Von der Gottheit zur ökologischen Katastrophe

„Ich preise Bastet, die Große, die Göttin, Herrin von Bubastis,
die in Freude lebt,
die mit Wohlgerüchen gefällig ist,
die mit Tänzen geehrt wird,
deren Ankunft Jubel bringt.“

Mit diesen Zeilen beginnt ein Hymnus aus dem Tempel von Bubastis, dem Zentrum der Bastet-Verehrung im alten Ägypten. Schon der Klang dieses Textes lässt etwas von jener Verehrung erahnen, die Katzen im pharaonischen Ägypten entgegengebracht wurde. Bastet – nicht als furchteinflößende Gottheit, sondern als Schutzmacht, als Sinnbild von Freude, Musik und Zärtlichkeit. Eine Göttin mit Krallen, aber auch mit Charme.

Bubastis – im Ägyptischen „Per-Bastet“, also „Haus der Bastet“ – war eine Stadt im östlichen Nildelta. In der Blütezeit des Bastet-Kults, etwa ab dem Neuen Reich, entwickelte sich die Stadt zu einem bedeutenden Pilgerzentrum. Jährlich strömten Tausende zum großen Tempel, um der Göttin zu huldigen – mit Musik, Tanz, Parfüm, Blumen und Wein.

„Du bist die Herrin der Freude,
die Laute im Haus der Feste.
Du bist die Sonnenkatze,
deren Augen das Böse vertreiben.“
(Bastet-Hymnus aus dem Neuen Reich)

In dieser Anrufung verbinden sich zwei zentrale Aspekte der Katzengöttin: ihre Ausstrahlung als göttliche Beschützerin – „deren Augen das Böse vertreiben“ – und ihre Rolle als freundliche Kraft des Lebens, der Musik, der Sinnlichkeit. Bastet war eine Gottheit des Lichts und der Nähe, nicht der Drohung.

Der Tempel selbst lag an einem Kanalarm des Nils, umgeben von Palmenhainen, und war durch eine große Allee aus Sphingen zu erreichen. Archäologen fanden dort Tausende Katzenmumien – denn wer Bastet verehrte, brachte oft eine lebende Katze mit, um sie nach ihrem Tod mumifizieren und der Göttin weihen zu lassen. Manche dieser Mumien lagen in kunstvoll bemalten Holzsarkophagen, mit aufgemalten Perlenketten und goldenen Ohren.

Bevor die Katze zur Göttin wurde, bevor ihr in Bubastis Tempel gebaut und ihre Mumien in goldverzierte Särge gelegt wurden – war sie schlicht und einfach: nützlich. Ihre Geschichte mit dem Menschen beginnt nicht in einem Kultbild, sondern in einem Kornspeicher.

Mit der sogenannten neolithischen Revolution wurde der Mensch sesshaft. Er baute Getreide an – und musste es lagern. Und wo Getreide lagert, da kommen Mäuse. Ein Problem. Die Lösung: ein leiser Jäger, der sich lautlos durch die Speicherräume bewegte, zuschlug, verschwand – die Falbkatze, Vorfahrin unserer Hauskatzen.

Es war der Beginn einer besonderen Beziehung – einer, die nicht auf Zwang, sondern auf gegenseitigem Nutzen beruhte. Die Katze wurde nicht gezähmt, sie zähmte sich selbst. Sie kam, weil es Mäuse gab. Sie blieb, weil es bequem war. Und der Mensch ließ sie gewähren. Keine Leine, kein Befehl, keine Unterordnung – sondern eine stille Übereinkunft.

Ein Beleg dafür findet sich auf der Insel Zypern: Dort wurde vor rund 9.500 Jahren ein Mensch mit einer jungen Katze zusammen bestattet – sorgsam nebeneinander gelegt. Katzen waren zu dieser Zeit nicht auf Zypern heimisch. Jemand hatte sie bewusst mitgenommen. Nicht als Opfer, nicht als Ware – sondern offenbar als Weggefährtin.

Diese frühe Verbindung erklärt vieles: Warum Katzen keine Rudeltiere sind wie Hunde. Warum sie ihre Unabhängigkeit bewahrt haben. Warum sie heute noch ins Haus kommen, aber nicht ins Herz springen. Sie leben bei uns – nicht für uns.

Dass ausgerechnet in Ägypten die Katze zur göttlichen Verehrung aufstieg, ist kein Zufall. Das Land am Nil war die Kornkammer der Antike – ein Reich, das von Getreideexport lebte. Wo Getreide lagert, drohen Mäuse, und wo Mäuse sind, da wird der Mäusefänger zum unersetzlichen Helfer. Mäusesicherheit war nicht Luxus, sondern ökonomisches Überlebensprinzip. Und ein Tier, das diese Sicherheit bot, wurde nicht nur geduldet oder geschätzt – es wurde geheiligt.

So beginnt ein stiller Aufstieg: vom Korn zum Kult, von der Speisekammer zum Tempel, vom Jäger zur Gottheit. Die Götter kamen nicht zuerst – sie kamen, weil die Katze längst ihren Platz beim Menschen gefunden hatte.

Natürlich war Bastet nicht die einzige Tiergottheit Ägyptens – das religiöse Panorama des Nillandes war bevölkert von Falken, Krokodilen, Ibisvögeln und Schakalen. Doch in Bastet wurde die Katze selbst zur Kultfigur, zum Symbol einer sanften, schützenden, lebensnahen Göttlichkeit.
Ein Tier, das anderswo kaum mehr als eine praktische Hilfe war, wurde hier Mittlerin zwischen Mensch und Weltordnung.

