Russland und Afrika – Eine Beziehung zwischen Abhängigkeiten und Nostalgie

Einleitung: UN-Resolution ES-11/1

Keine Woche nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, genauer am 2. März 2022, wurde auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen eine von 94 Staaten eingebrachte Resolution verabschiedet, die Russlands Vorgehen verurteilte. Die Abstimmung hinterließ bei einigen Vertretern westlicher Staaten einen sehr faden Beigeschmack. Sie hatten natürlich damit gerechnet, dass Russland selbst die Resolution ablehnt, doch dachten sie, die Resolution sei ein No-Brainer, der auf breite Akzeptanz stieße.

Im Prinzip hatten sie auch Recht. Neben den 94 Initiatoren stimmten noch weitere 47 Staaten für die Resolution, doch neben Russland stimmten vier weitere Länder dagegen und ganze 35 enthielten sich ihrer Stimme, zwölf weitere Länder waren gar nicht erst erschienen. Der erwähnte fade Beigeschmack ergab sich aus der Tatsache, dass sich ganze 18 afrikanische Staaten auf ihr Recht zurückzogen, sich zu enthalten. Mit Eritrea stimmte sogar ein weiteres Land Afrikas gegen die Resolution.

Seitdem wird lebhaft darüber gestritten, wie es so weit kommen konnte. Eine beliebte Theorie hat dabei mit der europäischen Kolonialgeschichte zu tun. Die afrikanischen Staaten, so hört man in so manchem politischen Kommentar, hätten sich ihrer Stimme enthalten, weil sie den Europäern die Kolonialzeit noch immer übelnähmen und Russland keine Rolle dabei eingenommen hätte, Afrika zu kolonisieren.

Das ist, mit Verlaub, ziemlicher Unsinn und dies aus zwei Gründen. Zum einen spielte Russland in der Neuzeit durchaus eine Rolle bei der Kolonialisierung Afrikas, zum anderen sollte man aufhören, politische Entscheidung afrikanischer Staaten in der heutigen Zeit immer noch davon abhängig zu machen, welche gemeinsame Geschichte sie mit Europa haben. Als ob es nicht in der Gegenwart genug Dinge gäbe, die solche Entscheidungen beeinflussten.

Teil I: Das Zarenreich und Afrika

Aber gehen wir doch zunächst der Mär auf den Grund, Russland sei keine Kolonialmacht in Afrika gewesen und begeben uns zurück in das Berlin des Frühjahrs 1885. Nach monatelangen Verhandlungen endete die Kongokonferenz mit einer Generalakte, die die europäischen Machteinflüsse in Afrika absteckte. Unterschrieben wurden die Akte von Vertretern Englands, Frankreichs, Deutschlands, Belgiens, des osmanischen Reichs, der USA, Dänemarks, Spaniens, Portugals, der Niederlande, Österreich-Ungarns, Italiens, Schwedens und – des Zarenreichs Russland.

Liest man sich die Generalakte aufmerksam durch, zeigt sich, dass die Unterzeichner sich mehrere Schlupflöcher aufhielten, um eventuelle Gebietsansprüche gegenüber den anderen Vertragspartnern anzumelden. Dass dabei afrikanische Interessen weitgehend außen vor blieben, sei angemerkt. Eines dieser Schlupflöcher nutzte Russland vier Jahre später, um sich am Horn von Afrika niederzulassen. Was zunächst als eine christliche Mission geplant war, um die Verbindung zwischen der russisch-orthodoxen und der äthiopisch-orthodoxen Kirche zu festigen, wurde innerhalb Russlands beziehungsweise der einflussreichen Aristrokratenschicht des Landes zu einer Unternehmung nationaler Bedeutung.

Die Initialzündung dafür ging aus von Nikolai Ashinov, einem Kosaken, also einem Mitglied einer freien Reitertruppe, in der sich viele osteuropäische Abenteurer tummelten. In dieser Funktion hatte er sich bereits 1883 als Anführer einer solchen Truppe die Küste des Schwarzen Meeres im Auftrag der russischen Krone zu kolonisieren versucht und dabei gute Kontakte zu russischen Händlern und Industriellen aufgebaut. Aber auch zur intellektuellen und kirchlichen Elite des Zarenreichs pflegte er gute Kontakte. Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, an der Schwarzmeerküste eigenen Interessen nachzugehen, die im Widerspruch zur russischen Staatsdoktrin standen, so dass er von anderen einflussreichen russischen Behörden gesucht wurde und nach Konstantinopel floh. Hier kam er in Kontakt mit britischen Unterhändlern und Diplomaten, die ihm von den paradiesischen Zuständen in Äthiopien erzählten.

Ashinov war sofort von der Idee einer russischen Kolonie in Äthiopien begeistert, denn seit den 1860er Jahren gab es in Russland die wieder aufflammende Idee, dass die orthodoxen Kirchen von Russland und Äthiopien Verbindungen aufnehmen sollten. Hinzu kam, dass Italien auch Ansprüche auf das äthiopische Kaiserreich anmeldete, was unbedingt zu verhindern war, denn das katholische Italien musste von den orthodoxen Christen Äthiopiens ferngehalten werden und das Geld, das Ashinov und sein Netzwerk zu verdienen hofften, durfte auf keinen Fall an die Italiener gehen.

