Wenn an der Universität zu Köln eine Stelle „eine:r wissenschaftlichen Mitarbeiter:in“ ausgeschrieben wird, zeigt sich daran: Sprache verändert sich – und das nicht ohne Reibung. Warum gendern wir eigentlich? Was macht das mit der deutschen Grammatik? Und warum stoßen viele gut gemeinte Lösungen im Alltag an ihre Grenzen?
Sprache und Gesellschaft
Sprache ist ein Spiegel der Gesellschaft – und sie formt unsere Wahrnehmung. Das generische Maskulinum, also die Verwendung der männlichen Form für gemischtgeschlechtliche oder nicht näher bestimmte Gruppen, prägt unser Denken. Wer „die Lehrer“ hört, denkt meist nicht automatisch auch an Lehrerinnen – oder gar an Menschen, die sich keinem binären Geschlecht zuordnen. Gendergerechte Sprache will genau hier ansetzen: Sichtbarkeit schaffen für alle Geschlechter.
Doch damit stößt man im Deutschen schnell auf ein grundlegendes Problem: die Grammatik.
Genus ist nicht gleich Geschlecht
Das Deutsche kennt drei grammatische Geschlechter – maskulin, feminin, neutrum –, die sogenannten Genera. Diese Klassifizierung betrifft zunächst nur die Form von Wörtern, nicht das biologische oder soziale Geschlecht. Dennoch gibt es eine hartnäckige Verbindung in der Alltagssprache: Der „Lehrer“ ist männlich, die „Lehrerin“ weiblich – und die neutrale Form fehlt.
Die Entwicklung der Genera – vom Plural zum Femininum
Historisch betrachtet ist das grammatische Geschlecht keine uralte, naturgegebene Ordnung, sondern das Produkt sprachlicher Entwicklung. In der indoeuropäischen Ursprache existierte zunächst nur ein Genus. Dieses diente der Bezeichnung handelnder Subjekte – etwa: der Mann jagt. Als sich die Sprache weiterentwickelte, wurde ein zweites Genus eingeführt, um Objekte von Subjekten abzugrenzen: der Mann sieht das Weib. Schließlich entstand aus der Notwendigkeit, abstrakte Begriffe und Mehrzahlformen auszudrücken, eine Pluralform: der Junge verkauft zwei Pferde. Diese Pluralform wiederum führte zur Ausbildung eines dritten Singular-Genus – dem Femininum. Das weibliche Genus ist also sprachhistorisch eine Ableitung aus der Pluralform – ein Umstand, der heute kaum noch bewusst ist, aber grammatisch Spuren hinterlässt.
Die Entwicklung der Artikel
Auch die Artikel des Deutschen – „der“, „die“, „das“ – folgen dieser Logik. Ursprünglich waren sie Demonstrativpronomen, also hinweisende Wörter. Erst mit der zunehmenden Systematisierung der Sprache, insbesondere im alten Griechenland und später im Lateinischen, wurden sie zu festen grammatischen Markern für das Genus. Auffällig dabei: Die Artikel „die“ im Femininum und im Plural sind identisch – ein Überbleibsel ihrer gemeinsamen Herkunft.
Weibliche Endungen im Wandel
Im Frühhochdeutschen unterschieden sich männliche und weibliche Personenbezeichnungen durch die Endungen „-o“ und „-a“ – zum Beispiel ano und ana für Großvater und Großmutter. Später verschmolzen diese zu „-e“, bevor sich für weibliche Formen die Endung „-in“ durchsetzte. Im Mittelhochdeutschen wurde daraus „-inne“, im Neuhochdeutschen wieder „-in“. Diese Entwicklung zeigt: Weibliche Bezeichnungen sind nicht ursprünglich gleichwertige Alternativen, sondern nachträgliche Differenzierungen – sprachlich markierte Anhängsel zum „Standard“ des Maskulinums.
Partizipien als Rettung?
Eine beliebte genderneutrale Lösung ist der Rückgriff auf Partizipien: die Teilnehmenden, die Lehrenden, die Vorsitzenden. Partizipien entstammen dem Verb (Partizip I: aktivisch, gegenwärtig) und werden wie Adjektive dekliniert. Diese Formulierungen scheinen auf den ersten Blick neutral und integrativ – doch bei näherem Hinsehen offenbaren sich grammatische Probleme.