Und genau hier beginnt eine kleine Illusion: Denn heute gilt es fast schon als Allgemeinwissen, dass die alten Ägypter Katzen verehrten. Wer sich ein bisschen für Geschichte interessiert, kennt das: Bastet, Katzengöttin, Mumien, Tempel – alles sehr stilvoll und exotisch. Die Katze als göttliches Wesen – ein Vorläufer der heutigen Sofadiva auf Samtdecke und Heizkörper.

Doch bevor wir jetzt allzu ehrfürchtig werden, sei daran erinnert: Die Ägypter mumifizierten nicht nur Katzen. Auch Hunde, Krokodile, Ibisvögel, Falken, Fische, ja sogar Rinder und Paviane wurden mit derselben Andacht eingewickelt und ins Jenseits verabschiedet. Wer in Ägypten als Tier etwas auf sich hielt, hatte eine eigene Grabstätte.

Die Katze war also nicht die besondere Ausnahme – sie war Teil eines ganzen Tierpantheons, einer riesigen göttlichen Arche mit Fell, Schuppen, Federn und Krallen. Wenn man so will: ein heiliges Bestiarium, das jedem Zoo zur Ehre gereicht hätte. Die Katze hatte darin ihren Platz – aber nicht den Thron.

Gerade deshalb lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Woher kommt unsere heutige Faszination mit der ägyptischen Katzengöttin? Ist es nur ein nostalgischer Blick zurück auf eine Hochkultur – oder steckt da vielleicht ein stiller Wunsch dahinter, unsere pelzigen Mitbewohner in eine höhere Ordnung zu erheben?

Wer weiß. Sicher ist nur: Im nächsten Teil unserer Reise wird es für die Katze deutlich ungemütlicher. Denn dort, wo Ägypten Wohlgerüche, Tanz und Myrrhe kannte, herrschte im biblischen Raum strenger Ernst.

Während in Ägypten Katzen mumifiziert, parfümiert und zur Göttin erhoben wurden, herrschte im alten Israel ein ganz anderes Verhältnis zur Tierwelt – nüchterner, distanzierter und durchzogen von theologischer Vorsicht.

Das beginnt schon mit dem ersten der Zehn Gebote:

„Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.
Du sollst dir kein Bildnis machen, weder von dem, was im Himmel,
noch von dem, was auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist.
Du sollst sie nicht anbeten und ihnen nicht dienen.“
(Exodus 20,3–5)

Diese Gebote sind nicht nur theologische Grundsätze – sie sind auch eine klare Absage an alles, was im Nachbarland Ägypten religiöse Hochkultur war. Götter in Tiergestalt? Bilderverehrung? Tempelrituale mit Tierfiguren? Alles verboten. Der Gott Israels ist unsichtbar, unfassbar, bildlos – gerade in Abgrenzung zur bilderreichen Götterwelt Ägyptens.

In diesem Licht erscheint auch die fast völlige Abwesenheit der Katze im Alten Testament als eine bewusste Leerstelle. Die Katze wird nicht erwähnt – mit einer einzigen, später hinzugefügten Ausnahme: In Baruch 6, einem Text der deuterokanonischen Schriften, heißt es:

„Auch die Katzen und andere Tiere klettern auf sie,
und auch Vögel und Hunde setzen sich auf sie.
Durch diese Tiere werden sie beschmutzt.“
(Baruch 6,22 nach Einheitsübersetzung)

Gemeint sind hier heidnische Götzenbilder, die von Tieren als Sitzplatz benutzt werden – ein Spott auf ihre Machtlosigkeit. Die Katze ist in dieser Passage kein verehrtes Wesen, sondern ein Zeichen der Verunreinigung, ein profanes Tier unter vielen.

Diese Abwertung trifft nicht nur Katzen. Im alttestamentlichen Denken sind Tiere nicht Träger göttlicher Macht, sondern Geschöpfe – Teil der Schöpfung, aber niemals Götter selbst. Man achtet auf sie, schützt sie zum Teil (wie in den Speisegeboten oder dem Sabbatgebot für Arbeitstiere), aber man betet sie nicht an.

Der Kontrast zu Ägypten könnte größer kaum sein. Dort war das Tier göttlich, hier ist es geschöpft.
Dort brachte man einer Katze Weihrauch, hier brachte man ihr – nichts.

Vielleicht lässt sich also sagen: Die Katze wurde im Alten Israel nicht bekämpft, sondern ignoriert. Und das, obwohl es sie im Alltag sicherlich gab – in der Levante war die Falbkatze ebenso heimisch wie in Ägypten. Doch sie hatte keinen symbolischen Wert, keine religiöse Bedeutung, keine poetische Rolle. Sie schlich durch die Gassen – aber durch keinen Psalm.

Diese bewusste Zurückhaltung gegenüber tierischen Bildern hat große Wirkung entfaltet. Denn sie bildete den Grundstein für ein Gottesbild, das ohne körperliche Gestalt auskommt – und für eine Kultur, in der Tiere nicht heilig sind, sondern Teil der Weltordnung, unter dem Menschen, aber in seiner Obhut.

Zwischen Ägypten, wo Katzen als Göttinnen verehrt wurden, und dem alten Israel, wo sie weitgehend ignoriert blieben, liegt ein weiterer Kulturraum, der für das spätere Christentum entscheidend war: die griechisch-römische Antike.