So kam es ihm sehr gelegen, dass die Engländer ihm zutrauten für sie Waffen nach Afghanistan zu schmuggeln, die ihre Armee dort brauchte. Sie gaben ihm dafür finanzielle Mittel an die Hand und Ashinov ging mit diesem Geld gleich in die russische Botschaft in Konstantinopel und informierte die Behörden über die englischen Pläne. Das britische Geld nutze er, um die Expedition nach Äthiopien zu finanzieren. Im offiziellen staatlichen Auftrag handelte Ashinov nicht, aber das war bei vielen späteren europäischen Kolonien in Afrika anfangs ebenso gewesen. Private Akteure richteten sich ein und hofften bei Problemen auf ihre Mutterländer, die dann erst aktiv wurden.

Einen solchen Plan, der ihm außerdem den Haftbefehl aus seinen Verfehlungen an der Schwarzmeerküste vom Hals schaffen sollte, verfolgte Ashinov wohl auch. Er hatte allerdings übersehen, dass es in Äthiopien mit Kaiser Johannes IV. bereits einen im internationalen Konzert der Mächte durchaus anerkannten Herrscher in dem Land gab, das er kolonisieren wollte. Johannes IV. hatte vor geraumer Zeit bereits versucht, Kontakt mit dem russischen Zaren zu knüpfen, war aber abgewiesen worden. Als er erfuhr, dass russische Privatiers ohne staatlichen Auftrag eine Audienz bei hm wünschten, zeigte er ihnen die kalte Schulter. Das hinderte Ashinov allerdings nicht daran, dem Gouverneur der äthiopischen Provinz an deren Küste er angelegt hatte, das Gegenteil zu erzählen. Diesem Offiziellen, Ras Alula, lag mehr an eigenen guten Verbindungen zu Russland und so vertraute er dem Fremden, der ihm erzählte Kaiser Johannes habe ihm eine staatliche Erlaubnis gegeben, Waffen in Europa für Äthiopien zu kaufen, und erstellte ein offizielles Dokument. 

Ashinov suchte tatsächlich nach Waffen, die er nach Äthiopien hätte schicken können, wurde dabei aber von zahlreichen Agenten unterschiedlichster Mächte ausspioniert, die immer wieder probierten, den Kosaken an die osmanischen Behörden auszuliefern. In der Zwischenzeit hatten Freunde Ashinovs es in Moskau geschafft, den Strafbefehl gegen ihn fallen zu lassen, was ihm eine Rückkehr ins Zarenreich garantierte. Mit Hilfe eines franzöischen Adeligen, der als äußerst russophil galt, gelangte Ashinov sogar in den Besitz französischer Waffen, die er nach Äthiopien bringen sollte. Dieser geheime Plan blieb nicht lange geheim und so wollten französische Behörden vor Ort verhindern, dass die Schiffe mit den Waffen an Bord ihr Ziel erreichten. Nun kam Ashinov aber zugute, dass er auch dafür gesorgt hatte, dass man ihm russisch-orthodoxe Missionare mitgab, die das Ziel der orthodoxen Annährung umsetzen sollte. Diesen konnten die Franzosen wegen der Beschlüsse der Kongokonferenz, die Missionaren freies Geleit garantierten, denDurchgang nicht verwehren und so sollten die Waffen doch noch an ihr Zeil gelangen.

Als diese russischen Schiffe an der afrikanischen Ostküste anlangten, machten sich Ashinov und die seinen daran, das aufgegebene ägyptische Fort Sagallo in Besitz zu nehmen, das im französisch kontrollierten Somaliland, dem heutigen Dschibuti, lag. Die Franzosen protestierten und stellten ein Ultimatum, das Ashimov ignorierte. Auch die einheimische Bevölkerung, die sich zunächst Hoffnungen gemacht hatte, die Russen würden ihnen gegen die Franzosen zur Seite stehen, waren aufgrund des Verhaltens Ashinovs mehr und mehr gegen ihn, so dass die Russen aus ihrem Fort nicht mehr rauskamen und kein Handel mehr möglich war. Die Franzosen bombardierten daraufhin das russische Fort, nahmen es ein und schickten die Gefangenen wieder ins Zarenreich.

Damit endeten die russischen kolonialen Bestrebungen in Afrika zwar nicht, aber sie beschränkten sich in Zukunft tatsächlich auf eine kirchliche Vernetzung, bis der Ausbruch des russisch-japanischen Kriegs auch diesen Bestrebungen ein Ende setzte.

Das Beschriebene ist nur eine Episode, aber die Vorstellung, dass Russland mit einem besser organisierten Plan Kolonialmacht in Afrika hätte werden können, ist nicht von der Hand zu weisen, zumal es ja einen Grund gab, warum das russische Zarenreich 1884/5 nach Berlin eingeladen worden war, denn der russische Einfluss in Afrika begann nicht erst in den 1880er Jahren. Die russischen Kolonialpläne gehen bis in das Mittelalter zurück und stützen sich – wer hätte es gedacht – auf die Verbindung der orthodoxen Kirchen, so soll der als Apostel verehrte Kiewer Großfürst Wladimir der Große, zum damaligen Zeitpunkt Herrscher über das europäische Russland, bereits 1001 Gesandte nach Ägypten geschickt haben und auch der mittelalterliche Kreml unterhielt Beziehungen zum Patriachat von Alexandria.

