Piraten – das Bild dass wir von diesen Menschen haben, ist bis heute geprägt durch die Kultur, in dir diese Gestalten vorgekommen sind. Da ist zum einen Long John Silver aus Robert Louis Stevensons „Die Schatzinsel“, da ist Captain Hook aus Peter Pan und da ist Captain Jack Sparrow aus den Disney Filmen „Fluch der Karibik.“ da sind aber auch die Kindheitserinnerungen an die Sets des dänischen Spielzeugherstellers Lego, der britische Soldaten, Piraten und Insulaner gegeneinander antreten lief.
Was ist das, dass diese Piraten, Freibeuter oder Bucaneers so faszinierend macht? Und seit wann gibt es eigentlich diese Figur, die in diesem Vortrag näher betrachtet werden soll?
Ich habe diesen Vortrag genannt „Schrecken, Helden, Demokraten – Mit Piraten durch die Weltgeschichte“. Und ich möchte mit ihnen auf einer Reise gehen, indem wir uns die Weltgeschichte aus der Sicht der Piraten erschließen wollen.
Um es kurz zu machen: Wer in die Weltgeschichte schaut, wird in der Regel irgendwo irgendwann auf Piraten treffen. Das Phänomen der Piraterie ist nicht abhängig von Zeiten. Es ist auch nicht abhängig von Orten. Wir finden im Mittelmeer, im Indischen Ozean, im Atlantischen Ozean, und natürlich auch im Pazifik. Wir finden Sie in der Antike, im Mittelalter, in der frühen Neuzeit, und auch heute noch. Warum aber ist es immer so, dass, wenn wir an Piraten denken, wir immer eine raubeinige Gestalt vor unserem inneren Auge sehen, die an der rechten Hand einen Haken hat, statt des linken Beines ein Holzbein, einen Dreispitz trägt, und darunter eine Augenklappe hat? Auch dieser Frage möchte ich im Folgenden nachgehen. Doch fangen wir erst einmal vorne an.
Einer der ältesten Hinweise auf Piraten findet sich in ägyptischer Literatur aus dem zwölften vorchristlichen Jahrhundert. In der Zeit Ramses III. Kommt es im Nahen Osten zu einer gewaltigen Machtverschiebung, die zum Untergang mehrerer damaliger Großreiche führt. Die Schuld dafür wird in den historischen Quellen den sogenannten See Völkern zugeschrieben, von denen man lediglich ein paar tatsächlich identifizieren kann, sie in diesem Quellen auch namentlich genannt werden. Tatsächlich hilft diese historische Identifizierung aber wenig, man weiß lediglich durch archäologische Funde, dass diese Seevölker wohl aus der Ägäis stammen. Ob es sich bei diesem See Völkern tatsächlich um Piraten gehandelt hat, ist nicht ganz klar. Durch Grabungen in den Gebieten, in die diese eingefallen sind, hat sich jedoch gezeigt, die Seevölker durchaus auch auf dem Landweg in die Regionen vorgedrungen sind, die schlussendlich untergegangen sind. Es gibt die These, dass diese Seevölker nicht nur Piraten waren, sondern dass es sich dabei um eine dauerhafte Migration gehandelt hat, die sich etwa darin zeigte, dass die Neulinge sich mit althergebrachten Familien verbanden, also heirateten und Kinder zeugten.
Wie dem auch sei, einen wirklichen Hinweis auf Piraterie in der Antike findet sich im 5. Jahrhundert v. Chr.. Der Grieche Kimon spielt dabei eine Rolle, weil er als Befehlshaber der athenischen Flotte die Insel Skyros eroberte – die Bewohner der Insel waren als Piraten bekannt, wie Kirons Biograph Plutarch schrieb. Plutarch zeigt in dem kurzen Absatz auch Gründe auf, warum die Bewohner der Insel als Piraten aktiv waren. Als schlechte Ackerbauen mussten sie ihren Lebensunterhalt damit verdienen, Schiffe zu überfallen. Dabei gingen sie nach Aussage von Plutarch sogar so weit, Händler zu überfallen, die mit ihnen Handel treiben wollten. Das Endergebnis war, dass Kimon die Insel einnahm, die Piraten vertrieb und so „die Ägäis zu einem freien Meer“ machte.
Der letzte Satz ist dabei verräterisch, denn er verrät, dass das Piratenproblem in der Ägais wohl größer war, als beschrieben, dabei aber doch so überschaubar, dass die Athener es mit einer eignen Flotte erledigen konnten. Dass Kimon nach diesem Feldzug auch derjenige war, der den Attischen Seebund ins Leben rief und so eine starke Allianz gegen die Perser aufzubauen, zeigt dabei eventuell, dass er strategisch dachte. So machte er erst den Piraten vor der Haustür den Garaus und konzentrierte sich dann auf größere politische Prozesse.
Nun könnte man es dabei belassen, und gleich zum Zeitpunkt übergehen. Doch es lohnt sich die Piraterie im alten Griechenland genauer zu betrachten. Die Bewohner der Insel Skyros bilden in Bezug auf Piraterie keine Ausnahme, vielmehr spiegeln sie eine Realität wieder, die im antiken Griechenland wohl gar nicht allzu selten war. Einen Beleg dafür zeigt niemand anders als Homer, der Autor der Odyssee, einer der Begründer der westlichen Zivilisation. Liest man diesen Klassiker der abendländischen Literatur einmal gegen den Strich, zeigt sich, dass der König von Ithaka seine Irrfahrt durch das Mittelmeer im Anschluss an den Trojanischen Krieg gezielt geplant hatte. Nach Jahrzehnten der schließlich erfolgreichen Kriegsführung waren die Kassen leer und es galt einem Hobby zu frönen, dass so mancher Adeliger der archaischen Zeit in seiner Ausbildung kennen und schätzen gelernt hatte: Dem Plündern von Inseln und Küsten! So erzählt Odysseus ohne große Skrupel im 9. Gesang:
„Gleich von Ilion trieb mich der Wind zur Stadt der Kikonen, Ismaros, hin. Da verheert ich die Stadt und würgte die Männer. Aber die jungen Weiber und Schätze teilten wir alle Unter uns gleich, daß keiner leer von der Beute mir ausging.“
Homers Held steht hier exemplarisch für etwas, was griechische Adelige als Reifeprüfung zu tun pflegten. Die Fahrt auf einem Schiff zum Zweck der Plünderung anderer Orte galt als „aventure, auf der sich der werdende Held bewähren und seine Sporen im Kreise der Standesgenossen verdienen muss“, wie es der Bielefelder Althistoriker Raimund Schulz ausdrückt.