Die Griechen, besonders die Philosophen, sahen Tiere mit einem gewissen Maß an Ordnung: Aristoteles etwa ordnet die Katze korrekt als Mäusefänger ein – mehr nicht. Kein Mythos, keine religiöse Aufladung. Sie war nützlich, aber ohne Symbolwert.

Auch die Römer hielten sich eher pragmatisch an die Katze: In Haus und Hof war sie ein willkommenes Werkzeug gegen Nagetiere, nicht mehr. Der Hund war der Begleiter, der Wächter, das Loyalitätstier – die Katze blieb leise, beweglich, dekorativ.

Doch dann gibt es Momente wie bei Martial, dem großen Spötter des 1. Jahrhunderts nach Christus. In einem seiner Epigramme spielt er mit der Doppeldeutigkeit von Tier und Frau, mit Anspielung und Augenzwinkern. Unter dem Titel „Felis cenatica“ – Die Speisekatze schreibt er:

„Inter delicias pisces sum digna secundos,
non sum cenae prima, sed apta gulae.“

„Unter feinen Genüssen bin ich als zweiter Gang wohl würdig.
Nicht für den Hauptgang bestimmt, aber dem Gaumen genehm.“

Auf den ersten Blick könnte man meinen, Martial wolle hier ein Gericht preisen – vielleicht gar eine Katze als Speise? Doch der Kontext – eine Sammlung augenzwinkernder Beischriften zu kleinen Geschenken – legt etwas anderes nahe: Die „Speisekatze“ ist eine Metapher. Eine verspielte, laszive, weiblich konnotierte Erscheinung. Kein Hauptgericht, sondern das, was nach dem ersten Hunger kommt – ein Nachtisch mit Krallen.

Martial bedient sich hier einer traditionellen römischen Sichtweise, in der die Katze – wie auch manche Frauenfiguren – nicht durch Treue, sondern durch Grazie auffällt. Sie ist kein Symbol von Pflicht oder Pathos, sondern von Lust und Lockung. Elegant, weich, aber unzuverlässig. Die Katze als Frau, die Frau als Katze – und beide nicht ganz geheuer, aber äußerst reizvoll.

Was wir hier sehen, ist eine Entstehung eines kulturellen Bildes, das Jahrtausende überdauern wird: die Katze als Symbol weiblicher Eigenwilligkeit, als charmante Verführerin – nie ganz greifbar, nie ganz zahm. In ihr vereint sich das, was die römische Kultur zwischen Angst und Begehren platzierte: Schönheit ohne Gehorsam, Nähe ohne Unterordnung.

Und dieses Bild hat sich gehalten – bis heute. Man denke nur an Catwoman, die wohl bekannteste Katzengestalt der Popkultur: elegant, schwarz gekleidet, moralisch ambivalent, stets auf dem schmalen Grat zwischen Heldin und Gegenspielerin. Ob als Michelle Pfeiffer in Lack, als Anne Hathaway in High Heels oder als Comicikone – Catwoman ist die martialische „Speisekatze“ der Moderne: kein Hauptgericht, aber unvergesslich.

Sie ist Sinnbild einer Weiblichkeit, die nicht gezähmt werden will – ebenso wie die Katze selbst: nicht treu wie ein Hund, nicht unterwürfig, sondern eigenständig, geschmeidig, frei.
Catwoman zeigt uns, wie tief dieses Bild sitzt – und wie attraktiv es bleibt.
Die Katze ist kein Haustier. Sie ist ein Statement.

Und genau das – diese Mischung aus Anziehung und Misstrauen – wird im nächsten Abschnitt religiös aufgeladen. Denn das frühe Christentum begegnet der Katze nicht mit Bewunderung oder Spott – sondern mit wachsendem Verdacht.

Im frühen Christentum beginnt ein tiefgreifender Wandel: Wo die griechisch-römische Kultur noch Platz ließ für Ambivalenz, Schönheit und kleine moralische Ausrutscher, trat nun eine strengere, dualistischere Weltordnung an deren Stelle. Licht und Finsternis, Reinheit und Sünde, Himmel und Hölle. Dazwischen war wenig Raum. Und besonders misstrauisch beäugt wurden all jene Wesen, die nicht eindeutig zuordenbar waren: Frauen – und Katzen.

Beide galten in den frühkirchlichen Schriften oft als verführerisch, eigenwillig, potenziell gefährlich. Die Frau, als Nachfahrin der Eva, war der Einfallspunkt der Sünde in die Welt. Die Katze – als nachtaktives Tier, das sich nicht abrichten ließ, das sich niemandem unterwarf – war ein lebendiges Symbol für eben diese Unbotmäßigkeit.

Kein Evangelist schreibt über Katzen. Kein Kirchenvater lobt sie. Die Bibel – wie bereits erwähnt – kennt die Katze nur in Baruch 6 als Tier, das auf Götzen klettert und sie mit seinen Pfoten beschmutzt. Und das Schweigen ist bezeichnend. In einem Denken, das alles ordnen, unterwerfen, bekehren wollte, war für Wesen, die sich nicht einordnen lassen, kein Platz.

Dazu kommt die Übernahme antiker Frauenbilder, die in den frühen theologischen Schriften weiterleben – und sich mit dem neuen moralischen Ernst verbinden. Die Frau, wenn nicht jungfräulich, sollte wenigstens schweigen, dienen, beten. Ihre Stimme, ihr Körper, ihr Wille galten als gefährlich. Und weil man sie nicht vollständig verbannen konnte, musste man sie umerziehen – theologisch wie symbolisch.