Doch erst im 17. Jahrhundert, als sich langsam die zweite Welle der europäischen Kolonialmächte England und Frankreich machten, den Status Spaniens anzugreifen, ist es auch Russland, das auf der Weltbühne eine Rolle spielen wird. Für andere europäische Mächte war Russland bis zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich von Bedeutung gewesen, hielten es die Westeuropäer doch für unterentwickelt und unchristlich – orthodoxes Christentum hin oder her. Allerdings beruhte dieses Verständnis auf Gegenseitigkeit, denn auch für die Russen war das westliche Europa nicht ernst zu nehmen, was unter anderem an der Reformation lag, mit der die orthodoxen Russen wenig anzufangen wussten.

Das 17. Jahrhundert war aber auch die Zeit, in der die Expansion des osmanischen Reichs bedrohliche Züge annahm. Noch bevor die Armee des Sultans 1683 zum zweiten Mal vor Wien stand und nur durch das Eingreifen der polnischen Armee geschlagen werden konnte, war den interessierten Menschen in Europa klar, dass man dieser Gefahr Einhalt gebieten musste und so kam man in den 1670er Jahren in dem kleinen deutschen Fürstentum Sachsen-Gotha auf die Idee, den Türken müsse ein großes Bündnis entgegengestellt werden, um sie so von mehreren Seiten anzugreifen. Kurzerhand eröffnete man also diplomatische Beziehungen zu Russland und Äthiopien, den beiden anderen christlichen Mächten mit Grenzen zum osmanischen Reich.

Durch diese durch Sachsen-Gotha initiierte Zusammenarbeit wuchs auch die Zusammenarbeit zwischen Russland und Äthiopien, die auf drei Säulen beruhte. Neben dem orthodoxen Glauben und der gemeinsamen Feindschaft zu den Osmanen war es vor allem die Hoffnung auf Handelsbeziehungen, die beide Seiten antrieb. Gerade aber für letzteres war es nötig, die türkische Macht am Roten Meer zu brechen, wofür Russland sich vor allem auf die europäischen Mächte verließ, so dass die ausgearbeiteten Pläne zwischen Russland und Äthiopien nicht umgesetzt wurden.

An dieser Stelle sei kurz erwähnt, dass nach allem, was überliefert ist, die russisch-äthiopische Beziehung in dieser Zeit auf Augenhöhe stattfanden, ohne dass hier die eine (europäische) Macht, die andere (afrikanische) Macht hätte ausnutzen wollen. Ganz anders war dies etwa 50 Jahre später. Zar Peter der Große war auf den russischen Thron gerückt und hatte seinen Untertanen die Europäisierung Russlands verschrieben – ob diese wollten oder nicht. Peter imitierte europäische Staatskunst und Kultur und auch die Idee von Kolonien, die er ab Dezember 1723 auch durchsetzen wollte. Zwei russische Kriegsschiffe segelten unter Handelsflagge vom Baltikum aus in den Atlantik, immer darauf bedacht nicht von der britischen Flotte entdeckt zu werden, weshalb sie nicht durch den Ärmelkanal fuhren, sondern die längere Route nördlich von Schottland und Irland wählten. Ziel der Reise war Madagaskar, mit dessen Herrscher man freundschaftliche Beziehungen aufnehmen wollte. Da die Russen aber nicht wussten, ob es einen solchen Herrscher überhaupt gab, stand Plan B schon fest: Gäbe es keinen Herrscher Madagaskars, sollte es russische Kolonie werden!

Der Grund für diesen russischen Unterwerfungsplan Madagaskars war dabei nicht einmal die Insel selber. Sie sollte lediglich einen sicheren Hafen bieten, damit russische Schiffe am profitablen Indienhandel Europas partizipieren konnten, denn dieser war zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch nicht unter britischer Kontrolle, sondern offen für zahlreiche europäische Mächte. Peters Russland sollte einen Teil davon abbekommen und Madagaskar sollte Mittel zum Zweck sein. Sollte – denn die russischen Schiffe waren für die Atlantiküberquerung nicht gemacht und mussten ihren Plan nach mehreren Lecks an Bord aufgeben.

Peter und auch seine Nachfolger wandten sich daraufhin einem ganz anderen Teil Afrikas zu. Die Kontrolle des Schwarzen Meeres eröffnete Zugang zum Mittelmeer und damit waren die nordafrikanischen Märkte für den russischen Handel ein nicht zu unterschätzendes Ziel. Zu allererst ging es dabei um Ägypten, das nachdem Russland die türkische Flotte 1770 nahezu komplett vernichtet hatte, als erster Anlaufhafen jenseits des Schwarzen Meers angesehen wurde. Geradezu symbolisch für diese neue russische Politik ist dabei, dass eines der siegreichen russischen Schiffe von 1770 den Namen Afrika trug. 

Es sei hier angemerkt, dass Ägypten zwar Teil des osmanischen Reiches war, aber mit dieser Rolle alles andere als zufrieden war. Der russisch-türkische Krieg bot Ali-Bey, dem ägyptischen Herrscher die Möglichkeit gegen die Türken zu opponieren und mehr Eigenständigkeit für Ägypten zu erstreiten. So schickte er kurz nach 1770 einen Emissär nach St. Petersburg, wie auch Russland einen solchen nach Ägypten schickten. Für diese Verbindung wurde Ali-Bey von seinen osmanischen Feinden als „ungläubiger Christ“ beschimpft. Die Zusammenarbeit zwischen Russland und Ägypten ging so weit, dass russische Bauernsöhne Teil der ägyptischen Rebellenarmee wurde, die gegen den osmanischen Sultan kämpfte. 1786 bestand ein Viertel dieser Streitkraft aus Russen.

