Zu den Zeiten Präsident Joseph Kabilas gab es in Kinshasa das Gerücht, der Präsident der Dem. Rep. Kongo sei gar kein echter Kongolese, sondern das Kind von Eltern aus Ruanda. Das würde nämlich erklären, warum Ruanda durch den illegalen Handel mit Coltan und Gold auf dem Rücken des Kongo ein enormes Wirtschaftswachstum besäße. Solche Gerüchte werden durch die Ende August beschlagnahmten 350 Kilogramm Coltan, die nach Ruanda geschmuggelt werden sollten, bestärkt und verdeutlichen: Ruanda ist für viele Kongolesen ein rotes Tuch.
Das liegt zum einen daran, dass viele rohstoffreiche Regionen Ostkongos de facto längst mehr zum Einflussbereich Ruandas als der Demokratischen Republik Kongo gehören, was auch zum wirtschaftlichen Aufschwung des Landes unter dem dieses Jahr wiedergewähltem Präsidenten Paul Kagame geführt hat. Zum anderen ist das Verhalten derjenigen, die 1994 vor dem Völkermord in Ruanda flohen bzw. derjenigen, die als Täter in den Kongo flohen, alles andere als konfliktfrei.
Der Krieg im Osten des Kongo ist vertrackt. Neben der Armee des Kongo finden sich dort um die 100 Rebellengruppen, von denen zwei jedoch mehr Aufmerksamkeit verdienen. Das kongolesische Militär kämpft im Osten Kongos zum einen gegen die Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR), eine Rebellengruppe aus Ruanda, die aus Hutu besteht, aber auch gegen die Bewegung M23, die ihrerseits gegen die FDLR kämpft.
Der FDLR gehören Hutu an, die vor 30 Jahren die Tutsi in Ruanda ermordeten. Viele von ihnen flohen Ende 1994 vor der Justiz in den Ostkongo. Ihr Ziel ist es, vom Kongo aus, Ruanda zu erobern.
Zum Zeitpunkt ihrer Flucht waren allerdings schon zahlreiche Tutsi aus Ruanda im Ostkongo angekommen und bauten zum Schutz vor den Hutu eine eigene Rebellenarmee auf, der sich nach und nach aber auch Hutu und weitere Personen aus dem Militär anschlossen. Der Chef dieser Gruppe, Laurent Nkunda, gilt bis heute als einer der gefährlichsten und erfolgreichsten Rebellenführer Afrikas, dem zahlreiche Kriegsverbrechen vorgeworfen wurden.
Erst als sich Kongo und Ruanda gemeinsam daran machten, gegen Nkunda vorzugehen, konnte dieser 2009 festgenommen werden, sodass es am 23. März 2009 zu einem Friedensvertrag kam. Teil dieses Vertrags war es, die ehemaligen Milizen Nkundas in die kongolesische Armee aufzunehmen. Diese warfen 2012 der Regierung vor, gegen den Friedensvertrag zu verstoßen und lösten sich von der Armee, um als neue Rebellengruppe, jene M23 (nach dem Datum des Friedensvertrags), erneut im Ostkongo zu kämpfen.
Militärischer Kampf ist immer mit finanziellen Mitteln verbunden, da Waffen und vor allem Munition gekauft werden müssen. Um Geld einzunehmen, beteiligen sich viele der Truppen an illegalem Handel mit seltenen Erden und Gold, versuchen Städte und Regionen zu erobern, um von dort Gelder zu erhalten und setzen auf Erpressung und Menschenraub. Dadurch mussten, nach Angaben der UN, in den letzten Jahren 7,2 Millionen Menschen fliehen.
Da all das auf dem Boden des Kongo passiert, kann man sich zu Recht fragen, was das alles mit Ruanda zu tun hat. Zum einen ist es so, dass zahlreiche Kongolesen die Probleme im Osten ihres Landes als eingeschleppte Probleme Ruandas betrachten. Die Logik dahinter ist einfach: Ohne den Völkermord in Ruanda hätte es keine Flucht in den Ostkongo gegeben und ohne die Geflüchteten gäbe es keine Rebellengruppen. Darauf aufbauend profitiere Ruandas Wirtschaft von den militärischen Konflikten im Osten des Kongos, weil der illegale Handel mit kongolesischen Rohstoffen zu einem Wachstum seiner Wirtschaft führe.