An dieser Stelle kommt Maria ins Spiel. Die Latinistin und Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Stein hat das mit scharfem Blick benannt: Die Marienverehrung war keine reine Liebesgeschichte, sondern eine theologisch-strategische Lösung. Wer auf Dauer eine Religion etablieren will, kann nicht die Hälfte der Menschheit als Gefahr brandmarken. Also wurde Maria geschaffen – oder besser: eingerichtet – als die heilige, reine Frau, die ihre Rolle im göttlichen Heilsplan demütig erfüllt. Sie ist die neue Eva, aber ohne Eigenwillen.

Und die Katze? Die taugt nicht zur Maria. Kein Gehorsam, keine Demut. Die Katze erinnert zu sehr an die andere Weiblichkeit: die mit der Nacht, dem Feuerblick, dem Versteck, dem Krallenhieb. Sie ist – wie später in der Dichtung Baudelaires – sinnlich, seelenverwandt mit der Dunkelheit, eine Kreatur, die schnurrt, wenn sie will, kommt, wenn sie will, und mit feiner Arroganz jede Einladung ignoriert.

Die Verbindung ist damit besiegelt: Katzen, Frauen und das Dämonische werden in der Vorstellung des Mittelalters zu einem Dreiklang. Wer eine Katze hält, hält das Böse im Haus. Wer mit ihr spricht, verbündet sich mit finsteren Mächten. Und so werden Katzen – wie Frauen mit zu viel Wissen, zu viel Unabhängigkeit – gejagt, verbrannt, von Türmen geworfen.

Was sich hier zeigt, ist keine einfache Tierfeindlichkeit. Es ist ein kultureller Reflex auf das, was sich nicht bändigen lässt. Die Katze steht für die andere Ordnung – für das Verborgene, das Nachtaktive, das Weibliche jenseits des Mütterlichen. Und das war, in einer Theologie der klaren Fronten, unerträglich.

Aber nicht für alle Katzen des Mittelalters endete das tödlich. Eine gewisse Ambivalenz blieb auch in dieser Zeit der Ordnung erhalten. Im Schatten der großen Erzählung von Dämonisierung und Verdammnis lebte sie auch ein zweites, stilles Leben: als Begleiterin der Mönche, als Mäusejägerin in klösterlichen Vorratskammern, als leise Gesellschaft in der Einsamkeit der Zelle.

In den Skriptorien, wo Mönche bei flackerndem Licht Pergament beschrifteten, war die Katze ein praktischer und zugleich tröstlicher Mitbewohner. Sie fraß Mäuse, störte den Schreibfluss nicht – und manchmal, wenn es besonders kalt und besonders einsam war, ließ sie sich vielleicht sogar auf einem Schoß nieder.

Ein berührendes Zeugnis dieser Beziehung findet sich in einem irischen Klostertext aus dem 9. Jahrhundert – ein Gedicht, in den Rand eines lateinischen Manuskripts gekritzelt. Der Autor vergleicht liebevoll sein eigenes Schreiben mit dem Mäusefangen seines Katers Pangur Bán:

„Ich und Pangur Bán, mein Kätzchen,
wir haben unsere Aufgabe.
Ich schreibe mit Tinte auf Pergament,
er jagt in dunklen Ecken.
Freude bringt uns beides:
dem einen ein Vers, dem anderen eine Maus.“

Es ist ein stilles, zärtliches Bild – von Konzentration, Routine und Gesellschaft. Die Katze wird hier nicht als dämonisch gefürchtet, sondern als gleichgesinnte Seele betrachtet, als Mitstreiter in der klösterlichen Disziplin.

Solche Szenen erinnern uns daran: Das Mittelalter war nie nur finster. Es war auch voller Wärme, Widerspruch – und gelegentlich: Katzenschnurren im Skriptorium.

Die Mönche mochten streng sein, aber Katze bleibt Katze. Und so kam es, dass die mittelalterliche Geschichte nicht nur durch Federkiele geschrieben wurde, sondern auch durch Tatzen.

Im Staatsarchiv von Dubrovnik (Kroatien) entdeckte der Historiker Emir O. Filipović 2013 ein Pergament aus dem Jahr 1445. Es enthält einen Verwaltungsakt – und darüber verstreut: kleine, tintenschwarze Katzenpfoten. Eine Katze war durch das noch feuchte Manuskript gelaufen und hatte ihre Spuren hinterlassen – nicht metaphorisch, sondern ganz buchstäblich.

Und sie war nicht allein. Immer wieder finden sich in mittelalterlichen Handschriften Zeichen, dass Katzen anwesend waren: Kratzspuren, Tintenflecken, Korrekturanmerkungen wie „hic non legitur“ – „hier ist nichts zu lesen“ – an Stellen, wo der Text durch Pfotenabdruck unkenntlich wurde.

In gewisser Weise wurden Katzen damit zu heimlichen Mitautoren des Mittelalters – nicht durch Worte, sondern durch Präsenz. Ihre Spuren bezeugen eine alltägliche Realität: Die Katze war nicht nur ein Symbol, sondern Teil des Lebens. Sie war dort, wo Bücher geschrieben wurden, wo Psalmen entstanden, wo Wissen gesammelt wurde. Sie tappte durch Geschichte.

Und auch das ist Kulturgeschichte: nicht nur der große Mythos, sondern der kleine Pfotenabdruck auf vergilbtem Pergament.