Dem waren sich die Griechen auch sehr wohl bewusst. Kein geringer als Thukidides, der große Historiograph des Peloponnesischer Krieges, stellte bei einem Blick auf griechische Geschichte fest, dass die Griechen sich „auf die Seeräuberei verlegt“ hatten. Auch er gibt den Adeligen dabei eine Führungsstellung, so dass ihnen Ruhm für diese Taten entgegen gebracht wurde.
Was also war das Verwerfliche am Tun der Bewohner der Insel Skyros? Wie so oft ist es nicht die Tatsache, dass etwas getan wird, sondern wer etwas tut. Während dich junge Adelige Ruhm und Ehre durch Piraterie erworben, war die Piraterie aus Gründen der Armut mit wenig Glanz und Respekt verbunden. Wie Plutarch feststellte, war es aber genau diese, die die Bewohner der Insel zum Piratenhandwerk brachte. Dabei scheinen sie sehr erfolgreich gewesen zu sein, denn in der Regel wurde diese Allerweltspiraterie in den antiken Schriften nicht erwähnt.
Neben einem gewissen Klassismus, der die Piraterie der Adeligen über die der Armen stellt, ist auch der Hass auf Nichtgriechen im Piratentum belegt, was die Sage von den etruskischen Piraten belegt, die durch Zufall den Gott Dionysos entführen und zur Strafe dafür in Delfine verwandelt werden. Auch diese Geschichte wird bezeichnenderweise von Homer überliefert, der damit klar diese Bigoterie in Bezug auf das Piratenhandwerk zeigt. Griechische Adelige dürfen, Arme und Nichtgriechen dürfen es nicht.
Es sei aber dennoch angemerkt, dass sich im 5. Jahrhundert ein Wechsel in der Vorstellung von Ruhm der Piraterie auf der Peleponnes ergeben hatte. Wie anders ist es möglich, dass Platon seinen jungen adeligen Schülern wünscht, sie werden keine Plünderer werden. Das ändert jedoch nicht daran, dass das Wort Pirat sich vom griechischen Wort „peiran“ ableitet, das so viel wie „erproben“, „suchen“ oder „wagen“ bedeutet. Diese Bedeutung wird im Verlauf der Rezeption der Piraten noch wichtig werden.
Doch wenden wir uns nun einer ganz anderen Piratengeschichte zu. Vor etwa 2100 Jahren passiert es nämlich, dass sich ein junger Römer in der Gewalt von kilikischen Piraten wiederfand. Der Piratenkapitän war über den jungen Römer sehr erstaunt, denn statt wie die anderen Gefangenen voller Angst darauf zu warten, was passieren würde, saß dieser entspannt an Bord und las. Auf Ansprache des Kapitäns verweigerte er jede Antwort, was den Piraten doch arg erzürnte. Er lies von einem seiner Untergebene schätzen, wie viel Talente Lösegeld man für diesen jungen Römer aus adeligen Haus bekommen könnte. Die Schätzung belief sich auf 10 Talente, der Pirat, immer noch erbost über die Kühnheit des jungen Römers, rief aus, er wolle diese Summe verdoppeln. Da endlich sprang der Römer auf und schnauzte den Piraten an, dass, verstünde er sein Handwerk, er wüsste, dass er ohne Frage 50 Talente für ihn bekommen würde. Das verblüffte den Piratenkapitän so sehr, dass er diese Forderung stellte und den jungen Mann in der Zwischenzeit gefangen nehmen lies. Über einen Monat verbrachte er in Gefangenschaft und nutzte die Zeit für das Schreiben von Gedichten und Reden, machte Sport und erprobte sich im Wettkampf mit seinen Wärtern, nicht ohne ihnen immer wieder zu versprechen, dass er nach Bezahlung des Lösegelds zurückkommen würde, um sich zu rechen. Und genau das passierte auch, nachdem die Summe von 50 Talenten ausgezahlt worden war. Der junge Römer erbat sich vier Galeeren und 500 Soldaten, erreichte den Stützpunkt der Piraten und lies sie alle festnehmen. Später entschied er ganz eigenmächtig, die Hinrichtung der Männer, bevor er sich wieder auf den Weg machte seine Reise fortzusetzen, die ihn nach Rhodos bringen sollte. Sie ahnen es sicher längst: Der junge Römer war niemand geringeres als Caius Julius Ceasar.
Diese von Paterculus überlieferte Anekdote zeigt nicht nur die Charakterstärke des späteren römischen Diktators, sondern auch, dass auch in römischer Zeit die Piraterie zu einem großen Problem geworden war, das sich jeden Tag aufs Neue zeigte. Vor allem die Kilikier waren für ihre Piraterie berüchtigt. Immer wieder überfielen sie die Schiffe der römischen Republik und machten dabei fette Beute. Ihre Raubzüge erschwerten nicht nur den Seehandel im Mittelmeer erheblich, er lies die römische Weltmacht, die gerade erst im Entstehen war, schlecht aussehen. 67. v. Chr. Schaffte es Gnaeus Pompeius sich das imperium maior vom römischen Senat geben zu lassen. Das bedeutete, dass er für drei Jahre den uneingeschränkten Oberbefehl über das gesamte Mittelmeer hatte. Mit 120.000 Soldaten und 500 Kriegsschiffen sowie einer straffen militärischen Organisation begann er, systematisch aufzuräumen. Im Westen des Mittelmeeres begann er damit Küsten und Inseln zu überprüfen und die kilikischen Piraten aufzuscheuchen. Anders als Ceasar bot er den Piraten aber nicht die Todesstrafe als Alternative zu ihrem Leben als Piraten an, sondern beschlagnahmte nur ihre Schiffe. In manchen Fällen bot er sogar Land an, mit dem sie ihr Leben sichern konnten. Das verwirrte die Piraten, die keiner übergeordneten Ideologie folgten, sondern tatsächlich darauf aus waren, zu überleben, sehr. So gingen zahlreiche von ihnen auf das Angebot ein und nach drei Monaten gab es keine Piraten im Mittelmeer mehr.
