„Die koloniale Liebe liegt dem bergischen Volk im Blut!“ Diese Worte sprach Franz Ritter von Epp 1939, als die Stadt Wuppertal das erste koloniale Jugendheim Deutschlands in Langerfeld eröffnete. Franz Ritter von Epp war einer der größten Bewunderer Hitlers. Aus Bayern stammend gehörte er von Beginn an zu denjenigen, die den Nationalsozialismus begeistert aufnahmen und bis zum Schluss von seiner menschenverachtenden Sache überzeugt waren. Im Kaiserreich war Franz von Epp ein erfolgreicher Militär gewesen, der zwar vor allem in Deutschland stationiert war, aber auch in den deutschen Kolonien seinen Dienst tat. So gehörte er u.a. zu jenen Soldaten, die 1904 bei der Vernichtung des Volkes der Herero im heutigen Namibia dabei waren.
Obwohl die kolonialen Einsätze in seinem Leben keine langfristige Rolle spielten, hatten es ihm die deutschen Kolonien angetan. Die Tatsache, dass im Versailler Vertrag den Deutschen ihre Kolonien mit der Begründung abgenommen wurden, dass sie nicht in der Lage gewesen sein, als ordentliche Kolonialherren aufzutreten, kränkte den Generalmajor gewaltig. So machte er es sich zur Aufgabe, innerhalb der NSDAP die Rückgewinnung der Kolonien zu koordinieren.
Das war auch der Grund für seinen Auftritt am 7. Mai 1939 in der Elberfelder Stadthalle. Seit 1936 war von Epp Leiter des Reichskolonialbundes. Seit der Gleichschaltung der Vereine war diese Organisation für die Idee des Kolonialen zuständig und hatte dabei etwa die Deutsche Kolonialgesellschaft abgelöst. Auch in Wuppertal hatte der Bund Mitglieder, die in der Ruhmeshalle, der heutigen Haus der Jugend in Barmen, 1937 eine Gedenktafel zum 50jährigen Bestehen der Kolonien aufhängten. Damit waren sie zwar drei Jahre zu spät, aber die ursprünglich von der Kameradschaft Wuppertal des Deutschen Kolonialkriegerbunds e.V. initiierte Idee hatte die Mittel der Deutschen Kolonial-Gesellschaft zur Gestaltung und Errichtung der Platte aufgebraucht, so dass sich der gesamte Vorgang hinzog. Erst der Reichskolonialbund sorgte für die Fertigstellung dieses Denkmals der „im Reichskolonialbund geeinten Träger des kolonialen Gedanken in Wuppertal“, die „mit Wehmut und mit Zukunftshoffnungen der stolzen Tage in denen Bismarcks Tatkraft vor 50 Jahren das deutsche Kolonialreich ins Leben treten liess“ gedachten. So der Text der Platte. In der Funktion als Oberhaupt dieses Reichskolonialbundes sprach Franz Ritter von Epp zur Eröffnung des kolonialen Jugendheims im Langerfelder Schloss Waldstein an der Hölkesöhde.

Quellen zu diesem Jugendheim findet man kaum. Einzig ein paar Zeitungsartikel und eine kurzer Filmbeitrag geben Aufschluss über diese Einrichtung, in der sich heute ein städtisches Altenheim befindet. Das Gebäude ist die ehemalige Villa des Fabrikanten Richard Mercklinghaus, der sie 1878 anlegen ließ. Seit 1930 gehört das Gebäude der Stadt Wuppertal, die noch im selben Jahr beschloss, dass man das zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr bewohnte Gebäude an eine gemeinnützige Organisation abgeben wollte. Der 1936 als Verein eingetragene Reichskolonialbund war diese Organisation, die das Gebäude nutze. Dafür wurde es renoviert, denn das Jugendheim sollte 50 Jungen aus den ehemaligen Kolonien Deutsch-Südwestafrika (Namibia) und Deutschostafrika (Tansania) dienen.