Doch diese Ambivalenz ist eine Versteckte. Offen zeigte sie sich nicht. Die Katze blieb suspekt. So ist es nicht verwunderlich, dass ein Klassiker des tierischen Gegensatzes auch im Mittelalter kirchlich aufgeladen wurde. Denn wenn man Tiere symbolisch liest – und die Kirche hat das über Jahrhunderte mit großer Lust getan – dann sind Katzen und Hunde so etwas wie moralische Gegenspieler.

Der Hund: treu, folgsam, wachsamer Begleiter, leicht zu erziehen, bereit zu gehorchen. In der mittelalterlichen Theologie wurde er gern als Bild des rechten Gläubigen gedeutet. Besonders aber steht er symbolisch für eine ganz bestimmte Gruppe: die Dominikaner. Der Bettelorden, gegründet im 13. Jahrhundert, verstand sich als Hüter der Lehre, als Kämpfer gegen Häresie – und trug stolz seinen Spitznamen:
„Domini canes“ – die Hunde des Herrn.

Auf der anderen Seite: die Katze. Nachtaktiv, ungehorsam, nicht zu dressieren. Kein Tier der Ordnung, sondern der Lücke. Kein Wächter, sondern ein Schleicher. Ein Wesen, das allein entscheidet, wo es ist – und bei wem.
Kein Wunder, dass man sie mit dem Teufel in Verbindung brachte. Oder mit jenen, die man des Teufels verdächtigte: den Katharern.

Diese religiöse Bewegung, im 12. Jahrhundert besonders im Süden Frankreichs aktiv, stellte das katholische Weltbild in Frage: Sie predigten Askese, lehnten die Autorität der Kirche ab – und wurden als gefährliche Ketzer gebrandmarkt. Der Zisterziensermönch Alain de Lille behauptete, ihr Name leite sich vom lateinischen „cattus“ (Katze) ab – weil sie angeblich den Teufel in Katzengestalt verehrten.

Es war eine polemische Wortschöpfung, aber sie wirkte. Der Kater wurde Symbol der. Hier die Hunde des Herrn, die bellend die reine Lehre bewachen – dort die Katzen der Häresie, die sich im Dunkeln anschleichen, flüstern, schnurren, verführen.

Was als Allegorie begann, wurde bald Realität: Der Kreuzzug gegen die Katharer war blutig, die Inquisition systematisch. Und mit den Ketzern verschwanden oft auch ihre symbolischen Tiere. Schwarze Katzen wurden auf Scheiterhaufen mitverbrannt, aus Türmen geworfen oder einfach vorsorglich erschlagen.

Es war keine Auseinandersetzung von Argumenten – es war eine symbolische Jagd.
Und in dieser Jagd stand der Hund für das Gesetz – und die Katze für das, was man nicht kontrollieren konnte. Allerdings war nicht jede Deutung der Katze im Mittelalter theologisch. Auch die Medizin des Mittelalters hatte ihre ganz eigenen Vorstellungen – oft irgendwo zwischen Heilkunst, Aberglaube und Galgenhumor. Und die Katze? Die tauchte dort ebenfalls auf – mal als Gefahr, mal als Wundermittel, mal als modisches Accessoire mit heilerischer Nebenwirkung.

Hildegard von Bingen, die berühmte Äbtissin, Visionärin und Naturkundlerin, stand der Katze eher misstrauisch gegenüber. In ihrem Liber subtilitatum schreibt sie, dass Katzen schädlich und unrein seien – vor allem, weil sie Kröten und Schlangen ablecken würden und dadurch Gifte in sich trügen. Ihr Verzehr sei daher gefährlich, insbesondere das Gehirn der Katze könne bei Menschen Schäden hervorrufen. Der schnurrende Stubentiger war für Hildegard also eher ein apokalyptischer Nachtisch.

Anders sah es bei Albertus Magnus, dem Universalgelehrten des 13. Jahrhunderts, aus. Ihm zufolge hatte Katzenfleisch – ja, tatsächlich – heilsame Wirkung bei Frauenleiden und Fußgicht. Wer also lahm ging oder unter „weibischem Übermaß“ litt, dem konnte ein gut gegartes Stück Katze vielleicht Linderung verschaffen. Ob das oft praktiziert wurde, wissen wir nicht. Vermutlich blieb es häufiger bei der Theorie.

Konrad von Megenberg, ein weiterer mittelalterlicher Naturkundler, sah in der Katze ein zwar wildes, aber interessantes Tier. Für ihn war sie vor allem streitlustig, eigensinnig und unberechenbar – Eigenschaften, die, wie wir schon gesehen haben, auch in anderen Diskursen mit Weiblichkeit und Häresie verknüpft wurden. In Konrads Buch der Natur wird die Katze zur Art Grenzgängerin zwischen Wildnis und Haus, zwischen Nutzen und Gefahr.

Doch nicht nur der Körper der Katze wurde verwendet – auch ihr Fell hatte Bedeutung. Besonders beliebt: Geldbeutel aus Katzenhaut. Der Grund? Vielleicht das Symbol des Heimlichen, der leisen Bewegung, der diskreten Aufbewahrung. Oder einfach: praktische Lederqualität. Man trug sie also am Leib – als Mittel, als Zeichen, als Objekt. Die Katze war im Mittelalter nicht nur Begleiterin oder Verdächtige – sie war auch Ressource.