Diese Ruhe blieb so lange erhalten, bis es im römischen Reich rumorte. Nach der Machtergreifung Ceasars, bei der Pompeius sein Leben lassen musste, und dessen Ermordung im Senat entstand für kurze Zeit ein Machtvakuum im Reich, weil Ceasars Adoptivsohn Augustus und Ceasars Mitstreiter Mark Anton um die Oberhoheit kämpften. In diesem Zeitraum war es niemand geringeres als der Sohn des Gnaeus Pompeius, der die Piraterie für sich entdeckte und dabei äußerst erfolgreich vorging, so erfolgreich, dass er faktisch neben Sizilien und Sardinien auch Teile der Peleponnes in seiner Hand hatte. Der Senat in Rom wollte verhandeln, Sextus Pompeius stimmte zu, bekam reichlich finanzielle Mittel aus gezahlt – und machte weiter, als sei nicht geschehen. Erst als Augustus sich in Rom durchgesetzt hatte und Mark Anton sich mehr um die ägyptische Königin Kleopatra kümmerte als um das römische Reich, gelang es Admiral Agrippa Sextus‘ Flotte zu schlagen. Dieser floh nach Ägypten und hoffte auf die Hilfe Mark Antons, doch der Liebhaber der Königin wusste nur zu genau, dass er den Piraten vor sich hatte, der die Kornschiffe Ägyptens regelmäßig überfallen und somit für große Einnahmeverluste im Reich der letzten Pharaonin gesorgt hatte. So ließ er Sextus kurzer Hand den Kopf abschlagen und schickt diesen als Geschenk an Augustus – wohl als eine letzte Geste des guten Willens, bevor dieser sich anschickte, Ägypten zu erobern und der erste Kaiser Roms zu werden.
Damit war die Piraterie des Mittelmeers für fast 400 Jahre vorbei. Die römische Flotte war – von einigen kurzlebigen Ausnahmen abgesehen – stark genug, jedes Aufkommen von Piraten sofort im Keim zu ersticken. Erst als sich abzeichnete, dass das Römische Reich im Auflösen begriffen war und damit die Ordnung verschwand, kamen auch die Piraten zurück. Diesmal aber nicht aus Kilikien, sondern aus Nordeuropa. Die Vandalen, eine Volksgruppe aus Mittel- und Osteuropa, zogen durch den Westteil unseres Kontinents, um dann von Spanien und Nordafrika aus auf Piratenfahrt zu gehen. Dennoch war es nach einiger Zeit möglich, diese Piraterie in den Griff zu bekommen. Dafür musste, anders als im Fall von Gnaeus Pompeius, kein unorganisierter Haufen von Räubern überzeugt werden, sondern das gesamte Reich der Vandalen musste im frühen 6. Jahrhundert fallen.
Das gesamte Mittelalter hindurch blieb das Mittelmeer Ort von Piraterie, ganz besonders durch arabische Seeleute, die es Mitte des 9. Jahrhunderts sogar schafften über den Tiber nach Rom zu kommen. Da mit dem Untergang Roms die Einheit des Mittelmeers verloren gegangen war und quasi an jeder Küste eine andere Macht herrschte, gab es für Piraten jeder Art hervorragende Bedingungen, diese Machthaber untereinander auszuspielen. Neben der Stadt Rom, war es auch das östliche Rom, Konstantinopel, das vor allem von muslimischen Seefahrern immer wieder angegriffen wurde. Einzig das griechische Feuer half der Stadt davor, geplündert zu werden. Das Mittelmeer des Mittelalters blieb aber dennoch ein Hort der Unsicherheit. Bis hinein die frühe Neuzeit machten arabische Piraten die Küsten unsicher.
Einer der spektakulärsten Fälle von Piraterie fällt in das Jahr 1510, als der Korsar Aruj mithilfe einer Galiota, eines klein Schiffs, zwei päpstliche Galeeren enterte und diese zu seinem Eigentum machte. Aruj galt als der gefährlichste Pirat seiner Zeit und wurde sogar zum Herrscher von Algier, von wo aus er unverhohlen die spanische und italienischen Küstenstädte plünderte.
Aber nicht nur die muslimische Piraten machten Anfang des 16. Jahrhunderts das Mittelmeer unsicher. Auch von Seiten der Christen passierte das – und zwar, anders als bei nordafrikanischen Kulturmuslimen, tatsächlich vom göttlichen Eifer erfasst. Der ein oder andere mag sich noch an das Kinderbuch oder die Serie „Die Rote Zora und ihre Bande“ erinnern. Diese Bande erhält in dem Roman von Kurt Held den Beinamen Uskoken, nach einer Gruppe organisierter Flüchtlinge benannt, die sich in dem Ort, in dem der Roman spielt, Senj, niederlassen und von dort aus gezielt Schiffe angriffen. Ziel war dabei jedoch nicht etwa Schiffe muslimischer Herkunft, sondern klar Schiffe, die unter Flagge lateinisch-christlicher Länder kamen, denn die Uskoken waren orthodoxe Christen, die den Lateinern den Krieg erklärt hatten und ihre Schatzjagden durch Mönche nahe gelegener Klöster absegnen ließen.
Doch verlassen wir das Mittelmeer und wenden uns den nördlichen Seen Europas zu, die im Mittelalter zu einer Piratenszenerie ganz eigener Couleur wurden. Den Anfang machen schon um etwa 300 v. Chr. Seefahrende Räuberbanden, die an der dänischen Küste entlang fuhren. Wir wissen von ihnen nur aus einem Grund, denn diese Räuber hatten sich das falsche Dorf für einen Überfall ausgewählt. Die Bewohner des kelinen Fischerdorfes auf der Insel Alsen obsiegten über die technisch gut ausgerüsteten Angreifer, beschlagnahmten deren Habe und opferten sowohl die Seeräuber als auch deren Ausrüstung ihren Göttern – so dass diese Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem Moor geborgen werden konnte.
Wir wissen nicht, ob es eine lang andauernde Tradition gab, die sich von diesen Ereignissen aus vorchristlicher Zeit bis in das Mittelalter hinzog oder ob im frühen Mittelalter die Idee der Piraterie in den Nordmeeren neu entdeckt wurde, doch klar ist, dass ab dem 8. Jahrhundert die christlichen Klöster Irlands und Großbritanniens nicht mehr sicher waren. Am 8. Juni 793 sahen die Mönche des Klosters Lindisfarne ein Boot mit einem Drachenboot auf sie zu kommen. Die Boote landenden am Ufer und aus ihnen sprangen wilde Gestalten, die sich gleich daran machten Männer und Frauen, Tiere und Gegenstände zu jagen, zu zerstören oder mitzunehmen. Nach verrichtetem Werk verschwanden die Täter wieder und werden ab diesem Zeitpunkt zu einer festen Größe in der Geschichte Europas: die Wikinger.
