekannte und zur Wahl dieser Partei aufrief, der den 45jährigen Ludwig dazu anhielt, öffentliche Positionen zu bekleiden.
Ludwigs Interessen lagen jedoch, wie man sich denken kann, in einem ganz anderen Bereich. So nahm er zusammen mit Freiligrath, Emil Rittershaus oder auch Otto Hausmann 1869 als Ehrengast am Arion-Festival in Bielefeld teil, an dem Musik und Literatur zelebriert wurden. Wichtig war dabei, dass nicht nur die professionellen Dichter und Musiker eine Bühne bekamen, sondern dass auch Amateure und Laien-Vereine ihr Können vor Publikum zeigen konnten. Nach dem Tode des Vaters lebte Elbers diese Passion weiter aus. Als Mitglied des Festkomitees des Rheinischen Bundes-Sängerfestes organisierte er das erste Fest dieser Art in Barmen und lud dazu zahlreiche Gesangsvereine aus dem ganz Rheinland in seine Heimatstadt ein. Wenig später gehörte er auch zu einem Komitee, das die Werke von Emil Rittershaus in Subskription herausgab. Nach dem Tode Freiligraths organisierte Elbers eine Totenfeier für den Freund, die von der Oberbarmer Liedertafel musikalisch begleitet wurde.
Ludwig Elbers war aber nicht nur Organisator solcher Veranstaltungen, sondern auch Berichterstatter. In seinem Nachruf in der Barmer Zeitung vom 1. März 1889, lobt man seine Konzertkritiken, die er bis in die 1860er Jahre publizierte.
Die letzte Ehre erwies die Stadt Barmen dem Kaufmann, Mäzen, Kulturorganisator, Konzertkritiker und Freund Freiligraths, Ludwig Elbers, durch die Benennung der 1889 neu errichteten Elbersstraße in Wichlinghausen, die wohl nicht zufällig an die Chemiefabrik grenzte, die Elbers geleitet hatte. Heute führt die Elberstreppe zudem zur Elbersstraße herauf. Ein Hingucker sind die in die Stufen eingelassenen Mosaike, die seit 2021 die Treppe verschönern sollen.