Die noch dort lebenden deutschen Siedler hatten zum Teil große Probleme mit den neuen Machthabern, was dazu führte, dass sie ihre Kinder nach Deutschland schickten, wo diese mit Unterstützung des Reichskolonialbundes eine Ausbildung machen konnten. Die zwischen 12 und 19 Jahre alten Jungen wollten mehrheitlich Automechaniker werden, damit sie z. B. in einem Gebiet wie Namibia, das man bis heute am besten mit dem Auto besucht, die Möglichkeit hatten, große Strecken zurückzulegen und ihre Wagen selbst zu reparieren.
Das war aber nur ein Zweck des Heims. Der zweite Sinn lag darin, dass man auch in Deutschland die Erinnerung an die Kolonien wachhalten wollte. Als Franz von Epps Verein 1943 aufgelöst wurde, waren beide Zwecke nicht erfüllt worden. Doch bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Nationalsozialisten durchaus für die Idee der Rückgewinnung der Kolonien interessiert. Sie nutzen dafür intensiv die Umbenennung von Straßen. Wuppertal war dafür besonders gut geeignet, denn durch die Zusammenlegung Barmen, Elberfelds und den anderen Gebiete gab es hier doppelte Straßennamen in Hülle und Fülle. Zwei Straßen – auch in Langerfeld, aber am ganz anderen Ende – sollten die Erinnerungen an die Kolonien wachhalten. Die Feldstraße, erst 1922 in Kruppstraße umbenannt, erhielt so 1935 den Namen Samoastraße. Die an sie anschließende Flurstraße, 1922 nach Werner von Siemens benannt, hieß ab 1935 Windhukstraße. Als man das Gebiet in den 1960er Jahren ausbaute, wurde und eine Verbindungsstraße angelegt, die, so das Protokoll der Stadtratssitzung, „in Ermangelung einer alten Ortbezeichnung und in Anlehnung an die benachbarten Samoa- und Windhukstraße“ als Togostraße bezeichnet wurde. Damit nahm die Stadt Wuppertal eine Idee auf, die durch Franz Ritter von Epp 1939 in seiner Wuppertaler Rede sehr direkt propagiert wurde, wenn er „die Rückgabe unserer Kolonien zur Wiederherstellung unserer gekränkten Ehre“ ganz unverhohlen forderte. Diese Forderung, die auch Hitler zur Sprache gebracht hatte, sollte 1935 durch die Umbenennung der Straßen symbolisiert werden und unbewusst übernahmen die bundesrepublikanischen Stadtverordneten knapp 30 Jahre später dieses nationalsozialistische Gedankengut.
Doch was ist eigentlich mit dem Zitat vom Beginn dieses Textes? Nein, im Blut der Bergischen liegt keine koloniale Liebe, aber dennoch lassen sich Traditionen des Kolonialen finden, wenn man danach sucht. So ist eine der frühesten nachweisbaren kolonialen Verwicklungen Barmens für frühe 17. Jahrhundert nachweisbar. Der dort tätige Lehrer Johannes Stahlenbecker war reformierter Theologe, der von einer guten Karriere in Übersee begeistert war, weshalb er bereits im Februar 1605 in Ambon, Indonesien, angekommen war – genauer am 23. Februar 1605. Einen Tag zuvor hatte die schwer bewaffnete Flotte der niederländischen Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC) die Portugiesen von dort vertrieben und deren Fort übernommen.

Stahlenbecker wurde zum Kaplan des Fortes und schrieb Briefe nach Barmen, in denen er Werbung dafür machte, es ihm gleich zu tun und in den Dienst der Niederländer zu treten oder zumindest mit ihnen wirtschaftlich auch in Bezug auf Güter aus Übersee zusammen zu arbeiten. Seinen Briefen ist klar zu entnehmen, dass er davon ausging, in Barmen auf fruchtbaren Boden zu treffen, denn er gibt Ratschläge, welche Händler man für solche Handelsunternehmen ansprechen sollte. Diese Ratschläge kamen gut an, denn in den Akten der VOC finden sich in den zwei Jahrhunderten ihres Bestehens zahlreiche Männer, die aus Wuppertal stammten und für sie arbeiteten.