Archäologische Funde belegen, dass die Wikinger nicht nur Kontakte zu den muslimischen Kollegen hatten, sondern auch, dass sie weit gereist sind, wie anders lässt sich der Fund einer nordindischen Buddha-Statue in Schweden, die dort wohl um das Jahr 1000 gelandet ist. Wenn solche Entfernungen zurück gelegt werden, kann es nicht verwundern, dass sich die Wikinger ab dem 11. Jahrhundert auch im Mittelmeer nachweisen lassen. Erst begannen sie dort als Piraten, doch hatten sie scheinbar gefallen gefunden und beschlossen sich im Mittelmeer niederzulassen. Recht erfolgreich schafften sie es bis zum Ende des Jahrhunderts über Sizilien und Süditalien zu herrschen.
So spannend die Wikinger als Piraten auch sind, gerade in Deutschland ist vor allem eine Gestalt für die Geschichte der Piraterie wichtig: Klaus Störtebecker.
Die Geschichte dieses Mannes ist verknüpft mit einer der wohl größten Handelsorganisationen der Weltgeschichte: Der Hanse. Dieser Kaufmannsbund, der wohl auf eine wirtschaftliche Partnerschaft der Städte Lübeck und Hamburg aus der Mitte des 13. Jahrhunderts zurückgeht, errichtete im Laufe der Zeit ein Handelsnetzwerk, das vom britischen London bis zum russischen Nowgorod reichte. Das ein solches Handelsnetz auf den Seeweg angewiesen ist, versteht sich genauso von alleine, wie die Tatsache, dass die Frachtschiffe Piraten anlockten. Diese waren zu Beginn kleine Adelige, die von den Gewinnen der Hanse profitieren wollten. Dazu mussten sie die erbeutete Fracht jedoch auch verkaufen können – und so manches Hansemitglied hatte keinerlei Skrupel hier den Käufer zu sein. Die Piraterie erwies sich daher als durchaus lukrativ und lockte so schnell auch andere Personen an, zumal die kleinen Adeligen ja eine Besatzung für ihre Schiffe brauchten. Zu dieser zählten arme Bauern, aber auch Kleriker, die das Leben in Klöstern satt hatten oder Bürgersöhne, die aus der Gunst des Vaters gefallen waren. Die Schiffe bildeten so schnell eine Gesellschaft von Gleichen unterschiedlicher Stände ab, was der mittelalterlichen Ordnung widersprach. Jedoch: Städte waren innerhalb des Mittelalters generell eigentlich Orte, in denen diese göttliche Ständeordnung durchbrochen werden konnte und wurde. So spiegelte die Piraterie im Kleinen die gleiche und freie Gesellschaft der Städte wider, deren Schiffe sie auf oftmals brutale Art und Weise überfiel.
Dennoch wurden Piraten von den Oberen der Hanse zunächst nicht als (großes) Problem gesehen, sondern gegen Ende des 14. Jahrhunderts vor allem als ein Machtinstrument, mit dessen Hilfe man eigene Interessen durchsetzen konnte. So gerieten die Piraten in Dänemarks Kampf um seine Vormachtstellung in Schweden zwischen die Fronten, den mit ihrer Hilfe probierte die Hanse die dänische Blockade um Stockholm zu durchbrechen. Dazu stellte sie Kaperbriefe aus, also eine Erlaubnis für Piraten Schiffe des Gegners zu überfallen. Das Positive für die Piraten war nun, dass sie auf Häfen zurückgreifen konnten und im Falle einer Festsetzung durch die Gegner Anspruch auf eine ehrenhafte Gefangennahme hatten. Die damalige dänische Königin Margarete sah durchaus, wie erfolgreich die Kaperer agierten und kopierte daraufhin die Methode des Karperbriefes, so dass von nun an Piraten auf beiden Seiten die Schiffe anderer überfielen und Blockaden durchbrachen.
Nach dem Fall Stockholms und dem Ende des Krieges beendeten die Piraten ihre Aktivität keineswegs, sondern machten ohne Kaperbrief mit ihren lukrativen Geschäft weiter. Wie ernst sie das nahmen, erkennt man unter anderem daran, dass sie sich ganz im Stil eines kirchlichen Ordens einen lateinischen Namen gaben: frates vitalienses, zu deutsch: Vitualienbrüder. Der Begriff Vitualien ist eine verkürzte Form von Viktualien, also Lebensmittel. Angedeutet wird damit, dass man die Piraterie betreibt, um seinen Hunger zu stillen, was aber natürlich nicht der Wahrheit entsprach. Es ging auch hier darum, seinen Profit zu steigern.
Dem Treiben dieser Brüdergemeinschaft musste die Hanse entgegentreten, was sie mit den Friedenskoggen, schwer bewaffneten Schiffen tat. Ein erster Feldzug führt nur zu einem minimalen Erfolg, der die Piraten in den östlichen Teil der Ostsee vertrieb. Dort wurden sie vom deutschen Orden nach einiger Zeit wieder vertrieben und landeten in der Nordsee, wo sie die Rivalitäten der Fürsten unter einander erneut nutzen konnten, um Karperbriefe zu bekommen – und weiter Hanseschiffe zu überfallen. Einer der Kommandanten, der von Helgoland aus operierte war Klaus Störtebecker, über den man recht wenig weiß, aber viel erdichtet hat.
Der Grund für diese Dichtung, die sich bald nach seinem Tod, wohl im Jahr 1400, etablierten, ist die mit ihm und anderen Figuren wie Godeke Michels oder Magister Wigbald einhergehende Idee einer freien und gleichen Gemeinschaft, deren Idee auch in der Idee eines Stadtrats zeigt. Dass darüber hinaus das freie und ruhmreiche Leben der Piraten einen manchen Bauernsohn oder jungen Kleriker zum Träumen brachte, liegt aufgrund der Zusammensetzung der Piratengesellschaft auf der Hand.
