Die Ruinen von Rittershausen. Spurensuche in Oberbarmen

„Unter Oberbarmen“, so beschriebt es das Kunstprojekt „Die Wüste lebt“ in seinem Tourismusplan für diesen Stadtteil, „liegen die Ruinen von Rittershausen.“ Die Assoziationen, die durch eine solche Aussage geweckt werden sollen, liegen auf der Hand, denn wer denkt nicht an Ritter und ihre Burgen, wenn er Rittershaus hört. Liegt also wirklich eine zerfallene Burg irgendwo unter Oberbarmen versteckt, wie es auch in Elberfeld der Fall ist? Und wenn nicht, woher kommt denn der Name Ritterhausen, der als sprachliche Ruine noch existiert, aber kaum noch mit Leben gefüllt ist?

Rittershausen muss das Haus eines Ritters sein, sagt uns das Sprachempfinden und so ganz falsch liegt es damit auch gar nicht. Schon vor über 500 Jahren wird ein Hof mit diesem Namen in der Beyenburger Amtsrechnung erwähnt. Heimatforscher haben in etwa die Lage des Hofes lokalisiert und tatsächlich ist die Lage etwa deckungsgleich mit den beiden heutigen Straßennamen Ritterhauser Brücke und Ritterhauser Platz. Natürlich lässt sich weder genau bestimmen, wo das Haus stand, noch wie das Grundstück vor 500 Jahren genau parzelliert war, aber es gibt doch eine gewisse Ahnung und diese ist interessant, denn sie verrät, dass Ritterhausen an der Grenze zwischen Mark und Berg lag.

Diese Grenze wird in der Regel mit der Wupper angegebene, was erklärt, warum es in Heckinghausen eine alte Zollbrücke gibt und in Beyenburg Autos herumfahren, die im Ennepe-Ruhr-Kreis zu gelassen sind, während deren Besitzer sich aber als Wuppertaler sehen. Doch die Gebiete, die jenseits des Wupperbogens liegen brauchten auch eine Grenze und diese befand sich im Rauental, auch so ein Name, der nach Ritterroman klingt: ein raues Tal neben der Burg. Unweigerlich sieht man eine unwirtliche Gegend vor Augen, durch die ein Ritter auf seinem Pferd streift, immer auf der Hut vor Wegelagern, die im menschenleeren rauen Tal auf eine Beute lauern.

Und auch hier ist die Wahrheit nicht weit entfernt von der Assoziation. Wie menschenleer dieses Gebiet gewesen ist, sei dahingestellt, aber einen Hof wird es dort erst recht spät gegeben haben, denn ein raues Tal ist in der Regel ein Grenzgebiet, in dem nichts Sinnvolles wächst. Viele solcher Grenzstraßen finden sich in Oberbarmen. Die Straße „Krühbusch“ zeigt ein ödes, mit Krautbüschen zu gewachsenes Stück Land zwischen Wichlinghausen und Wupperfeld an. Der Beckacker war nicht trocken und rau, aber als Acker, der durch die vielen Bäche, die sich dort zum Schwarzbach vereinen auch kein wirkliches fruchtbares Land zwischen Ritterhausen und Langerfeld. So boten sich solche Ecken immer recht gut als Grenzen an. Wo keiner etwas anbauen wollte, zog man eine Grenze, wenn nicht zufällig ein Naturphänomen als eine solche erachtet wurde.

Und so war es auch mit dem Rauental. Aber, und hier nun kommt der Oberbarmer Ritter ins Spiel, das Grundstück war zwar unbebaut, aber es gehörte nachweislich einem Ritter, wenn auch nicht dem einem aus Oberbarmen, sondern einem aus Schwelm. Das Grundstück gehörte zum dortige Haus Martfeld, in dem sich heute Archiv und Heimatmuseum befinden. Wie das das kleine Wasserschloss Martfeld wechselte auch das Grundstück Rauental oft die Besitzer, weil es aus finanziellem Interesse veräußert wurde. Wichtig war das Grundstück im späten Mittelalter vor allem, weil sich dort die einzige Getreidemühle von Langerfeld befand. Das Grundstück war daher für die Bauern der Umgebung von einiger Bedeutung und allgemein bekannt – auch bei den Oberbarmen, von denen der bergische Teil die Mühle nicht nutzen dürften, wohl aber jene, die märkische Untertanen waren. Grenzverläufe verliefen im Spätmittelalter nicht unbedingt konkret entlang von räumlichen Gebieten, sondern auch durch Ehebetten und einzelnen Höfen. So auch in Oberbarmen, Heckinghausen und Wichlinghausen, wo es bergische und märkische Höfe gab, die aneinander grenzten, aber durch Verkauf an andere Landesherren gefallen waren.