Die Frühe Neuzeit war eine Epoche der Gegensätze: Humanismus und Hexenhammer, Mikroskop und Galgen, Buchdruck und Scheiterhaufen. In dieser Zeit der Umbrüche geriet auch die Katze zwischen alle Fronten – als Symbol, als Werkzeug, als Verdacht. Im Zentrum stand dabei oft der Vorwurf der Hexerei. Die Vorstellung, dass Menschen mit dem Teufel paktierten, brachte eine Bildwelt hervor, in der Tiere als „Vertraute“ – familiars – dienten. Besonders die schwarze Katze galt als dämonisch: Sie sollte auf dem Besen mitreiten, auf der Brust schlafen, das Blut ihrer Herrin trinken oder sogar als der Teufel selbst erscheinen.

Solche Vorstellungen waren nicht abstrakt, sondern fanden Eingang in reale Prozesse. Auch im Bergischen Land wurde verfolgt, verurteilt und verbrannt. In Wipperfürth wurde 1633 eine Frau beschuldigt, durch einen „schwarzen Kater“ eine Kuh verhext zu haben. In Radevormwald genügte der Anblick einer „bös blickenden Katze“, um ein Kind als verhext zu erklären – der Verdacht fiel sofort auf die Nachbarin. Solche Prozesse waren selten theologisch sauber – aber sozial wirksam. Neid, Abgrenzung, Angst: Die Katze wurde zum Beweismittel des Verdachts. Und doch – sie ließ sich nicht vertreiben. Denn während man sie auf dem Scheiterhaufen verfluchte, brauchte man sie in der Küche, im Hof, im Vorratsraum. Besonders in Zeiten der Pest, als Ratten die Krankheit verbreiteten, war sie oft die letzte Hoffnung. Ein Haus ohne Katze war ein Haus mit Risiko.

Diese Spannung spiegelt sich auch im Denken jener Zeit. Martin Luther, der Reformator, der kein Freund leerer Rituale war, begegnete der Katze nicht mit Misstrauen, sondern mit milder Zuneigung. In seinen Tischreden und Briefen erscheinen Katzen, Hunde und Spatzen ganz selbstverständlich als Teil der Schöpfung – nicht dämonisiert, nicht verdächtigt, sondern betrachtet mit einer Art ländlicher Liebe zum Lebendigen.

Besonders eindrucksvoll ist ein Spruch aus seinen Tischreden: „Der Katzenspiel ist der Mäuse tot.“ Was klingt wie eine einfache Bauernweisheit, ist mehr als ein Naturbild. Der Historiker Mark Hengerer interpretiert dieses Wort als metaphorische Warnung vor Aufruhr. Die Katze steht hier für die Obrigkeit: verspielt, scheinbar harmlos, aber tödlich für jene, die sich zu weit aus der Deckung wagen. So wie die Mäuse dem Katzenspiel zum Opfer fallen, so ergeht es denen, die sich gegen die gottgewollte Ordnung stellen.

Das passt zu Luthers Haltung in den Bauernkriegen: Als sich die Bauern gegen Fürsten und Herren erhoben, stellte sich Luther auf die Seite der Obrigkeit – und verurteilte den Aufstand scharf. Die Katze wird so zu einem Bild für Ordnung, Kontrolle und den stillen Zugriff der Macht. Für Luther war der Teufel ein Ringer, kein schwarzer Kater. Und die Katze? Kein Hexentier, sondern ein vertrautes Tier – oder eben eine warnende Allegorie auf soziale Grenzen. So stand die Katze in der Frühen Neuzeit zwischen den Fronten: Für die einen war sie die Gefährtin der Hexe, für die anderen der Schutzengel der Vorratskammer – der das Sinnbild dafür, dass die Mäuse besser still bleiben – wenn die Katze spielt.

Jahrhunderte lang hatte man in den Augen der Katze das Böse vermutet: Teufelsblick, Hexenschimmer, dämonisches Leuchten in der Nacht. Doch nun – im 18. Jahrhundert, im Zeitalter der Aufklärung – beginnt sich der Blick zu wenden. Und plötzlich scheint das Licht in den Augen der Katze nicht mehr unheimlich – sondern erleuchtet.

Die Aufklärung bringt eine neue Sicht auf die Welt, auf den Menschen – und auch auf die Tiere. Der Mensch versteht sich nicht mehr nur als sündiger Wurm unter göttlichem Zorn, sondern als vernunftbegabtes Wesen in einer durch Naturgesetze geordneten Welt. Und in dieser Welt sind Tiere nicht länger nur Werkzeuge oder Gefäße dämonischer Kräfte, sondern Teil eines größeren, erklärbaren Zusammenhangs.

Die Katze profitiert von diesem Wandel – zumindest in der Wahrnehmung. Sie ist ein Geschöpf der Vernunft, der Eleganz, der Stille. Nicht laut, nicht bedingungslos loyal – sondern unabhängig, beobachtend, souverän. Eigenschaften, die in einer Zeit, in der man das Selbstdenken und die Individualität zu feiern beginnt, durchaus geschätzt werden.

Dazu kommt: Die Katze passt wunderbar in die neue bürgerliche Wohnkultur.
Während der Hund draußen bleibt, im Hof, im Stall, am Tor, betritt die Katze nun die Wohnstube, das Studierzimmer, die Salonnische. Dort liegt sie, zusammengerollt auf einem Diwan, während gelesen, philosophiert, disputiert wird. Sie ist leise – wie das Denken.
Und wenn sie einen ansieht, dann vielleicht nicht mit dämonischem Glanz – sondern mit jenem leisen Licht, das man plötzlich nicht mehr fürchtet, sondern bewundert.