Die Vitalienbrüder hatten sich im Laufe der Zeit einen weiteren Namen gegeben: Likendeeler. Mit diesem Wort beschreiben sie die Tatsache, dass sie ihre Beute teilten. Das war auch schon in der Antike der Fall, man erinnere sich an den Ausspruch des Odysseus, doch dadurch, dass man dieses Merkmal nun in den Namen seiner Gruppe packte, bekam die Gleichheit eine besondere Stellung. Interessant dabei ist, dass auch bei der normalen Handelsschiffahrt diese Art der Beteiligung genutzt wurde. Das bedeutete, dass der Erlös einer Fahrt an alle beteiligten Seeleute ging. Dieses Vorgehen war in zahlreichen nautischen Kreisen bekannt und anerkannt. Auch als sich der Bewegungsrahmen der Seeleute auf die neue Welt erweiterte, war dieses Vorgehen weiterhin üblich.
Daraus ergab sich für die Organisation eines Schiffes eine egalitäre Struktur, die zwar Experten eine Sonderstellung zu sprach, die sich vor allem in Extremsituationen zeigte, die aber nicht generell auf die Befehlsgewalt auswirkte. Abgesehen von militärischen Seeexpeditionen kann so nicht unbedingt von einer Hierarchie an Bord die Rede die Rede sein.
Tatsächlich zeigen Studien, dass die Idee eines starken Mannes an der Spitze von zivillen Schiffen eine recht neue Erfindung ist, die sich erst bis ins 18. und frühe 19. Jahrhundert etablierte. In Großbritannien war diese Entwicklung bis ins 18. Jahrhundert abgeschlossen, Dieses führte auf den Schiffen der Handeslmarine zum Teil zu einem unsäglichen Vorgehen der Kapitäne und ihrer Offiziere gegenüber den Mannschaften. Meutereien waren in vielen Fällen an der Tagesordnung und Schätzungen gehen davon aus, dass etwa ein Drittel solcher Meutereien dazuführten, dass die Mannschaft das Schiff zu einem Piratenschiff machte. Ein deutliches Zeichen dafür war etwa, dass die Schiffsglocke aus der Nähe der Kapitänskajüte näher an die Mannschaftsräume gebracht wurde, wie es im Falle des Schiffs Whydah der Fall war.
Eine Mannschaft, die sich der Piraterie hingab, entschloss sich in diesem Moment auch, der strikten und brutalen Hierachie des Regelbetriebs zu entfliehen. Hierbei handelt es sich natürlich nicht nur um die Beschreibung einer Realität, sondern zu aller erst um die eines Ideals, dessen Umsetzung von Schiff zu Schiff anders ausgesehen haben muss. Dennoch ist dieses Ideal der freien und gleichgestellten Piratenmannschaft entscheidend für die Rezeption, anders als dies etwa bei den Piraten der Antike der Fall ist, trug sie doch trug sie doch zur Gestaltung des Bildes bei, das wir heute von der Piratengesellschaft haben.
Dazu gehört etwa die Idee des Round Robbin. Dabei handelt es sich um eine Verfassung, die sich die Piraten selber gaben. Der Clou daran war, dass dieser nicht wie ein normaler Vertrag designt war, sondern eine besondere Form aufwies. Der Text des Vertrages stand in der Mitte eines Dokuments. Darum wurden die Unterschriften der teilnehmenden Piraten im Kreis drapiert – und zwar so, dass es unmöglich war, herauszufinden, wer den Anfang gemacht hatte. Das ermöglichte zweierlei: Erstens war es im Fall der Gefangennahme der Crew nicht möglich herauszufinden, wer die Erstunterzeichner waren, von denen man annahm, dass sie auch diejenigen waren, die etwa eine Meuterei angefangen hatten, während später Unterschreibende nur Mitläufer seien. Zum zweiten drückte der Kreis auch formal die Gleichheit der Unterzeichner aus.
Ursprünglich erfunden hatten den Round Robbin südfranzösische Bauern, um zu verhindern, dass die Erstunterzeichner von Petitionen drangsaliert wurden. Diese Klientel war es auch, die sich oftmals in die Hafenstädten des Landes aufmachte, um von dort als Seeleute ihr Glück zu versuchen, wenn die Ernte nicht geglückt war. Das passierte oft genug, denn das Goldene Zeitalter der Piraterie, also jene Zeit, an die wir denken, wenn wir Piraten hören, fällt mitten in die kleine Eiszeit.
Überhaupt spielte die Klientel derjenigen, die sich in die neue Welt aufmachten eine wichtige Rolle dafür, dass die Karibik zu einem Hotspot für Piraten wurde. Wir alle kennen sicherlich die Gründungsgeschichte der 13 nordamerikanischen Kolonien. Darin ist die Rede von Religionsflüchtlingen, die hofften, in der Neuen Welt nach ihren Vorstellungen leben zu können. Neben den strengen Puritanern fanden sich auch andere radikale, egalitäre Kräfte bei diesen Gesinnungsflüchtlingen. Von ihrer Persönlichkeit her zog es viele dieser Menschen in das als viel freier geltende Milieu der Piraterie.
Diese beschriebene Subkultur ist freilich erst ein Phänomen, das im so genannten Goldenen Zeitalter der Piraten aufkommt. Bis dahin war es jedoch ein langer Weg. Am Ende des Mittelalters, also gute 200 Jahre vor diesem demokratischen Ideal der Piraterie, sah das noch ganz anders aus. Der Aufstieg Spaniens zur Weltmacht war nur möglich geworden durch die Entdeckung Amerikas und die daran anschließende Kolonialisierung der Neuen Welt. So wurde nicht nur das Mittelmeer zu einem der gefährlichsten Gewässer der Welt, auch die Karibik, die von Spanien als Einfallstor nach Amerika genutzt wurde, bekam einen gefährlichen Ruf.
Grund dafür waren jedoch nicht frei agierende Räuberbanden mit demokratischem Partizipationsprinzip, sondern von anderen europäischen ernannte Kaperer, deren Aufgabe darin bestand, die spanischen Schiffe zu entern und Beute zu machen. Diese nautische Guerillataktik nutzen, abgesehen von den Portugiesen, die sich mit den Spaniern auf andere Weise arrangiert hatten, alle europäischen Mächte. Den Anfang machte Frankreich. Bereits 1523, also nur vier Jahre nachdem Cortez in Mexiko gelandet war und ein paar Jahre vor Pizarros Eroberung des Inka-Reiches 1531, setzte Jean Fleury Kurs auf Madeira und machte dabei die Beute seines Lebens. Heute sind die Goldschiffe, die im Auftrag der spanischen Krone von Amerika nach Spanien segelten Teil der Allgemeinbildung, vor 500 Jahren jedoch, wusste man darüber nichts, denn die spanischen Offiziellen behielten dieses Wissen streng für sich. Doch waren die Mannschaften der Schiffe oftmals recht heterogen besetzt, was dazu führte, dass das ein oder andere Gerücht, oft als Seemannsgarn abgetan, schon ein paar Blicke hinter den Mantel des Schweigens eröffnete.
