Peter Hasenclever gehört zu den faszinierenden, aber wenig bekannten Figuren der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Geboren 1716 in Remscheid, war er ein Unternehmer mit globalen Ambitionen. Mitte des 18. Jahrhunderts wollte er in Nordamerika eine großangelegte Eisenindustrie aufbauen – ein visionäres Projekt, das jedoch scheiterte. Sein Leben steht exemplarisch für die Chancen und Risiken des transatlantischen Handels in einer Zeit, in der die Weltwirtschaft noch in ihren frühen Formen vernetzt war.
Von Remscheid in die Welt: Ein Kaufmann wird global
Hasenclever entstammte einer angesehenen bergischen Kaufmanns- und Hammerherrenfamilie. Sein Werdegang war von Anfang an international geprägt: Nach einer Lehre in einer Solinger Messerschmiede führte ihn seine Ausbildung nach Lüttich, wo er sich mit Buchhaltung und den Feinheiten des Handels vertraut machte. Später zog es ihn nach Frankreich und Spanien, wo er mit Verwandten einen eigenen Leinwandhandel gründete.
Doch sein Blick ging über Europa hinaus. In den 1750er Jahren ließ er sich in England nieder, das zu dieser Zeit das wirtschaftliche Zentrum der Welt war. Er erkannte das immense wirtschaftliche Potenzial der britischen Kolonien in Nordamerika und entwickelte einen ambitionierten Plan: Er wollte dort eine eigenständige Eisenproduktion aufbauen, die England von teuren Importen aus Europa unabhängiger machen sollte.
Eine gewagte Unternehmung: Hasenclever in Amerika
Mit finanzieller Unterstützung englischer Investoren reiste Hasenclever zwischen 1764 und 1765 nach Nordamerika. Dort kaufte er große Ländereien in den heutigen Bundesstaaten New York und New Jersey. Sein Plan war es, deutsche Fachkräfte nach Amerika zu bringen, um dort eine hochmoderne Eisenindustrie aufzubauen.
Tatsächlich begann er mit dem Bau mehrerer Eisenhütten und Pottasche-Fabriken. Er ließ Bergwerke erschließen, investierte in Transportwege und importierte hunderte deutsche Arbeiter, um die Produktion anzukurbeln. Sein Vorhaben galt als eines der ambitioniertesten Industrieprojekte seiner Zeit.
Doch schon bald traten massive Probleme auf. Die logistischen Herausforderungen waren enorm: Die Werke lagen weit entfernt von den wichtigen Handelsrouten, was die Transportkosten in die Höhe trieb. Zudem erwiesen sich einige der von ihm erschlossenen Minen als wenig ertragreich. Ein weiteres Problem war die schlechte finanzielle Planung – die Schulden häuften sich, und seine Investoren wurden zunehmend ungeduldig.
Politische Krisen und der Fall eines Visionärs
Neben den wirtschaftlichen Schwierigkeiten geriet Hasenclever in die politischen Spannungen zwischen England und seinen Kolonien. Die britische Regierung erhöhte die Steuern auf Importe und erließ neue Handelsbeschränkungen, was seine Pläne weiter erschwerte.
Seine deutschen Arbeiter, die er mit hohen Versprechungen angeworben hatte, waren mit den Arbeitsbedingungen unzufrieden. Viele von ihnen verließen die Werke vorzeitig, was die Produktion weiter lähmte. Die Lage eskalierte schließlich so weit, dass Hasenclever 1769 für bankrott erklärt wurde. Ein Zeitgenosse schrieb damals:
“Poor Peter Hasenclever, who in the last five years has buried the better part of a hundred thousand pounds in this country, is now among the unfortunates, being declared a bankrupt. His fate is regretted, for he was honest and well beloved.”
Nach dem finanziellen Zusammenbruch kehrte Hasenclever 1773 nach England zurück und versuchte, sich gegen die Vorwürfe seiner Geschäftspartner zu verteidigen. Er verfasste eine Denkschrift mit dem Titel „The Remarkable Case of Peter Hasenclever, Merchant“, in der er seine wirtschaftlichen Unternehmungen schilderte und die Ungerechtigkeiten, die ihm widerfahren seien, anprangerte. Doch seine Argumente fanden wenig Gehör.