Denn: Die Endung eines Partizips hängt vollständig vom Artikel ab. Das zeigt sich in folgenden Beispielen:
- mit bestimmtem Artikel (maskulin):
der Gehende, den Gehenden, dem Gehenden, des Gehenden - mit unbestimmtem Artikel:
ein Gehender, einen Gehenden, einem Gehenden, eines Gehenden - ohne Artikel (starke Deklination):
Gehender, Gehenden, Gehendem, Gehendes
Das bedeutet: Auch wenn das Partizip an sich neutral erscheinen mag, wird es durch die grammatische Struktur wieder in die alte Geschlechterlogik eingebunden. Die Wendung „Unterschrift des Teilnehmenden“ illustriert das deutlich: Hier soll die männliche Form vermieden werden, doch der maskuline Artikel „des“ weist das Partizip grammatisch wieder als männlich aus.
Ein anderes Beispiel: „Unterschrift Kursleitende“. Diese Formulierung kann ein Plural sein oder ein Femininum – je nach Kontext. Männer werden dadurch unter Umständen ausgeschlossen, obwohl die Form eigentlich integrativ gemeint war. Die Ausweichlösung „Kursleitung“ abstrahiert wiederum die handelnde Person – und nimmt ihr damit die Sichtbarkeit. Auch hier zeigt sich: Die Suche nach einer inklusiven Sprache führt oft in grammatische Sackgassen.
Komposita und andere Stolperfallen
Komplizierter wird es bei zusammengesetzten Wörtern. Patenurkunde meint die Urkunde für einen Paten – das „n“ ist hier ein Fugenelement, nicht etwa ein Plural. Patinnenurkunde wirkt zwar weiblich, legt aber einen Plural nahe, der gar nicht gemeint ist. Genderzeichen helfen in solchen Fällen wenig: „Bürgerinnenmeisterin“ ist kaum aussprechbar und wirkt befremdlich.
Pluralformen – uneinheitlich und widerspenstig
Auch der Plural bietet keine grammatisch saubere Lösung. Die deutschen Pluralformen sind vielfältig: die Schüler, die Ärztinnen, die Experten, die Kinder. Mal wird ein Umlaut eingeführt, mal ein „-n“, mal ein „-s“. In vielen Fällen lässt sich eine gendergerechte Form nicht korrekt mit einem bestimmten Kasus oder Artikel kombinieren. Sprachexperimente wie „Ärztinnen“* oder „Expertinnen“* verschleifen dabei die grammatische Struktur – oder erzeugen neue Probleme, etwa im Dativ („mit den Lehrerinnen“*), wo das geforderte „-n“ der maskulinen Form fehlt.
Ein kreativer Versuch – und seine Grenzen
Aus der Praxis heraus entstand der Versuch, die Unsichtbarkeit weiblicher Formen in Komposita zu umgehen: Statt „König:innenskulptur“, was durch den Plural suggeriert, dass es um mehrere Personen geht, lautet der Vorschlag: „König/s:in-Skulptur“. Durch das Schrägzeichen und den Doppelpunkt wird sowohl die männliche als auch die weibliche Form sichtbar gemacht – ohne den Plural zu bemühen.
Doch diese Lösung funktioniert nur im Schriftbild. Sie ist nicht sprechbar, wirkt im gesprochenen Wort sperrig und führt damit zu neuen Barrieren. Alternativen wie „Thronfigur“ oder „Skulptur einer gekrönten Person“ abstrahieren zwar stärker, aber auch hier droht wieder eine Entpersonalisierung – und damit ein Widerspruch zum Ziel der Sichtbarmachung.
Und nun?
Eine einheitliche Lösung für gendergerechtes Deutsch gibt es nicht – und wird es womöglich auch nie geben. Zu komplex ist das grammatische System, zu unterschiedlich die Bedürfnisse. Während manche Sprachräume – wie das Niederländische – bewusst auf geschlechtsspezifische Formen verzichten, kämpft das Deutsche mit seiner eigenen Struktur. Einige schlagen deshalb vor, die Genera einfach umzubenennen: Genus I, II, III – neutral, sachlich, entkoppelt vom biologischen Geschlecht.
Was auch immer man von gendergerechter Sprache hält: Sie zwingt uns dazu, über Sprache nachzudenken – über ihre Wirkung, ihre Herkunft und ihre Grenzen. Und allein das ist schon ein Fortschritt.