In der Literatur der Empfindsamkeit taucht die Katze auf als Gefährtin einsamer Seelen. In Briefen, in Tagebüchern, in Beobachtungen. Nicht mehr Objekt der Projektion, sondern Subjekt der Zuneigung. Man beginnt, ihr Wesen zu erfassen, ihre Eigenarten zu respektieren. Goethe, der die Natur bewunderte und Tiere mit wachem Blick beschrieb, soll selbst Katzen gehalten haben – und obgleich der „offizielle Hundemensch“ der deutschen Klassik Schiller hieß, hatte der alte Goethe eine gewisse Sympathie für das stille, selbstbestimmte Tier. In seiner Dichtung taucht die Katze zwar selten auf – doch ihre stille Präsenz passt zur Weltauffassung der späten Weimarer Klassik: Schönheit durch Maß, Freiheit durch Form.

Die Aufklärung bringt also kein Katzenlob in goldenen Lettern, aber sie entzieht dem Tier das Dunkel. Sie wird nicht gefeiert – aber endlich entlastet. Das Licht, das man einst für höllisch hielt,  wird nun als Spiegel der Natur begriffen. Und so beginnt die Katze, langsam, aus der Angst ins Auge zurückzukehren.

Im 19. Jahrhundert wird die Katze endgültig Teil der häuslichen Welt – und zugleich zum Spiegel einer empfindsamen, manchmal auch düsteren Seele.
Sie zieht sich zurück auf gestickte Sofakissen, wandelt durch die Seiten romantischer Gedichte und spiegelt in ihren Augen nun nicht mehr das Höllenfeuer, sondern die Sehnsucht nach Stille, Innerlichkeit – und ein wenig Melancholie.

In der bürgerlichen Wohnkultur des Biedermeier ist die Katze willkommen: Sie ist leise, sie stört nicht, sie passt zum Teppich. Anders als der Hund braucht sie keine langen Spaziergänge, keine Dressur. Sie ist das Tier der Innigkeit, nicht der Öffentlichkeit. Und sie ist weiblich konnotiert – als Mitbewohnerin alleinstehender Frauen, als Geschöpf der Zartheit, aber auch der Eigenständigkeit.

Mit dem neuen Interesse an Ordnung und Klassifikation beginnt zugleich ein weiteres Kapitel: die Erfindung der Rassekatze. Nicht mehr nur Katze – sondern: Perserkatze, Siamkatze, Angora, Britisch Kurzhaar. 1871 wird im Londoner Crystal Palace die erste Katzenausstellung veranstaltet. Hier zählen keine Mäuse mehr – sondern Felllänge, Augenform, Anmut der Bewegung.
Die Katze wird zum ästhetischen Objekt, zur Schöpfung menschlicher Vorstellungen von Schönheit. Die Wildheit, das Ungezähmte – sie sollen unter weichem Pelz verborgen bleiben. Die bürgerliche Gesellschaft suchte nach Ordnung – auch im Tier. Und so begann man, die Katze zu gestalten: nicht, um sie besser zu machen, sondern gefälliger. Zucht heißt nun auch: Formung. Das Unberechenbare soll geordnet, das Exotische gezähmt werden. Und doch: Auch die schönste Perserkatze schläft mit einem Ohr zur Wand. Sie bleibt, was sie ist – ein Tier, das sich beobachten lässt, aber nie ganz gehört. In der Literatur der Romantik und des Symbolismus erscheint die Katze als geheimnisvolle Gefährtin. Charles Baudelaire schreibt in seinen Fleurs du mal:

„Die Liebhaber von Katzen, zart und feierlich,
bewundern sie so wie Priester ihre Messe.“

Die Katze wird zum mystischen Wesen – seelenvoll, unnahbar, frei. Und bei Edgar Allan Poe schlägt diese Bewunderung ins Düstere um: In The Black Cat wird aus dem Haustier ein Racheengel auf vier Pfoten – Sinnbild des inneren Zerfalls. Selbst in der Romantik bleibt ein Rest Ambivalenz – zwischen Anmut und Abgrund.

In den bürgerlichen Haushalten wird die Katze derweil zur Gattin der Häuslichkeit: auf Stickbildern, in Kinderbüchern, auf Porzellanfiguren. Doch so sehr man sie auch idealisiert – die Unabhängigkeit bleibt. Und diese Unabhängigkeit – so sehr man sie bewundert – wird bald zur realen Herausforderung. Denn mit der Industrialisierung und der Kolonialisierung verlässt die Katze das Wohnzimmer –  und tritt hinaus in die Welt. Was sie dort tut, sollte Folgen haben.

Im 18. und 19. Jahrhundert verließ die Katze endgültig das Wohnzimmer Europas. Sie reiste mit den Schiffen der Kaufleute, Forscher und Kolonialmächte – als Mitfahrerin unter Deck, als Mäusejägerin auf hoher See, als vermeintlich harmlose Begleiterin. Sie war eine invasive Spezies – lange bevor man wusste, was das ist.

Dort, wo die Katze ankam – auf den Inseln Polynesiens, in Australien, auf Neuseeland und in Südamerika – brachte sie ihre Jagdinstinkte mit. Was in den Kornkammern Europas nützlich gewesen war, wurde nun zur ökologischen Katastrophe. Denn sie stieß auf Tiere, die nie ein Raubtier gesehen hatten: Vögel, die am Boden nisteten, nicht flüchteten, langsam brüteten, nie gelernt hatten zu fliehen.