Es versteht sich, dass unter diesen Umständen der Ägyptenfeldzug Napoleons in St. Petersburg auf wenig Verständnis traf. Als die Franzosen in Ägypten durch die Briten geschlagen wurden, unterbreiteten die Briten den Russen aufgrund deren Einflusses in Ägypten den Vorschlag, dass beide Mächte gemeinsam Ägypten vor den Franzosen schützen sollten, was Russland gern annahm, war ihm doch damit eine dauerhafte Möglichkeit geboten, am Mittelmeerhandel teilzuhaben.

Das russische Interesse an Nordafrika blieb das ganze 19. Jahrhundert hindurch konstant. Dazu gehört auch der Wechsel der Position, als sich Ägypten unter seinem neuen Herrscher Mohamed Ali daranmachte, das osmanische Reich zu erobern und ein großes arabisches Reich an der Grenze zu Russland aufzubauen. Zar Nicholas I. änderte daraufhin die russische Staatsdoktrin und schlug sich auf die Seiten des Sultans in Konstantinopel, wohl auch, weil die von Russland zu beschützenden Ägypter es gewagt hatten, sich unabhängig von Russland (und England) zu machen – was so gar nichts in das paternalistische Weltbild passen wollte.

Auch in Algerien war Russland aktiv und zeigt hier ein ähnliches Muster wie in Ägypten. Als sich die Franzosen in den 1830er Jahren daranmachten, das Land zu ihrer Kolonie zu machen, unterstützte Russland nicht, wie noch Jahrzehnte vorher in Ägypten geschehen, die Unterdrückten, sondern half, die französischen Pläne militärisch umzusetzen.

Aufgrund dieser Vergangenheit konnte sich das russische Zarenreich an der Kongokonferenz in Berlin 1884/5 beteiligen. Die Russen waren also immer auch eine europäische Macht, die eigene Interessen in Afrika besaß und auszubauen probierte. Dass sich St. Petersburg aufgrund dieser Tatsache auch in den Burenkrieg in Südafrika einmischte und sich auf die Seite der Buren schlug, vor allem, weil man hoffte, die Briten würden aufgrund dieses Krieges Mittel und Macht einbüßen, verwundert nicht.

Die russischen Bestrebungen, in denen Afrika nie als eigentliches Ziel, sondern immer nur als Mittel für anderes angesehen wurde, endeten mit dem bereits erwähnten russisch-japanischen Krieg, der den Auftakt zum Ersten Weltkrieg bildete, der für Russland bekanntlich 1917 mit der Oktoberrevolution mündete, in der die Monarchie gestürzt und in deren Folge die Sowjetunion gegründet wurde.  

Deren Afrikapolitik war aus ideologischen Gründen ganz anders aufgebaut als die der westlichen Mächte und darin liegt sicherlich auch einer der Gründe für die afrikanischen Enthaltungen im Februar 2022.

Teil II: Die Sowjetunion und Afrika

Wer sich aus Spaß gerne mit Flaggen und Wappen beschäftigt, wird mit einigem Erstaunen festgestellt haben, dass es in Afrika ganze drei Länder gibt, die eine Kalaschnikow in Wappen oder Flagge tragen. Das sicherlich prominenteste Beispiel dafür ist Mosambik, dessen Flagge durch eine Kalaschnikow verziert wird, aber Simbabwe und Burkina Faso tragen jenes berühmte sowjetische Maschinengewehr immerhin im Staatswappen. Während Burkina Faso bei der Abstimmung zum Ukraine-Konflikt abwesend war, gehören Mosambik und Simbabwe zu jenen afrikanischen Ländern, die sich ihrer Stimme enthielten. So stellt sich die Frage, gibt es einen Zusammenhang zwischen der Nutzung einer berühmten sowjetischen Waffe in Wappen oder Flagge und den Beziehungen jener Länder zu Russland?

Die Antwort darauf ist mit Blick auf die Geschichte beider Länder klar zu bejahen. Als im Zuge der Dekolonialisierung zahlreicher afrikanischer Länder ab 1960 auch das damalige Rhodesien unabhängig wurde, errichtete die weiße Minderheit ein Apartheitsregime, in dem Weiße und Schwarze strikt zuungunsten der schwarzen Mehrheitsbevölkerung getrennt wurden. In dieser regte sich schon früh Widerstand, den die Sowjetunion nicht nur moralisch, sondern auch mit Waffen unterstützte. Die Sowjetunion sprach sich vehement gegen jede Art von Apartheim aus und lieferte Kalaschnikows und anderes an die ZAPU (Zimbabwe African People’s Union). Dieses führte 1980 zum Erfolg und Simbabwe wurde zu einem unabhängigen Staat ohne Apartheims Regime.

Ein wenig anders stellt sich die Situation in den beiden ehemaligen portugiesischen Kolonien Mosambik und Angola dar. Nach der Nelkenrevolution in Portugal wurden diese beiden Länder unabhängig. Bereits davor hatte man sich in Mosambik gegen die portugiesische Kolonialmacht positioniert und hatte mit Hilfe der Sowjetunion Waffen ins Land schmuggeln können, die gegen die Kolonialherren eingesetzt wurden. Die Unabhängigkeit Mosambiks führte dann auch zur Gründung der Volksrepublik Mosambik, die sich allerdings nicht lange halten konnte. Es kam zu einem 16 Jahre andauernden Bürgerkrieg zwischen verschiedenen revolutionären Gruppen. Die Sowjetunion hielt sich seit den 1980er Jahren in Mosambik zurück, weil die eigentlich von ihnen unterstützte Bewegung FRELIMO lediglich marxistisch, aber nicht leninistisch geprägt war.