Eine Geschichte über Mut, Risiko und Scheitern
Die Geschichte von Peter Hasenclever zeigt eindrucksvoll die Herausforderungen und Risiken des globalen Handels im 18. Jahrhundert. Sie macht deutlich, dass unternehmerische Innovation nicht immer zum Erfolg führt – aber auch, dass gescheiterte Projekte oft den Grundstein für spätere Entwicklungen legen.
Hasenclever war kein Betrüger oder Hasardeur, sondern ein ehrlicher Geschäftsmann mit einer großen Vision. Sein Pech war es, dass er zu früh zu viel wollte. Doch sein Mut, globale Märkte zu erschließen, machte ihn zu einem Pionier des transatlantischen Handels.
Heute ist sein Name weitgehend vergessen. Doch sein Schicksal erinnert daran, dass wirtschaftlicher Fortschritt oft auf den Schultern derer ruht, die es gewagt haben, neue Wege zu beschreiten – selbst wenn sie dabei scheiterten.
Langfristige Auswirkungen und wirtschaftliches Vermächtnis
Obwohl Peter Hasenclever als Unternehmer scheiterte, hatte sein Engagement tiefgreifende Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung Nordamerikas und die unternehmerische Denkweise seiner Familie. Die Eisenwerke, die er in New York und New Jersey errichtete, existierten auch nach seinem Bankrott weiter und trugen zur frühen Industrialisierung der Region bei. Sie bildeten ein Fundament für spätere industrielle Unternehmungen in den britischen Kolonien und im neu gegründeten Amerika.
Doch die vielleicht bedeutendste Nachwirkung seines Projekts zeigt sich in der Entwicklung seiner eigenen Familie: Eine Generation nach Peters Scheitern griff sein Großneffe Josua Hasenclever (1783–1853) das Konzept der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen erneut auf – diesmal mit einem klügeren, nachhaltigen Ansatz.
Josua Hasenclever – Die zweite Generation lernt aus den Fehlern
Josua Hasenclever wurde 1783 in Remscheid geboren und entstammte derselben Unternehmerfamilie wie Peter. Er wuchs in einer Zeit auf, in der sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verändert hatten: Der transatlantische Handel florierte weiter, doch das Zeitalter der großen europäischen Kolonialreiche ging langsam zu Ende. Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg hatte die Machtverhältnisse verschoben, und Südamerika begann sich allmählich aus dem spanischen und portugiesischen Einfluss zu lösen.
Josua erkannte die neuen Möglichkeiten und entschied sich für eine vorsichtigere Expansion. Während Peter sich auf Produktion und Industrie konzentriert hatte, setzte Josua auf Handel und Netzwerke. Er wollte deutsche Produkte direkt nach Übersee exportieren, ohne die hohen Investitionen und Risiken, die seinem Großonkel zum Verhängnis geworden waren.
Im Jahr 1821 gründete er die Rheinisch-Westindische Kompagnie, ein Unternehmen, das deutsche Manufakturwaren in den südamerikanischen Raum exportierte. Das Konzept war vielversprechend: Europa produzierte zunehmend mehr Industriegüter, während in Südamerika die Nachfrage nach hochwertigen Fertigwaren stieg. Der Unabhängigkeitskampf vieler lateinamerikanischer Staaten führte zu einem wachsenden Bedarf an Handelspartnern außerhalb des bisherigen spanischen und portugiesischen Einflussbereichs – und genau hier setzte Josua an.
1830 eröffnete er eine Handelsniederlassung in Rio de Janeiro, um den brasilianischen Markt gezielt zu erschließen. Brasilien war damals eine wirtschaftlich aufstrebende Region mit starkem Bedarf an Metallwaren, Textilien und anderen deutschen Exportgütern. Josua organisierte den Handel so, dass er ohne den Aufbau eigener Produktionsstätten auskam. Er kooperierte mit bestehenden Händlern, nutzte etablierte Handelsrouten und minimierte so das wirtschaftliche Risiko.