Einer der ersten, der dieses Drama beobachtete und niederschrieb, war Georg Forster, Naturforscher und Weltreisender, der James Cook begleitete. Was er über den Aufenthalt auf einer polynesischen Insel berichtet, ist ebenso lakonisch wie erschütternd. Als die Mannschaft sich zur Jagd auf die Vögel begibt, setzen sich einzelne der Tiere ohne Furcht auf die Gewehre. Auch wenn keiner der Männer „hartherzig genug seyn“ konnte, den Vögeln etwas antun, so

„[…] ward [diese Verhaltensweise] ihnen [in wenig Tagen] sehr nachtheilig und verderblich, weil eine Katze aus unserem Schiff nicht so bald ausfindig gemacht hatte, daß hier eine so trefliche Gelegenheit zu einem herrlichen Fraße sey, als sie richtig alle Morgen einen Sparziergang ins holz vornahm, und eine schreckliche Niederlage unter den kleinen Vögeln anrichtete, die sich vor einem so hinterlistigen Feinde nicht hüteten, weil sie nichts Arges von ihm vermuteten.“​

Forster beschreibt, was bis heute eines der größten ökologischen Probleme darstellt:
Die Katze jagt nicht nur aus Hunger. Sie jagt, weil sie es kann. Und dort, wo sie nie heimisch war, bedeutet das den Tod ganzer Arten.

Dieses Muster wiederholt sich weltweit – auf Inseln wie auf Kontinenten. In Südamerika etwa wurden Katzen gezielt zur Rattenbekämpfung eingeführt – in Lagerhäusern, auf Plantagen, in den Randzonen kolonialer Siedlungen. Doch wie so oft ließen sie sich nicht begrenzen. Sie jagten nicht dort, wo der Mensch sie haben wollte, sondern dort, wo das Leben leicht war. Und das bedeutete: in Ökosysteme hinein, die keine Abwehrstrategien gegen einen so geschickten Räuber kannten. Heute zählt die Hauskatze (Felis catus) zu den gefährlichsten invasiven Arten der Welt. Besonders auf Inseln, aber zunehmend auch auf dem Festland, trägt sie zur Dezimierung heimischer Vogel-, Reptilien- und Kleinsäugerarten bei – meist unbemerkt, oft unterschätzt.

Und so zeigt sich: Die Katze ist nicht das Problem. Das Problem ist der Mensch, der sie mitgenommen hat. Er schickte ein Raubtier auf Reisen – und wunderte sich über Stille im Blätterdach.

Die Katze hat es geschafft. Nach Jahrtausenden zwischen Stall, Scheiterhaufen und Salon hat sie im 21. Jahrhundert ihren Platz ganz oben gefunden – auf dem Bildschirm, im Algorithmus, im Herzen des Internets. Ob sie Klavier spielt, in Schachteln springt oder mit menschlicher Stimme maunzt – die Internetkatze ist das Wappentier der digitalen Alltagskultur. Sie braucht keine Tempel, keine Rassepapiere, keine Zuchtschauen. Ein Smartphone reicht. Und ein Augenblick. Was früher in ägyptischen Hymnen besungen wurde, wird heute in GIFs geteilt: die Anmut, die Überraschung, das Geheimnis der Katze. Sie ist überall – und zugleich: immer noch bei sich. Die Katze lässt sich aufnehmen, aber nicht fassen. Sie ist Content – aber kein Kompromiss.

Doch bei aller Niedlichkeit: Die alte Frage nach der Katze als Störung im System stellt sich neu. Nicht mehr in Bubastis oder im Bergischen – sondern im eigenen Garten.

In ganz Europa, auch hierzulande, wird zunehmend diskutiert, ob Freigänger-Katzen eine Gefahr für heimische Vogelarten darstellen. Studien sprechen von Millionen Singvögeln jährlich, die Katzen zum Opfer fallen. Naturschutzverbände mahnen, es brauche eine neue Verantwortung der Halterinnen und Halter – Leinenpflicht, Aufklärung, Begrenzung der Freigänge. Demgegenüber steht das Bild der Katze als natürlicher Teil unserer Nachbarschaft – selbstständig, durch die Hinterhöfe ziehend, wo sie nie jemand gerufen hat, aber viele vermissen würden.

Und so ist sie wieder da: Die Ambivalenz. Die Spannung zwischen Nähe und Gefahr, zwischen Zuneigung und Verantwortung. Zwischen Wohnzimmer und Wildnis. Wir romantisieren sie. Wir regulieren sie. Wir teilen sie. Aber wir beherrschen sie nicht. Vielleicht ist das das eigentliche Geheimnis der Katze: Dass sie in all ihrer Geschichte nie nur Tier war – sondern Spiegel. Für das, was wir fürchten, was wir begehren, und was wir nicht kontrollieren können. Vielleicht ist es das, was die Katze uns lehrt, seit sie das erste Mal durch ein menschliches Dorf schlich:

Dass Nähe nicht Besitz bedeutet.
Dass Vertrauen nicht Unterwerfung heißt.
Und dass es Wesen gibt,
die sich nicht festlegen lassen –
nicht auf einen Platz,
nicht auf eine Rolle,
nicht auf ein Urteil.

Die Katze ist kein Gleichnis.
Sie ist der Zwischenraum.
Zwischen Freiheit und Zuneigung,
zwischen Nutzen und Schönheit,
zwischen dem, was war –
und dem, was wir noch immer nicht ganz verstehen.

Und wer heute Nacht eine Katze sieht, der weiß: Geschichte schnurrt leise. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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