Anders sah es in Angola aus, wo es nach der Unabhängigkeit auch zu einem Bürgerkrieg kam. Hier kämpften drei linke Volksbewegungen gegeneinander. Die MLPA wurde dabei von der Sowjetunion unterstützt, UNITA und FLNA hingegen erhielten Hilfe durch China, die USA und Zaire, die heutige Demokratische Republik Kongo. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen versuchte zudem Südafrika Angola zu besetzen, was dazu führte, dass mit Kuba ein sowjetischer Alliierter Truppen nach Angola schickte. Bis zu 36.000 Kubaner halfen bei der Vertreibung der Südafrikaner aus Angola. Die MPLA ging als siegreiche Kraft aus dem Krieg hervor und die Sowjetunion vertiefte ihre Verbindungen zur neuen Regierung. Der heutige Präsident Angolas, João Lourenço, absolvierte ein Geschichtsstudium in der Sowjetunion und spricht fließend Russisch. So verwundert es wenig, wenn er bis heute Sympathien für Russland hegt, so dass sich auch Angola bei der Abstimmung zum Ukraine-Konflikt enthielt.

Die gerafften Ausführungen zeigen bereits, dass sich die Einstellung der Sowjetunion fundamental von derjenigen des russischen Reiches unterschied. Ware diese von mindestens derselben europäischen-weißen Überheblichkeit gegenüber Afrika geprägt gewesen, setzten die Sowjets auf Kooperation, wenn auch klar zuerst zum eigenen Vorteil der Sowjetunion, oder wie es der russische Afrikanist Maxim Matusevich ausdrückt: „Ziel der sowjetischen Bestrebungen war eine nicht leichte Mischung aus idealistischen Bestrebungen und nüchternem Kalten-Krieg-Pragmatismus.“

Durch den Bruch, den die Oktoberrevolution in der bis dahin bestehenden russischen Afrikapolitik ausgelöst hatte, waren Russland bzw. die Sowjets seit den 1920er Jahren in Afrika nicht mehr aktiv gewesen. Auch Stalin hatte sich nicht für Afrika interessiert. Erst die Sowjetunion seiner Nachfolger erkannte auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, die Vorteile, die gute Beziehungen zu den afrikanischen Ländern einbrachten. Dazu gehörte natürlich auch, dass die Sowjetunion nicht müde wurde, ihr Mitgefühl für das Unrecht der Kolonisation Afrikas zum Ausdruck zu bringen und sich diplomatisch und mit Waffenlieferungen für den Unabhängigkeitskampf der Afrikaner einzusetzen. Was sie dabei vergaß, war, dass auch Russland eine Kolonialmacht war, mit dem Unterschied, dass es vor der eignen Haustür Kolonien errichtet und diese dann in sein Staatsgebiet inkludiert hatte.  Der bereits erwähnte Zar Peter der Große hatte nicht nur Interesse an Madagaskar, sondern auch an Sibirien.

Für die Afrikaner jedoch war das Interesse, dass die Sowjetunion an ihnen hegte, durchaus willkommen. Mein kongolesischer Schwiegervater erzählt nicht ohne ein Augenzwinkern immer wieder davon, wie Mobutu Sese Seko, bis 1996 Diktator von Kongo-Zaire immer wieder Geld beschaffte, in dem er zwischen Washington und Moskau hin und her lavierte und immer den einen etwas anderes versprach als den anderen.

In der Rolle des in Afrika unparteiischen Akteurs schlug sich die Sowjetunion auf die Seite der Antikolonialisten und Antirassisten, ein Aspekt, den sie vor allem gegen Südafrika, Rhodesien und die USA ins Spiel brachten. Hinzu kam, dass sich die Sowjetunion und ihre Bündnispartner, anders als die westlichen Staaten den Afrikanern öffneten. Dazu gehört unter anderem, dass zahlreiche afrikanische Studenten, wie auch der Angolaner Lourenço, seit den 1960er Jahren in der Sowjetunion studieren konnten. Bis zum Ende der 1960er Jahre hatte sich die Zahl von Afrikanern innerhalb des Gebiets der Sowjetunion von 72 auf 5000 erhöht. Wichtig dabei ist die Tatsache, dass nur wenige dieser Studenten wirklich überzeugte Sozialisten waren. Viele von ihnen wollten lediglich die Gelegenheit nutzen, die ihnen die Sowjetunion bot, was vor allem bedeutete, so paradox es klingt, näher an westlichen Kulturgütern zu sein, wie Jazz und Rock’n‘ Roll, die sie sich in den Musikgeschäften Moskaus leichter unter dem Tisch besorgen konnten als in ihren Heimatländern.

Die Beziehungen zwischen Afrika und der Sowjetunion waren allerdings nicht nur durch solch eher positive Elemente bestimmt. Auch die Politik der Sowjetunion hatte negativen Einfluss auf einige afrikanische Länder. Die Kongokrise, die sich in den 1960er Jahren abzuzeichnen begann, wurde durch das Eingreifen der Sowjetunion verschärft und die Politik der Sowjets wurde in der Zeit danach mehr durch politische Praxis als durch ideologische Ansprüche bestimmt, so dass ein Großteil der wirtschaftlichen Beziehungen ausgerechnet mit Ländern aufgenommen wurde, die wenig mit der sozialistischen Idee zu tun hatten, wie der Elfenbeinküste, Nigeria oder Kenia. Grund dafür, war oft genug, dass man in der Sowjetunion die sozialistischen-marxistischen Ideen afrikanischer Politiker ablehnte, weil sie nicht zur eigenen Vorstellung passten.