Das Grundstück neben dieser bedeutenden Einrichtung einer Mühle, vor dem man wusste, dass sie einem Ritter gehörte, war klar der Hof AM Rittershaus. Wie es jedoch im Volksmund so oft ist, fällt so eine kleine Präposition weg und übrig bleibt des Ritters Haus.

Also keine Burgruinen in Oberbarmen? Jein! Zum einen wurde im 16. Jahrhundert im Rauental selbst eine Schlossanlage gebaut, von der aber nichts mehr zu sehen ist, zum anderen befanden sich im 15. Jahrhundert neben dem Hof Ritterhaus auch gleich zwei Höfe, die das Wort „Kemna“ in sich trugen. Dabei handelt es sich um eine Ableitung von Kemenate. Damit wurden zwar ursprünglich nur Kamine bezeichnet, aber im Spätmittelalter passierte es, dass damit ganze Steinhäuser bezeichnet wurden. Steinhäuser aber waren keineswegs einfache Bauernhäuser, sondern vielmehr ein Symbol für Reichtum und Einfluss. Und diesen gab es in Oberbarmen für lange Zeit, was etwa ein durch die Oberbarmer Gläubigen finanzierter Anbau an der Schwelmer Kirche belegt, der dort im 16. Jahrhundert errichtet worden war und zu dem ausschließlich die Oberbarmer Zugang hatten.

Oberbarmen war reich. Dieser Umstand lässt sich am ehesten mit der Bleicherei erklären, die zwar erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts per Privileg in Barmen und Elberfeld monopolisiert wurde, aber seit dem späten Mittelalter entlang der Wupper nachgewiesen werden kann.

Die Steinhäuser der beiden Höfe Kemna, die entlang des Schwarzbach lagen, gibt es nicht mehr. Eines der Häuser wurde aber zu Beginn des 16. Jahrhunderts von der Familie Klingholz bewohnt, die dort bis ins 19. Jahrhundert verblieben, was den Namen Klingholzberg erklärt, der sich an das Grundstück anschließt. Die Häuser wurden mit der Zeit verändert und abgetragen, aber wer in Oberbarmen beginnt zu graben, wird vielleicht die alten Steine finden, die den Höfen einmal den Namen gaben.

Festzuhalten bleibt also: Es gab zwar keine Ritter in Rittershausen, aber immerhin gehörte das Nachbargrundstück einem Ritter und Steinhäuser gab es vor 500 Jahren auch. Was aber ist eigentlich aus Ritterhausen geworden? Warum spielt der Ort kaum noch eine Rolle und im Allgemeinen spricht man von Oberbarmen, wenn man Ritterhausen meint?

Auch die Lösung zu diesem Rätsel liegt im Spätmittelalter und hat etwas mit Grenzen zu tun, die, wie erwähnt, durch so manches Ehebett gingen, weil der Ehemann Untertan des Herzogs von Berg, die Ehefrau aber Untertanin des Grafen von der Mark war. Mitten in Barmen, das die Grafen von Berg Mitte des 13. Jahrhunderts erwarben, lag eine Exklave, die nicht zu Barmen gehörte. Diese fiel etwa 100 Jahre später den Grafen von der Mark in die Hände. Es handelt sich dabei um den Hofverband Wichlinghausen, der sich auch auf einzelne Höfe in Heckinghausen bezog. Als nun Herzog und Graf um das Jahr 1400 herum wieder einmal im Krieg waren, begab es sich, dass der bergische Herzog unterlag und festgesetzt wurde. Zähneknirschend erkaufte er sich seine Freiheit dadurch, dass er sein Barmen an den Märker verpfändete. Dieser, gerade auf dem Zenit seiner Macht angekommen, legte die Grenze Barmens fest und bezog sich dabei auf einen alten Gerichtsbezirk der Freigrafschaft Volmarstein, den er kurz vor seinem Sieg über den Berger erobert hatte. Darin verlief die Grenze bis zum Mirker Bach, der so auch zur Grenze Barmens wurde. Die Söhne des Herzogs waren mit diesem Arrangement wenig einverstanden und drängten jahrelang darauf, das Barmen eine andere Grenze erhält. Durch eine Machtverschiebung war ihnen das 20 Jahre später möglich und so wurde die Grenze des neu geschaffenen Kirchspiels Elberfeld die Barmer Grenze, die entlang des Leimbachs verlief. In den Akten der Mark sprach man von da an von einem Oberbarmen, also dem märkischen Teil Barmens und einem Nieder- oder Unterbarmen, was den bergischen Teil bezeichnete.