Warum Josua erfolgreich war – Die Lehren aus Peters Fehlern
Im Gegensatz zu seinem Großonkel machte Josua strategische Entscheidungen, die sich als klüger erwiesen. Während Peter Hasenclever große Summen in Produktionsanlagen steckte, konzentrierte sich Josua auf den Vertrieb bereits existierender Waren. Dies senkte das finanzielle Risiko erheblich. Josua erkannte außerdem, dass der Aufbau von Produktionsstätten in Übersee mit zu vielen Unsicherheiten verbunden war. Stattdessen setzte er auf den direkten Warenaustausch und nutzte bestehende Handelsstrukturen. Zusätzlich hatte Peter noch mit der britischen Kolonialverwaltung und den politischen Spannungen in Nordamerika zu kämpfen, wohinggen Josua in Südamerika von neuen wirtschaftlichen Freiheiten profitieren konnte. Schließlich baute Josua auf Handelsverbindungen auf, die bereits durch europäische Exporteure etabliert waren, und vernetzte sich mit lokalen Kaufleuten, anstatt eine völlig neue Infrastruktur aufzubauen.
Von Josua zu späteren Hasenclevers – Der lange Schatten transatlantischer Geschäfte
Auch wenn die Rheinisch-Westindische Kompagnie nicht über Jahrzehnte hinweg Bestand hatte, war sie dennoch ein wichtiger Meilenstein in der wirtschaftlichen Entwicklung deutscher Handelsunternehmen in Übersee. Sie zeigte, dass ein transatlantisches Geschäft erfolgreich sein konnte, wenn es mit Bedacht geführt wurde.
Bernhard Hasenclever, ein späteres Mitglied der Familie, analysierte das Scheitern früherer Generationen und kam zu einem bemerkenswerten Fazit, dass die “Fehlschläge in Übersee Geld kosteten – aber Wissen brachten. Ohne diese frühen Experimente hätte der deutsche Außenhandel nicht wachsen können.”
Diese Erkenntnis sollte für zukünftige Unternehmergenerationen von Bedeutung sein. Deutsche Unternehmen erkannten zunehmend, dass der Aufbau internationaler Handelsbeziehungen Geduld und Flexibilität erforderte.
Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts folgten andere deutsche Kaufleute Josuas Weg. Unternehmen aus dem Rheinland und Westfalen begannen, systematisch in Südamerika zu investieren, wobei sie nicht nur Handelsniederlassungen gründeten, sondern auch industrielle Kooperationen eingingen. Josuas Ansatz war somit ein Vorläufer dessen, was später als “deutscher Außenhandel” eine zentrale Rolle in der Weltwirtschaft einnehmen sollte.
Von der Familie zum globalen Wirtschaftsmodell
Die Geschichte von Peter und Josua Hasenclever ist mehr als nur die Chronik zweier Unternehmer aus Remscheid. Sie zeigt die Evolution transatlantischer Wirtschaftspraktiken über Generationen hinweg. Während Peter mit seinem zu groß gedachten Projekt scheiterte, lernte Josua aus den Fehlern seines Vorfahren und legte damit den Grundstein für nachhaltige Wirtschaftsstrategien.
Ihr Erbe ist heute noch in der Art erkennbar, wie globale Märkte funktionieren. Die Lehren, die Josua aus Peters Fehlschlag zog, lassen sich auf moderne wirtschaftliche Herausforderungen übertragen: Erfolgreiche Expansion erfordert kluge Planung, Marktanpassung und strategische Kooperationen.
Die Geschichte der Hasenclevers zeigt eindrucksvoll, dass wirtschaftlicher Erfolg oft auf Fehlschlägen aufbaut. Peter Hasenclever hatte eine visionäre Idee, aber er setzte sie in einem für ihn unbekannten Umfeld zu schnell und zu groß um. Sein Großneffe Josua verstand es, aus diesen Fehlern zu lernen und die überseeischen Handelsbeziehungen der Familie neu auszurichten – mit nachhaltigem Erfolg.
Ihr Vermächtnis verdeutlicht, dass unternehmerischer Mut allein nicht ausreicht. Wer in globalen Märkten bestehen will, muss sich anpassen, Lehren aus der Vergangenheit ziehen und strategisch handeln. In diesem Sinne war Peter Hasenclever vielleicht ein gescheiterter Pionier – aber ohne sein Wagnis hätte es den Erfolg von Josua und vielen anderen nicht gegeben.