Fleurys zufälliger Raubzug aber machte den enormen Reichtum, der sich in der Neuen Welt auftat berühmt. Was war passiert? Fleury war, noch ohne französischen Karperbrief zwischen der Iberischen Halbinsel und Madeira unterwegs. Er handelte im Auftrag des Grafen von Dieppe gegen spanische Schiffe und war in der Regel auf spanische Handelsschiffe aus. Diese wurden so nah an der europäischen Küste in der Regel jedoch nur durch kleine Schiffe und Enterhaken angegangen. Fleury setze auf eine andere Technik und lies sich mit den spanischen Schiffen auf ein Gefacht ein, dass er gewann. Die Spanier ergaben sich, er kam an Bord und stieß auf den Schatz des Aztekenherrschers Montezumas, der eigentlich König Karl erreichen sollte. Stattdessen ging ein Teil davon an König Franz von Frankreich und eines der best gehüteten Geheimnisse Spaniens war in der Welt.
Nun gab es kein Halten mehr. Statt darauf zu warten, das spanische Schiffe nach Europa kamen, segelten die Kaperfahrer direkt in die Karibik, um die Goldschiffe so früh wie möglich zu überfallen. Neben weiteren französischen Piraten, nun alle mit Kaperbrief und einer, François le Clerc, sogar mit Holzbein ausgestattet, rief der Goldfund vor allem die englische Königin Elisabeth I. auf den Plan. Sie war für ihre Kaperbriefe berüchtigt, diese waren jedoch keineswegs von langer Hand geplant. Vielmehr gab es zwei Men on the Spot, zwei Macher vor Ort, der auf eigene Faust sein Glück probierte: John Hawkins und Francis Drake.
Hawkins sollte der erste Engländer sein, der sein Glück versuchte, allerdings noch gar nicht als Pirat, sondern als Händler. In Westafrika erbeutete er Sklaven, die er hoffte gewinnbringend in der Karibik absetzen zu können, auch wenn die spanische Regierung jeden Handel mit Nichtspaniern verbot. Sein Trick war simpel: Er erklärte den Behörden, dass sein Schiff vom Kurs abgekommen sei und er kaum noch Vorräte geschweige denn Bargeld an Bord hätte. Einzig die Sklaven wären da, von denen er gerne ein paar veräußern würde, um Vorräte kaufen zu können. Diesem Hanel war man, trotz aller Vorschriften nicht abgeneigt. Das hatte nicht mit Glück zu tun oder gar einem korrupten Vorsteher. Hawkins sollte das bald erfahren, denn er hatte zwar gehofft, ein paar Sklaven loswerden zu können, doch dass man ihm die Westafrikaner quasi aus der Hand riss und ihn mit Vorräten und Handelsgütern zuschmiß, damit hatte er nicht gerechnet. So segelte er heim, und kam ein Jahr später wieder. Auch dieses Mal hatte er mit seiner Taktik Glück, doch die dritte und letze Fahrt wurde zu einem Misserfolg, der ihn zwei Schiffe kostete. Sein Neffe Francis Drake nahm sich diese Schlappe aber zum Vorbild und sann auf Rache – und diese plante er gut.
Zunächst erkundete er zwei Jahre lang die Karibik, lernte dort die Wind- und Strömungsverhältnis kennen und erkannte, nach welchem System die Spanier ihre Konvois losschickten. Von seinem Onkel hatte er zudem erfahren, dass die spanische Herrschaft über die Karibik im Prinzip eine Luftnummer war. Zwar gab es einige wichtige Stützpunkt spanischer Macht, doch wer sich das Gebiet genau ansah, konnte schnell erkennen, dass es viel mehr Inseln gab, in denen die Spanier nicht herrschten. Und auch dort, wo das der Fall war, waren nicht alle Untertanen mit der recht repressiven Politik der spanischen Krone einverstanden und halfen nahezu jedem, der ihnen zu sagte, ihr Leben zu verbessern. Hinzu kamen entlaufene Sklaven, die sich im Dschungel aufhielten und dort eine verschworene Gemeinschaft bildeten sowie amerikanische Indigene, die so viel Hass für die Spanier aufbrachten, dass sie nahezu jedem halfen, der diesen schaden wollte. Kurz: Wer spanische Schiffe überfallen wollte, konnte nicht nur mit unzähligen Verstecken auf einsamen Inseln rechnen, sondern auch mit der Hilfe zahlreicher Unterstützer. Drake nutze das engagiert aus und wurde so zu einem der wichtigsten Piraten im Auftrag ihrer Majestät. Diese erkannte recht schnell das Potential des Mannes und machte ihn durch einen Kaperbrief zu einem Staatsbediensteten.
Für die Rezeption der Piraten ist in diesem Zusammenhang noch eine Episode wichtig. Drake war nicht nur der zweite Weltumsegler, er war auch ein Pirat, der sich nicht scheute, Festland zu betreten. Dies tat er in Panama. An der dortigen Südseite landeten die Goldschiffe aus Südamerika an und wurden dann mit Maultieren nach Porto Bello am Atlantik gebracht. Zwei Mal probierte Drake einen Überfall, beim zweiten Mal gelang es ihm. Dabei erbeutete er so viel Gold, dass er nicht alles mitnehmen konnte und es so notgedrungen vergrub. Er und seine Männer flohen vor den spanischen Offiziellen mehr schlecht als recht und am Ende waren nur noch 30 von knapp 80 Leuten am Leben oder nicht in Gefangenschaft geraten. Einer davon, und hier sollten Piratenliebhaber stutzig werden und sich an Stevensons Schatzinsel erinnern, war der Smutje von Drakes Schiff: John Oxenham. Dieser wusste um das vergrabene Gold und wollte es sich holen, also kehrte er zurück, fand aber nichts mehr, da die gefangenen Kameraden ihr Wissen an die Spanier weitergegeben haben. Oxenham ist klar ein Vorbild für Stevensons Long John Silver, wenn auch aus einer anderen Epoche. Doch mit ihm haben wir einen Koch, der John heißt und den Schatz seines ehemaligen Kapitäns sucht.