Wie sehr die Realpolitik bei der Sowjetunion im Fokus stand, zeigt sich am Beispiel ihrer Politik am Horn von Afrika. Obwohl es seit Jahrhunderten Bestrebungen einer engeren Zusammenarbeit zwischen Äthiopien und Russland gab, die während des Zweiten Weltkriegs durch den gemeinsamen Kampf gegen Nazi-Deutschland und das faschistische Italien noch einmal verstärkt wurden, suchten die Sowjets in den 1960er und frühen 1970er Jahren zunächst eher den Kontakt zu Somalia, wo sie einen Flottenstützpunkt in Berbera errichten konnten. Somalia selbst stand im Konflikt mit Äthiopien und hoffte, dass man sich auf die Sowjetunion als Bündnispartner verlassen konnte. Nach der Absetzung des äthiopischen Kaisers Haile Selassie 1974, der sich sehr amerikafreundlich gezeigt hatte, versuchte der somalische Machthaber Siad Barre die umkämpfte Region Ogaden zu erobern und suchte die Hilfe der Sowjets, die sich aber aus diesem Konflikt heraushalten wollten. Siad Barre kündigte daraufhin das Bündnis auf, was die Sowjets dazu brachte mit der Militärjunta in Äthiopien zusammenzuarbeiten und sich nun aber in den Konflikt um Ogade einzuschalten. Die neuen Machthaber Äthiopiens waren sich der sowjetischen Anerkennung sehr wohl bewusst und wurden bald darauf Anhänger des Marximus-Leninismus.   

Diese Art der Politik hatte für den 1985 an die Macht gekommenen Michael Gorbatschow keine Zukunft und so stellte er, auch unter den ökonomischen Entwicklungen, die die Sowjetunion vor neue Herausforderungen stellten, die Arbeit in Afrika ein. Ebenfalls wurde der Zugang afrikanischer Studenten jetzt beschränkt. Eine neue Perspektive aber brachte Gorbatschow in seiner Afrikapolitik doch ein: Die bis dahin eher schlechten Verbindungen zwischen der Sowjetunion und Südafrika wurden trotz der noch bestehenden Apartheit besser. Plötzlich war in Moskau nichts mehr davon zu hören, dass Südafrika eine rassistische Hölle sein, viel mehr wurde es nun zu einem Vorbild, was den wirtschaftlichen Erfolg anging.

Teil III: Putins Afrikapolitik

Nachdem Zusammenbruch der Sowjetunion war für lange Zeit keine russische Afrikapolitik vorhanden. Die verbliebenen Studenten bemerkten rasch, dass man ihnen gegenüber nicht mehr so aufgeschlossen war, wie vorher. Ausländerfeindliche und rassistische Ressentiments waren nun gang und gäbe in einem Land, das sich neu strukturierte und sich selbst neu erfinden musste.

Tatsächlich war es erst Wladimir Putin, der Afrika wieder auf die außenpolitische Agenda Russlands setzte. Es ist kein Geheimnis, dass der aktuelle russische Präsident den Zerfall der Sowjetunion bedauert und auch dem zaristischen Großreich nachtrauert. So gesehen steht auch die russische Rückkehr nach Afrika in diesem nostalgischen Zusammenhang.

Putin besuchte den Kontinent das erste Mal 2006, ein Jahr später erließ er zahlreichen afrikanischen Ländern etwa 20 Milliarden Dollar Schulden aus Sowjetzeiten. Bedeutender noch war jedoch, dass Putin die Wirtschaftsbeziehungen mit zahlreichen afrikanischen Ländern ausbaute, auch wenn diese im Vergleich zur EU, den USA oder China minimal sind. Russland hat sich aber in bestimmten Nischen einen sicheren Platz gesichert. Dazu gehören Atomkraft, Energie und vor allem Waffen und Militär.

Russland sieht sich dabei als freundlicher Verhandlungspartner, der in den Ländern Afrikas zahlreiche Produkte einkauft und wenig selbst auf den Kontinent exportiert. Als Präsident Medvedev 2009 auf Afrikareise war, fanden sich in seiner Entourage 400 russische Geschäftsleute, die in Ägypten, Nigeria, Angola und Namibia zahlreiche Geschäft im Energiesektor abschlossen. Darüber hinaus ist Gazprom auch in Algerien aktiv.

Vor allem im Bereich der Energieerzeugung finden sich russische Firmen in Afrika. Neben dem Erwerb und Abbau von Uran, beteiligen sich viele russische Unternehmen bei Investments in Wasserkraftwerke, wie sie in Angola, Äquatorial Guinea und Sambia entstehen sollen. Wer einmal in einem afrikanischen Land erlebt hat, wie oft Stromausfälle an der Tagesordnung sind, wird verstehen, warum solche Kooperationen vor Ort wichtig sind, so dass es nicht verwundert, warum einzig Sambia bei der Abstimmung im Februar 2022 für eine Verurteilung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine stimmte, während sich die beiden anderen Länder, wie auch das bereits erwähnte Algerien, enthielten.