Für Ruanda hingegen stellen die FDLR eine große Gefahr dar, da ihr Ziel ist, Ruanda zu befreien, also die derzeitige Regierung bzw. das derzeitige System zu stürzen. Aus diesem Grund gilt als gesichert, dass Ruanda zahlreiche Milizen, die gegen die FDLR agieren, wie M23, finanziell und personell unterstützt.
Diese Situation eskalierte im Mai 2022 als M23, mutmaßlich unterstützt durch Gelder Ruandas, erneut im Kongo durch Eroberungen und Gewalttaten auffiel. Daraufhin wurde Ruanda direkt durch Raketen aus dem Kongo angegriffen. Im Zuge dieser Aktion kam es zu Sichtungen ruandischer Militärs im Kongo und mehr finanzieller Unterstützung für M23. Nach der Eroberung der Stadt Bunagana, von wo aus Ruanda mehrfach beschossen worden war, durch M23 und Teile der ruandischen Armee, kam es zu weiteren, erstarkenden Fluchtbewegungen. Der baptistische Kirchenleiter Jonathan Kavusa berichtet von einer täglich steigenden Zahl an Binnenflüchtlingen, die in unzureichenden Camps versorgt würden. Sexuelle Übergriffe auf Frauen brächten Menschen dazu, Schutz in den Einrichtungen seiner Kirche zu suchen.
Im Präsidentschaftswahlkampf 2023 verglich der kongolesische Präsident Felix Tshisekedi Ruandas Präsident Paul Kagame mit Adolf Hitler und drohte ihm an, in einem Bunker zu sterben. Zahlreiche Milizenführer würdigten diesen Auftritt Tshisekedis mit Loyalitätsbekundungen und versprachen, den Krieg nach dem Ende von M23 nach Ruanda zu bringen.
Diese Androhung scheint nun hinfällig, denn durch die diplomatischen Bemühungen der Regierung von Angola ist es im Juli 2024 gelungen, einen Waffenstillstand zwischen Kongo und Ruanda zu vereinbaren, der am 4. August 2024 eintrat. Angola hatte sich schon seit 2022 immer wieder für eine solche Lösung eingesetzt, konnte sie aber erst jetzt erreichen. International wurde dieses Abkommen sehr begrüßt – vor allem, um das Flüchtlingsdrama zu beenden. Ob diesem Wunsch entsprochen werden kann, wird sich zeigen.
Klar ist aber auch, dass die Rebellen von M23 an den Verhandlungen nicht beteiligt waren und sie sich deshalb nicht an das Abkommen gebunden fühlen. Keine drei Tage nach in Krafttreten des Waffenstillstands nahmen sie die Orte Ishasha und Nyakakoma im Kongo ein. Daher ist es gut, dass die Regierung von Angola es nicht bei dem Waffenstillstand belassen hat, sondern auch danach weiterhin in der Vermittlerrolle auftrat. Der katholische Bischof von Goma, Willy Ngumbi äußerte sich zumindest positiv: „Der Waffenstillstand wird wirklich vor Ort eingehalten. Aber wie üblich beschuldigen sich alle gegenseitig. Die Armee des Kongo beschuldigt die M23, den Waffenstillstand zu brechen, und die M23 beschuldigt die Armee, das Feuer zu brechen. Aber wir wissen, dass an der Kriegsfront, an der militärischen Front, die Waffen seit Anfang [des Monats August] schweigen.“
Die große, auch internationale Aufmerksamkeit in die Region bringende Verbreitung der Mpox, ist, so traurig ist klingen mag, ein Zeichen dieser spürbaren Ruhe. Viele Flüchtlinge kehren nun heim, nutzen den Waffenstillstand für Besuche oder treiben Handel. Diese Mobilität führt zu vermehrten Kontakten mit infizierten Menschen und zur Ausbreitung der Pockenkrankheit, die zudem in den beengten Flüchtlingsunterkünften schnell um sich greifen konnten. Auch die internationale Unterstützung mit Impfstoffen, die in die Region geliefert werden, ist vor allem durch den Waffenstillstand möglich, der es Hilfsorganisationen erlaubt, relativ gefahrlos zu interagieren.