Das Vorgehen der europäischen Mächte gegen ein spanisches Weltreich, das immer weniger in der Lage war, seine Stellung zu halten, führte auf dieser Seite zu großen Veränderungen. Spanien zog sich letztendlich aus zahlreichen Gebieten zurück. Wollte sich das Reich gegen die Eindringlinge tatkräftig zur Wehr setzen, konnte man nicht stichprobenartig einzelne Schiffe vertreiben, sondern hätte kostspielige Garnisonen gründen müssen. Das war aber nicht möglich und so wurden zahlreiche Gebiete aufgegeben und im Zuge dessen wohnten auch immer weniger Menschen dort. Vor allem der Westen von Santa Domingo war für Spanien Anfang des 17. Jahrhunderts zu einem Problem geworden, dem man sich durch Aufgeben entziehen wollte. Die Situation macht Alexander Exquemelin am Beispiel Tortugas, einer Insel nahe Santa Domingo deutlich:
„Die Spanier waren nicht fähig, das Treiben der Franzosen vorteilhaft zu sehen und schickten einige Schiffe aus um Tortuga zu erobern. Das taten sie sehr erfolgreich, denn die Franzosen, die sie kommen sahen, flohen mit all ihrer Habe in den Wald. Die Spanier beschlossen die geflohenen Franzosen auszuhungern, wie sie es auch mit den Indianern getan hatten. Aber sie hatten damit wenig Erfolg, denn die Franzosen waren gut vorbereitet mit Schießpulver, Kugeln und guten Gewehren. Als die Spanier sich danach wieder zurückgezogen hatten, kamen die Franzosen zurück. Sie vertrieben alle übrig gebliebenen Spanier und blieben Herren der Insel.“
Die beschriebene Situation zeigt, dass die Spanier zwar immer noch probierten, ihre Macht zu verteidigen, sie dabei aber erfolglos gegen andere, hier eben die Franzosen, vorgingen.
Gleichzeitig wurden die Gebiete aber auch von all denjenigen Menschen aufgesucht, die Hawkins und Drake schon für ihre Fahrten nutzen konnte: Menschen der unteren Schichten und Stände, die ohne Ziel im Elend lebten, so elend, dass sie auf indianische Techniken der Fleischzubereitung zurückgriffen. Sie jagten verwildertes Vieh, schlachteten es und räucherten es und verkauften das so konservierte Fleisch als Bordproviant an vorbei kommende Schiffe. Das Verfahren hieß bucan und die Europäer, die mit ihm ihren Lebensunterhalt verdienten bekamen den Namen Bukaniere. Sie sollten nicht dabei bleiben, Fleisch zu veräußern.
Die obige Episode zu Tortuga habe ich dabei nicht zufällig ausgesucht, denn Tortuga wurde zur Schaltstelle der Bukaniere, die schnell merkten, dass es wesentlich lukrativer war, das Gewerbe ihrer Kunden, bei denen es sich um Seeräuber handelte, zu imitieren. Als Ausgestoßene aus aller Herren Länder, fanden sie überall etwas besseres als den Tod und überfielen mit kleinen Booten große Schiffe. Die Spanier sahen durch dieses See- und Küstenräuber nicht nur ihre Macht, sondern auch ihre wirtschaftliche Grundlage schwinden. Als sie beschlossen, die Tiere, die von den Bukanieren weiterhin als Lebensgrundlage genutzt werden, auszurotten, um auch dieser Gruppe habhaft zu werden, schossen sie sich selbst ins Knie. Denn zum einen sorgten sie dafür, dass die Bukaniere nun noch mehr zur Piraterie neigten und zu allem Überfluss vor allem spanische Schiffe überfielen, während sie vorher auch andere geentert hatten. Zur Festigung ihrer eigenen Position organisierten sich die Bukaniere noch besser und griffen, unbewusst oder bewusst bleibt die Frage, auf die Idee der Bruderschaft zurück, die auch schon in der Ostsee der Hanse etabliert worden war. Als Brüder der Küste gaben sie sich ein Regelwerk, das ihr Leben an Bord uns in den Häfen regeln sollte.
Der Aufstieg der Bukaniere ging einher mit einer Intensivierung der spanisch-französischen Feindschaft in Europa und auch in Übersee, so dass die Franzosen zahlreiche der kleinen Inseln für sich reklamierten und sie in ihr eigenes Herrschaftssystem eingliederten. So gab es plötzlich zahlreiche kleine Inselgouverneure, die den Bukanieren gerne ein Heim und vor allem einen Marktplatz boten, wenn diese in ihrem Auftrag, ausgestattet mit einem Kaperbrief, spanische Schiffe überfielen. Sie selber wurden dadurch auch reich und so profitierten viele Akteure an der Außenseite von den Feindschaften Europas. Dazu gehörte auch einer der wohl bekanntesten Seeräuber, nämlich Henry Morgan, der sich nicht nur mit dem Entern von Schiffen begnügte, sondern 1671 Panama eroberte. Ein Jahr später kam es zu einer Verständigung zwischen England und Spanien, was zu seiner Gefangennahme und Deportierung führte. Sonderlich ernst nahm man in England diese Verständigung nicht. Morgan kehrte als Sir und Vizegouverneur von Jamaika in die Karibik zurück, nutze seine Ämter für lukrative Korruption und starb als körperliches, dem Alkohol verfallendes Wrack 1687.
Ein letztes Erbe der Bukaniere soll hier erwähnt werden: Die Stadt Nassau auf der Insel New Providence in den Bahamas. Ursprünglich von englischen Siedlern gegründet, wurde sie mehr und mehr zu einem Piratennest, das immer wieder von spanischen und später spanisch-französischen Schiffen angegriffen und zerstört wurde, aber auch immer wieder von den Piraten aufgebaut wurde. In Nassau machten die Piraten ihren eigenen Staat auf und ernannten legendäre Piraten wie Edward Teach alias Blackbeard zu ihren Offiziellen.
Da es nichts nütze, die Stadt anzugreifen und zu zerstören ging die englsiche Regierung anders vor, setzte 1717 drei Schiffe in den Hafen und hatte durch Drohung und Argument recht fix einen Gouverneur an die Spitze der Stadt gesetzt, der sich gegen die Piraten durchsetzen konnte. Dieser Mann war selbst ein ehemalige Pirat mit Namen Woods Rogers. Er griff auf eine Taktik zurück, die wir schon von Pompeius kennen: Wer sich unterwirft erhielt Land und durfte seine Beute behalten.
