Milch ist das erste Getränk, das ein Mensch zu sich nimmt, Milch verschönert den Kaffee, Milch ist der Ursprung von Butter und Käse und Milch ist ein Geschäft. Grund genug, sich einmal mit diesem Getränk auseinanderzusetzen. (Ein Artikel aus dem Jahr 2015)
Am Anfang, das weiß die indische Mythologie, war ein Streit zwischen Göttern und Dämonen. Vishnu aber, jener große Gastaltenwandler, vermittelte und so einigten sich die Parteien darauf, zusammen zu arbeiten, um unsterblich zu werden, waren doch im Streit zahlreiche Todesopfer zu beklagen gewesen. Dafür aber musste Amrita erschaffen werden: der Trank der Unsterblichkeit. Die Herstellung war recht einfach. Der Milchozean, einer der sieben Urozeane, musste gequirlt werden. Um das zu erreichen, nutzen die verfeindeten Parteien den Berg Mandara und die Schlange Vasuki, die sich um den Berg legte. Am einen Ende nun standen die Dämonen, am anderen Ende zogen die Götter, so dass Mandara die Milch in Bewegung setzte. Der Milch entstiegen durch diesen Vorgang der Mond, das weiße Pferd Uchchaishrava, die Wunschkuh Kamadhenu, der Elefant Airavata und auch der ein oder andere Gott wurde bei diesem Prozess geboren. Die Milch steht, folgt man diesem Mythos, demnach am Beginn der Dinge – kann es da ein verwundern, dass die Kuh in Indien als heiliges Tier gilt?
Lässt man das mythologische Beiwerk weg, so steht eines ganz außer Frage: Am Anfang steht die Milch. Jeder Mensch auf dieser Welt hat am Beginn seines Lebens Milch getrunken. Diese Muttermilch enthält alle wichtigen Nährstoffe, die ein Säugling benötigt: Vitamine, Eiweiße, Mineralien, Enzyme, Zitronensäure und natürliche Hormone. Diese Mischung schließlich ist es, die dafür sorgt, dass das Kind groß wird und überlebt, bis es der Mutter irgendwann reicht – immerhin ist das Stillen ein anstrengender Vorgang – und sie den Säugling abstillt, so dass er von nun an andere Nahrung zu sich nehmen soll.
Aber welche Art von Nahrung muss es denn sein? Pflanzen und Fleisch für den Hunger und Wasser für den Durst. Letzteres ist jedoch ein rares Gut – zumal, wenn man sich aus Europa wegbewegt in die Regionen, in denen der Grundstein für die Kultur des Abendlandes gelegt wurde. Die Erzählungen des Alten Testaments wissen bereits von den Wanderungen der Menschen im Nahen Osten zu berichten, die oftmals mit Ressourcenknappheit verbunden waren. Zog man umher, nahm man mit, was man brauchte. Dazu zählten auch die ältesten Nutztiere des Menschen: Schaf und Ziege, die beide vor rund 8000 Jahren domestiziert wurden. Vor allem die Ziege aber war es, die die Menschen auf ihren Wanderungen begleitete. Sie war anspruchslos in der Versorgung und ernährte sich ohne Probleme von dem Gestrüpp, das für andere Tiere unverdaulich war. Die Muttertiere unter ihnen gaben Milch und die Menschen, deren Wasservorräte begrenzt waren, bedienten sich an dieser ebenso. So wurde die Milch zum Wasserersatz.
Das alles ist natürlich bloße Theorie. Belege finden sich dafür nicht. Sicher ist nur, dass bereits die Sumerer vor gut 5000 Jahren melkten. Sie waren aber schon ein Stufe weiter. Ein Tempelrelief im heutigen Irak zeigt das Melken einer Kuh. Für Indien ist diese Kulturtechnik erst tausend Jahre später belegt.
Die Milch wandelte sich im Laufe dieser Zeit vom Mittel des Überlebens hin zum Luxusprodukt. Dabei war nicht entscheidend, wie viel der Liter kostete, sondern die Tatsache, dass sie eigentlich nicht mehr gebraucht wurde. Ausschlaggebend dafür, sie zu behalten, war ihr Geschmack. Wieder ist es die Bibel, die das bezeugen kann. Wenn das gelobte Land, als das Land beschrieben wird, in dem „Milch und Honig fließen“, dann ist das ein Hinweis auf die Süße der Kuhmilch. Diese ist im Gegensatz zur Ziegenmilch etwas reicher an Lactose, die für diese Süße sorgt (bis zu 5, 2% bei der Kuh, 4,4 % in der Ziegenmilch).