Gleiches gilt für Investitionen in die friedliche Nutzung der Atomenergie, die russische Unternehmen in den letzten 10 Jahren in Nigeria, Kenia, Ruanda, Sambia, Kongo-Brazzaville und Südafrika geschlossen haben. Die beiden letztgenannten Länder enthielten sich im Februar 2022 ihrer Stimme.

Bei so viel Aktivitäten ist es kaum verwunderlich, dass nach UN-Informationen der Handel zwischen Russland und den afrikanischen Staaten in den letzten zehn Jahren um 185 Prozent gewachsen ist. Damit liegt Russland, was das totale Handelsvolumen angeht, zwar weit hinter der EU, China, den USA und Indien zurück, aber noch vor Brasilien und Japan. Allerdings zeigt das Verhältnis zwischen Importen und Exporten ein relatives Ungleichgewicht. Während sich diese bei EU, China, Brasilien und Japan etwa die Waage halten und fast alle anderen signifikanten Länder im Jahr 2018 mehr importieren als exportierten, sind die Importe nach Russland mit knapp 3 Milliarden Dollar sehr gering, wohin gegen die Exporte 17,5 Milliarden Dollar ausmachten. Vor allem Ägypten und Algerien stechen als große Handelspartner dabei heraus. Doch eine Sache fällt dabei auf: Im Gegensatz zu anderen Handelspartnern macht Russland vor allem Geschäfte mit Afrika, bei denen die afrikanischen Partner Geld verdienen und weniger russische Produkte kaufen.

Die afrikanischen Exportprodukte nach Russland bestehen dabei vor allem aus landwirtschaftlichen Produkten wie Früchten, Gemüse, Kakao und Nüssen (43,4% im Jahr 2018), geologischen Abbauprodukte wie Erzen oder Schlacke (12%) und Chemikalien (6,4%). Einen großen Exportanteil haben aber auch unbestimmte Produkte (36,2%), wozu etwa Tabak, Kleidung, Kaffee und Tee, aber auch Autos und Elektrogeräte gehören.

Während Afrika also Russland vor allem mit Nahrungsmittel und Alltagsgegenständen sowie Komponenten für die russische Industrie versorgt, knüpft Russland bei seinen Exporten nach Afrika an die alten Zeiten der Sowjetunion an, in dem es der größte und wichtigste Waffenimporteur für das subsaharische Afrika ist. Selbst in der Zeit der Neuorientierung und des Wiederaufbaus Russlands in den 1990er Jahren blieb Russland, bei aller diplomatisch-politischen Zurückhaltung der wichtigste Waffenlieferant dieser Region. Nach der Wiederaufnahme einer dezidierten Afrikapolitik unter Wladimir Putin erhöhten sich diese russischen Importe noch. Zwischen 2014 und 2018 wurden 13 bis 17 Prozent der russischen Waffen nach Afrika verkauft. Neben Algerien und Ägypten sind vor allem Nigeria und der Sudan Hauptabnehmer der russischen Waffen, doch auch Angola, Burkina Faso, die Elfenbeinküste, Äquatorialguinea und Mali. Mit Ausnahme von Nigeria und der Elfenbeinküste (dafür) und Burkina Faso (abwesend) enthielten sich alle diese Länder bei der Abstimmung der UN-Vollversammlung.

Neben Waffen entsendet Russland aber auch Militär nach Afrika. Während es sich in der Zeit nach dem Kalten Krieg vor allem auf UN-Mandate stützte, hat sich das in den letzten Jahren geändert. Der Einsatz der Gruppe Wagner in der Zentralafrikanischen Republik ist dafür ein eindringliches Beispiel.

In der Zentralafrikanischen Republik schloss Russland mehrere Verträge mit der Regierung ab, die es ihr erlaubten Waffen und Militär in das Land zu schicken, was seit 2013 eigentlich unter einem Militärembargo der UNO steht. Doch geschickte Verhandlungen machten es möglich, dieses Embargo für Russland zu lockern. Das Interesse Russlands an der Zentralafrikanischen Republik ist bestimmt durch Zugänge zu Edelmetallen, die man dort bekommen möchte, aber auch durch strategische Überlegungen, die Rolle Frankreichs in Afrika zurückzudrängen. So war es 2018 und 2019 durch russische Hilfe möglich einen Friedensvertrag zwischen Regierung und verschiedenen Rebellengruppen abzuschließen.

Die private Militärfirma Gruppe Wagner ist dabei ein entscheidender Faktor russischen Einflusses – nicht nur in der Zentralafrikanischen Republik, sondern auch im Sudan, in Mali, Kamerun, Kenia, Libyen und Madagaskar. Operierte Wagner seit 2017 vor allem verdeckt, was soweit ging, dass die Existenz der Gruppe schlicht negiert wurde, hat sie 2022 ihre Strategie geändert und agiert nun offensiv als Teil russischen Militärinteresses mit engen Verbindungen zum Kreml. Dass das Hauptquartier dabei nicht etwa in Moskau sitzt, sondern in St. Petersburg kann als Symbol gedeutet werden, die historischen Kolonialbestrebungen Russlands in Afrika wiederaufzunehmen.

