„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war.“ Kaum einer kennt diesen Beginn der Weihnachtserzählung aus dem Lukasevangelium (2, 1-2) nicht. Der 2017 verstorbene Althistoriker Wolfgang Orth hielt im Rahmen der Wichlinghauser Vorträge, die ich damals organisieren durfte, im Dezember 2016 einen Vortrag über die Authentizität dieses Textes und stelle dabei klar heraus: Auch wenn sich der Evangelist Lukas darum bemühte, seine Aussagen zu belegen, so ganz passt die zeitliche Struktur nicht zusammen. So war Quirinius erst 6 n. Chr. Statthalter, König Herodes, der Antagonist der Weihnachtsgeschichte starb aber schon 4 v. Chr. Eine vom Kaiser angeordnete Volkszählung hätte sich nur auf römische Bürger bezogen, einzig in der Provinz hätte man auch andere Menschen geschätzt – und so weiter und so fort.
Das Jahre 0 zu identifizieren ist also schwer und das in Wichlinghausen zu machen, erst recht. Die meisten Historiker lassen die Besiedlung und damit die Geschichte des Bergischen Landes und der Region Wuppertal mit dem Mittelalter beginnen, vor dem Jahr 800 war in unserer Gegend wenig los. Aber wenig bedeutet ja nicht nichts. Was also was möglich in Wichlinghausen um das Jahr 0 herum?
Fangen wir mal noch früher an: Es gab da zu Beginn des neuen Jahrtausends in Elberfeld einen Zufallsfund bei Bauarbeiten am Deweerthschen Garten. Zutage gefördert wurden Keramikscherben der Eisenzeit, die sich in den Zeitraum zwischen dem 6. und 4. Jahrhundert v. Christus datieren lassen. Das bedeutet in Elberfeld gab es „ohne Zweifel“ (so das Gutachten der Archäologen) rund 1000 Jahre vor dem Beginn der ordentlichen Geschichtsschreibung eine Siedlung. Und da gebietet es das Selbstverständnis eines Barmers doch klarzumachen: Was es in Elberfeld gab, das gab es in Barmen schon lange!
Wenn es also dort eine Siedlung gab, dann müssen wir doch auch etwas Vergleichbares bei uns finden. Die Volksetymologie von vor über 200 Jahren lässt uns nicht im Stich. Vincent Paul Sonderland, der erste Historiograph von Barmen, hatte einen, höchstwahrscheinlich falschen, aber dennoch interessanten Hinweis: „Ein Bauernhof, welcher auf der Spitze des Berges nördlich von der Müggenburg liegt, heißt Am Bilten oder Am Bilde, wie es früher geheißen hat, hier soll ein Götzenbild gestanden und dem Hofe den Namen gegeben haben.“ (S. 14) Da niemand weiß, woher der erst im 17. Jahrhundert belegte Name Am Bilten genau kommt, ist Sonderlands Erklärung so gut wie jede andere. Allerdings hat er auch versucht, Wichlinghausen zur ersten Siedlung in Barmen zu machen und den Namen des Stadtteils vom lateinischen Viculus abzuleiten, was Dörfchen heißt. Der alte Sachse Wichmar, dessen Sippe die Gegend wohl um 800 besiedelte hatte, wird darüber sehr gelacht haben.
Aber wie ist das denn mit den Römern in unserer Gegend? Sie waren natürlich hier. Immerhin mussten sie 9 n. Chr. irgendwie ins südliche Niedersachen gekommen sein, um bei Kalkriese durch Arminus (früher mal als Hermann bekannt) geschlagen zu werden. Und das Köln in knapp 25 Jahren seinen 2000 Geburtstag feiern kann, ist auch bekannt. Weniger bekannt ist der Münzschatz von Gevelsberg-Vogelsang aus der Zeit Kaiser Diokletians (regierte 284-305), oder die noch älteren Funde eines Kruges und einer Haarnadel bei Schwelm sowie vereinzelte Funde römischer Münzen aus Beyenburg. Das zeigt: Zwar gab es in Wichlinghausen und Barmen im ersten Jahrhundert nach Christus wohl keine Besiedlung, aber es war doch das ein oder andere los. Menschen müssen zwischen Köln und Gevelsberg unterwegs gewesen sein, um all diese Dinge zu verlieren oder zu verstecken. Eventuell über eine alte Römerstraße, in deren Nähe heute die A46 verläuft.
Und wenn man dem römischen Schriftsteller Tacitus glauben will, dann hielten die Bewohner Germaniens eh wenig vom Hausbau, denn „dass von den Völkern der Germanen keine Städte bewohnt werden, ist bekannt genug. Sie wohnen gesondert und auseinander, wie Quelle, wie Feld, wie Wald gefiel. […] Nicht einmal der Bruchsteine oder Ziegel Verwendung ist bei ihnen: durchweg nehmen sie Holz dazu, formlos, unansehnlich und ungefällig.“ (cap. 16) Von solchen Häusern bleibt nicht viel übrig, um Spuren zu hinterlassen.