Die Haltung von Kühen war jedoch ein teures Geschäft. Sie war kostspielig und so blieben Schaf und Ziege über Jahrtausende die eigentlichen Produzenten der Milch. Ihr Besitz war also immer auch mit sozialem Prestige verbunden. Darin unterscheiden sich die afrikanischen Massai nicht sonderlich von den Germanen, die Tacitus beschrieb. Auch diesen war der „Viehreichtum ihr einziger und liebster Besitz“, wenn diese Kühe auch unansehnlich waren. Tacitus war mit den Versuchen der Züchter im römischen Reich vertraut, die die Tiere größer und stattlicher aussehen lassen wollten.
Die Milchproduktion bei Kühen selber spielte für die Römer, wie auch für die Griechen vor ihnen, keine große Rolle. Ihre Quellen für Milch waren äußerst vielfältig. M. Terentius Varro etwa schreibt davon, dass Milch auch reinigende Kräfte hat. Für diesen Zweck ist die Milch von Pferden und Eseln die beste Sorte, gefolgt von der Milch von Büffeln und der von Ziegen. Die heute allgegenwärtige Kuhmilch war in seinen Augen immerhin die nahrhafteste Milch. Das hat vor allem mit dem Käse zu tun, der aus der Milch gewonnen werden kann. Dieser hatte zunächst bei den Völkern außerhalb der römischen Welt einige Bekanntheit, etwa bei den Skythen und auch die Inder wussten um seine Bedeutung. Antiker Kulturkontakt brachte das Wissen über Käse und Butter erst nach Griechenland und dann auch nach Rom, wo eine große Käsekultur aufkam.
Vielleicht war das auch der Grund, warum der erste römische Kaiser nach dem Ende des weströmischen Reichs, Karl der Große, Butter und Käse als Abgaben einforderte, was beide das gesamte Mittelalter hindurch auch blieben, wenn auch die Butter im 12. Jahrhundert an Bedeutung verlor. Im selben Zeitraum finden sich erste Belege für Milch- und Molkereiwirtschaft, wenn auch die Kühe des Mittelalters höchstens ein Zehntel dessen produzierten, was heute durchschnittlich erreicht wird. Vor allem in England ist die Milchwirtschaft fassbar. Der hohe Preis für eine Kuh zeigt sich jedoch auch hier wieder darin, dass es vor allem der Adel war, der sich mit der Produktion beschäftigt, wenn er dies auch nicht selber tat, sondern Bauern die Arbeit machen ließ.
Das ändert sich erst mit dem 18. Jahrhundert. Mit dem wachsenden Interesse an den Naturwissenschaften mischte sich der Adel ein und züchtete vor allem massige Rinder zur Fleischproduktion. Die Vorreiterrolle Englands in der Industrie sorgte auch für eine Verbreitung dieser Vorstellungen auf dem Kontinent. Die Milch blieb daher lange Zeit außen vor, im Verborgenen aber entwickelte sich auf dem Markt der Landwirtschaft eine höhere Gewinnspanne bei Milch, was schließlich zu einem Umdenken bei den Züchtern führte. Damit schlug die Stunde für die uns vertrauten schwarz-weißen Kühe, die Deutsche Schwarzbunte. Sie blieb bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein in Deutschland dominierend und wurde dann von einer entfernten Verwandten, der Holstein-Friesian, abgelöst, die in Amerika gezüchtet worden war und nach Europa importiert wurde.
Diese Hochleistungskühe sind in der Lage, bis zu 16.000 Kilogramm Milch pro Jahr zu liefern. Solche Züchtung hat jedoch zur Folge, dass die Rinder wenig Widerstand gegen Krankheiten leisten können und oftmals nach drei bis fünf Jahren unfruchtbar sind. Die schiere Menge, die innerhalb dieser Industrie produziert werden kann, macht Milch heute zu einem billigen Produkt, dem man seine einstige Kostbarkeit als Wasserersatz nicht mehr ansieht.