Die Konsequenz aus diesen politischen Ränkespielen war, dass das gesamte Gebiet zwischen Leimbach und Rauental als Oberbarmen bezeichnet wurde, in dem sich dann kleinere Einheiten, wie Rittershausen, Heckinghausen, Heidt, Wichlinghausen oder Wupperfeld befanden. Das blieb auch so bis in das 19. Jahrhundert, bis zum einen mit den Preußen ein modernes Akten- und Verwaltungswesen aufkam und zum anderen die Eisenbahn ins Tal der Wupper kam, oder besser: Zwei Eisenbahnen. Auf der bis heute existierenden Strecke entlang der Wupper entstand am alten Ort der Bahnhof Rittershausen, weiter nördlich über Brücken und durch Berge die heutige Nordbahntrasse. Auch diese bekam einen Bahnhof, der allerdings wesentlich größer war als der im Tal der Wupper. Er erhielt daher den Namen Bahnhof Oberbarmen, um seine Bedeutung klarzumachen. Mit dem Bau der Schwebebahn zeichnete sich jedoch ab, dass um das Jahr 1900 herum der Bahnhof Ritterhausen der wichtigere Bahnhof werden sollte, denn immerhin endete die Schwebahn in Ritterhausen und für sie war eine riesige Wagenhalle errichtet worden.

Dennoch blieben die Namen bis in die 1930er Jahre unverändert, erst dann wurde entschieden, den jetzt wichtigeren Bahnhof im Tal der Wupper in Oberbarmen umzubenennen, während der Bahnhof im Norden zum Bahnhof Wichlinghausen degradiert wurde. Damit begann aber auch der Abstieg des Ortes Rittershausen. Dem Zugbahnhof folgte die Schwebebahnstation. Die Bombenangriffe auf den Ort zerstörten den Stadtteil nahezu komplett und was erhalten worden war, wurde durch die Umbaumaßnahmen der frühen Bundesrepublik, die vor allem dem Autoverkehr gerecht machen wollten, ab- und umgebaut. Bis in die 1960er Jahre hinein existierte in Oberbarmen eine Rittershauser Straße, die beim Bau des Berliner Platzes wegfiel und damit auch die Häuser, die in der Straße standen. Schon vorher war eine Ritterhauser Straße weggefallen, als 1922 Langerfeld und Nächstebreck zu Barmen eingemeindet wurden erhielt die Rittershauser Straße den Namen Langerfelder Straße und die Rittershauser Bahnhofsstr. wurde zur Ritterhauser Straße.

Der Wegfall 1968 sorgte in Verbindung mit den verschwunden bzw. veränderten Namen von Bahnhof und Schwebebahn dafür, dass der Name Ritterhausen mehr und mehr in Vergessenheit geriet. Man traf sich eben nicht mehr an der Station Rittershausen, sondern an der Station Oberbarmen. Einzig die Spindelbrücke nach Heckinghausen heißt bis heute offiziell Ritterhauser Brücke, wird aber so gar nicht genannt. Dem Vergessen des alten Namens wollte man 1997 entgegenwirken, in dem ein Parkplatz hinter der Wagenhalle in Ritterhauser Platz benannt wurde. Doch ohne Häuser und Stationen, die von Menschen genutzt werden können, weil man mit dem Bus, der Schwebebahn oder dem Taxi dorthin fährt, bleiben von solchen Namen eben nur die sprachlichen Ruinen der vergangenen Zeit – und spannende Geschichten. 

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