Mit dem Ende der VOC 1799 war der Überseehandel aber noch lange nicht vorbei. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gründete sich die Rheinisch-Westindische Kompanie, deren Anteilseigner mehrheitlich aus Elberfeld und Barmen stammten. Ihr Ziel war der Export von heimischen Produkten, vor allem Textilien, in die Karibik und Lateinamerika, „wo keine Fabriken sind, und wo die Menschen in der Kultur noch so weit gegen die Europäer zurückstehen, daß noch keine einheimische Konkurrenz zu fürchten ist“, wie es im Initialartikel von Jakob Aders hieß. Trotz kurzfristiger Gewinne am Anfang stagnierte die Gesellschaft bald und wurde bis in die 1840er Jahre aufgelöst. Einer ihrer Direktionalräte im Jahr 1834 war der erst 29 Jahre alte Wupperfelder Kaufmann Friedrich von Eynern, der den väterlichen Handwerksbetrieb zusammen mit seinem Bruder zu einem Handelshaus für Indigo ausgebaut hatte. Dieser blaue Farbstoff war durch die Franzosen auf Haiti angebaut worden, dem ersten Ziel der Rheinisch-Westindischen Kompanie. Zufall war von Eynerns Engagement in der Gesellschaft also keineswegs.
Ganz ähnlich war das mit dem Färbereibesitzer Wilhelm Wittenstein, nach dessen Familie die gleichlautende Straße in Unterbarmen benannt ist. Dieser saß im Vorstand des Deutsch-Amerikanischen Bergwerk-Vereins, einer Tochterorganisation der Rheinischen-Westindischen Companie. Seine Aufgabe war es, Metalle aus Lateinamerika nach Europa zu schaffen. Auch dieser Verein war nur anfangs erfolgreich und wurde nach und nach abgewickelt. Wittenstein und seine Nachfolger profitierten durch die Verbindungen, die sie mit Übersee knüpfen konnten.
In den 1860er Jahren tat sich in Unterbarmen Bedeutsames. Die Rheinische Missionsgesellschaft, deren Missionare 1830 in Südafrika die Station Wupperthal gründeten, hatte finanzielle Probleme. Ihr damaliger leitender Inspektor, Friedrich Fabri, entwickelte in Anlehnung an die Basler Mission die Idee, dass auch Rheinische Mission eine eigene Handelsgesellschaft gründen könnte, in der alle bisherigen durch die Missionskasse finanzierten Unternehmungen in den Missionsgebieten aufgehen könnten, um die Mission zu unterstützen. Zur Verwirklichung dieser Idee traf er sich 1869 mit Theodor Gundert, Inhaber der Firma Niemann und Gundert an der Werther Brücke und spätere Präses der Rheinischen Mission, sowie anderen Kaufleuten aus Barmen, Elberfeld und Schwelm.
Die Gründung dieser Missions-Handelsgesellschaft war Ausdruck eines dringenden Wunsches Friedrich Fabris, dass sich Preußen bzw. der deutsche Bund endlich kolonial engagieren sollten, denn die Rheinische Mission fühlten sich von den britischen Behörden in Südafrika im Stich gelassen, als es immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Herero und einem zugezogenen, kriegerisch auftretendem Nama-Volk kam. Die Missionare waren dabei auf Seiten der Herero und manche Missionsstation wurde so Ort von Massakern. Diese Auseinandersetzung war mit ein Grund, warum Fabri 1879 seine Schrift „Bedarf Deutschland der Colonien?“ verfasste, mit der er eine Wende im Diskurs um die Kolonien herbeiführte. Fünf Jahre später gründete Bismarck das Kolonialreich der Deutschen, dessen Rückgabe Franz Ritter von Epp 1939 in Wuppertal forderte. So schloss sich der Kreis.