Wagners Strategie in Afrika steht auf drei Säulen. Als primäre Militärorganisation hilft sie schwachen autokratischen Herrschern bei der Bekämpfung von Rebellentruppen und nimmt dabei oft die Rolle der alten Kolonialmächte ein, die sonst bei dieser Art von Stabilisierung geholfen haben. Aufgrund dieser Einflussnahme etabliert sich Wagner zweitens als Ratgeber in politischen Angelegenheiten, vor allem in jeder Form politischer Propaganda, inklusive manipulierter Wahlbeobachtungen. Drittens gibt es Verbindungen Wagners zu russischen Bergbauunternehmen, die die Hilfe der Militärs bei Geschäften jeglicher Art in Anspruch nehmen, etwa in der Form, dass Wagner einer Regierung militärisch nur dann helfen kann, wenn bestimmte Firmen Zugang zu Bergbaurechten in den Ländern erhalten. 

Vor allem der letzte Aspekt ist für die relativ junge Organisation aber bisher noch nicht voll ausgeschöpft worden. In Mozambik, wo Wagner nicht mehr tätig ist, und Libyen dominierte und dominiert Wagners Militärstrategie, in Mali, der Zentralafrikanischen Republik und dem Sudan in erster Linie die Politikstrategie. Einzig in Kamerun und Madagaskar war sie in der Lage militärischen und wirtschaftlichen Einfluss miteinander zu verbinden. Kameruns Hauptstadt Duala soll von Unternehmen mit Verbindungen zu Wagner als Umschlagplatz für Warenim- und exporte genutzt werden, während Wagner in Madagaskar auf eine unternehmerische Kooperation setzt, um Bergbau zu betreiben. Dass Wagner zudem aktiv beim Goldschmuggel aus dem Land beteiligt ist, sei hier am Rande auch erwähnt, denn Wagner arbeitet zu allererst für Russland und erst in dann für die Länder, die für ihre Dienste bezahlen. Illegale Exporte nach Russland sind dabei ein profundes Instrument.

Die Wagner-Gruppe ist aber nur ein Beispiel für russische Einflussnahme. Während der globalen Corona-Pandemie nutzte Russland seinen Impfstoff Sputnik V, um seinen Einfluss zu erhöhen. Der Impfstoff wurde schneller als andere angeboten und konnte zum Teil sogar in einzelnen nordafrikanischen Ländern hergestellt werden. Im Großen und Ganzen war aber dieser Versuch Russlands, sein Image weiter zu stärken, zum Scheitern verurteilt, weil Sputnik V oftmals mehr kosteten als die europäisch-amerikanischen Produkte oder die Wartezeiten länger dauerten. Nichtsdestoweniger zählte die Geste Russlands mehr als das Ergebnis. Während sich die EU und die USA von afrikanischen Regierungen beknien ließen, Impfstoffe zu schicken, bot Russland seinen Impfstoff nach Fertigstellung an – eine Schlagzeile, die in den Köpfen vieler eher hängen bleibt als das Resultat.

Was also war der Grund für die Enthaltung so vieler afrikanischer Staaten, die sich der UN-Resolution nicht anschlossen und auch die gegen Russland verhängten Sanktionen weitestgehend ignorieren? Ich konnte in diesem Essay hoffentlich aufzeigen, dass die fehlende russische Präsenz während der Kolonialzeit nichts damit zu tun hatte, dass man im zaristischen Russland kein Interesse an Kolonien gehabt hätte, sondern dass lediglich die Durchsetzung einiger Pläne nicht mit der Energie verfolgt wurde, wie das andere Kolonialmächte taten. Vergessen werden sollte dabei aber nicht, dass Russland noch immer eine Kolonialmacht ist, die seit 500 Jahren über eroberte und kolonisierte Regionen Nordasiens herrscht, dass zahlreiche heutige osteuropäische Länder ehemalige Kolonien Russlands oder der Sowjetunion waren oder dass der Ukrainekrieg den Versuch einer ehemaligen Kolonialmacht darstellt, ein seit Jahrzehnten unabhängiges Land zurückzuerobern und seine reiche Kultur zu unterdrücken.

 Dieses Narrativ, dem sich viele afrikanische Staaten hätten anschließen können, hätte man als europäischer Politiker aber nur dann nutzen können, wenn man selbst die eigene Kolonialgeschichte derart aufgearbeitet hat, wie Deutschland dies mit der NS-Zeit getan hat. Diese Chance wurde aber vertan und hat so politische Konsequenzen, die sich im Abstimmungsverhalten zeigen. Das Bedienen dieses Narratives hätte vielleicht auch dafür gesorgt, dass das positive Bild Russlands bzw. der Sowjetunion in Afrika gar nicht erst aufgekommen wäre.

Da dies aber nicht passiert ist, sind die Verbindungen zwischen Afrika und Russland heute eben nicht bestimmt durch die historische Kolonialzeit, sondern viel mehr durch eine heutige Kolonialpolitik. Die europäischen Kolonialreiche wurden zur großen Zahl immer erst durch Geschäftsleute initiiert, die vor Ort aktiv waren, den Bogen überspannten und dann durch die europäischen Staaten gerettet werden mussten, was zur Errichtung von Kolonien führte, die wiederum ganz eigenen Regeln folgten.

Wesentlich anders ist Russlands Vorgehen in Afrika heute auch nicht. Die wirtschaftlichen Abhängigkeiten konnte ich in diesem Essay aufzeigen. In einigen afrikanischen Ländern werden diese schon jetzt durch die Wagner-Gruppe begleitet, die militärisch und politisch Einfluss auf afrikanische Herrscher ausübt. Inwieweit sich dieses System von dem kolonialen Prinzip der indirect rule, wie sie von England in seinen Kolonien umgesetzt wurde, unterscheidet, wird die Zeit zeigen.   

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