Kurzfristig führte das durchaus zu Erfolg, doch Nassau wurde nach Rogers Rückkehr erneut ein Piratennest, das er erst gegen Ende der 1720er Jahre durch einen gewiften Migrations- und Wirtschaftsplan lösen konnte. Die Früchte seiner Arbeit sah Rogers indes nicht mehr. Er starb durch eine schwere Krankheit 1732 in Nassau.
Mit dem spanischen Erbfolgekrieg und dessen Ende wiederholte sich erneut, was schon Jahrhunderte davor in der Ostsee passiert war: Kaperfahrten waren plötzlich nicht mehr möglich und zahlreiche Piraten wurden nun auch in den zuvor freundlichen Häfen nicht mehr gern gesehen.
Und wie auch in der Ostsee verteilten sich die Piraten nun, allerdings auf den gesamten Weltmeeren, wie etwa Captain Avery, der im Indischen Ozean ein Schiff mit muslimischen Pilgern kaperte, dabei das Glück hatte, an Bord die Enkelin des Großmoguls vorzufinden und ein Lösegeld zu bekommen, dass jedem seiner Leute einen Anteil von unfassbaren 1000 Pfund einbrachte. Avery wurde zum Vorbild für staatenlose, individuelle Piraten, die das Goldene Zeitalter der Piraterie einläuten sollten. Hier kam den Bukanieren und ihren Nachfolgern nun die Organisation zugute, die sie sich zurecht gelegt hatten und von der ich weiter oben schon gesprochen hatte. Das Selbstverständnis der Piraten macht wohl nichts so deutlich wie die Rede Sam Bellamys, dem Kapitän der Whydah Galley, jenem Schiff in dessen Wrack man die Schiffsglocke, wie oben erwähnt, verlegt hatte. Bei einem seiner Überfälle im Jahr 1716 soll der dem Kapitän des geenterten Schiffs das folgende entgegen geschmissen haben:
„Verdammt, Ihr seid ein schniefeliger Hundsbalg, und genauso, alle, neben von Gesetzen regiert zu werden, die reiche Leute zu Ihrer eigenen Sicherheit gemacht haben, weil diesen feigen Hühnerseelen die Courage fehlt, auf andere Weise das zu verteidigen, sie durch ihre Schurkerei in zusammengerafft haben. Fluch und Blut über dieses ganze Pack gerissener Schufte! Und über Euch, wir Ihr denen als ein Posten Hühner herziger Trottel gerade recht dient! Das ist der einzige Unterschied zwischen mir und Ihnen: Wie berauben die armen unter dem Deckmantel des Gesetzes. Und wir plündern die Reichen unter dem Schutz allein unserer Courage! Wäre es nicht tausend mal besser für euch, bei uns mitzumachen, anstatt hinter den Ärschen dieser Schufte hier zu schnüffeln? Nein? Ich bin ein freier Fürst und habe Macht, der ganzen Welt den Krieg zu erklären wie nur einer, der tausend Schiffe und 100.000 Mann im Feld hat. Mein einfachster Menschenverstand sagt mir das.“
Damit sollte klar sein, warum die ersten Jahre des 18. Jahrhunderts als goldenes Zeitalter gelten. Es war nicht mehr nur die Dreistigkeit eine Francis Drake oder die Chuzpe eines Henry Morgan, die mit den Piraten in Verbidnung gebracht wurde. An den Pforten zum Zeitalter der Aufklärung fanden Philosophen in den Taten dieser Männer Beispiele für die Demokratisierung und Individualisierung von Gesellschaft. Die organisierte Anarchie, die libertäre Gemeinschaft der Piraten wurde hoch geschrieben. Es ist kein Wunder, dass Daniel Defoe, einen Piraten, nämlich Alexander Selkirk, zum Vorbild nahm für seinen Robinson Crusoe, der auf sich allein gestellt, eine einsame Insel kultiviert.
Und es kann auch nicht verwundern, wenn wir bis heute eben dies Figuren mit Dreispitz vor Augen haben, die als Kosaren, Freibeuter und Bukaniere unser Bild von den Piraten prägen, denn nach dieser Zeit verkümmerte das Piratentum. Mit den USA war ein neuer Spieler aufgetaucht, der sich dem Problem dauerhaft annahm und dabei äußerst erfolgreich vorging. Binnen der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts waren die letzten Reste der karibischen Piraten vertrieben, gefangen gesetzt oder getötet worden.
Waren die Piraten des 18. Jahrhunderts die „Rockstars ihrer Zeit“ (Johnny Depp), so war für deren anarchistisch-demokratische Lebensweise im Zeitalter des Nationalstaats kein Platz mehr. Piraten gab es zwar weiterhin, doch fielen ihre Taten kaum noch ins Gewicht. Sie galten als Banditen und selbst jene, die wie Robert Louis Stevenson im 19. Jahrhundert zur Piratenromantik beitrugen, griffen dabei auf ein Setting zurück, das im 18. Jahrhundert angesiedelt war. Die Piraten des 19. Jahrhunderts blieben im Zeitalter der Moderne ein Anachronismus, den man nicht beachtete.
Das bedeutete aber nicht, dass es keine Piraten mehr gab. Auch in anderen Gewässern der Welt trieben sich diese Gestalten herum. Neben dem Mittelmeer, der Ostsee und der Karibik gehört der Indische Ozean zu den Handelsmeeren der Welt. Von der europäischen Welt nahezu unbemerkt tauschten, kauften und verkauften Ostafrikaner, Chinesen, Japaner und Inder Produkte, die zu teilweise skurrilen archäologischen Funden führten. So fand ein australischer Offizier während des Zweiten Weltkriegs 600 Jahre alte Münzen aus der Stadt Kilwa im heutigen Tansania und in den Ruinen von Großzimbabwe, einer monumentalen Felsenstadt im heutigen südafrikanischen Staat, fanden sich Reste chinesischen Porzellans.
Es wäre vermessen, nicht auch in dieser Region Piraterie zu vermuten. Verglichen mit den Zahlen aus der Karibik, wo es allerhöchsten 5000 Piraten, wenn auch nie zur gleichen Zeit gab, nehmen sich die Zahlen aus China ganz anders. Ein Piratenchef dort konnte über hunderte von Schiffen herrschen und war dennoch nur ein relatives kleines Licht.
Grund für die übertriebene Piraterie im Indischen Ozean waren wie so oft politische Verwerfungen. Die Dynastie der Xing-Kaiser war in der Bevölkerung nicht besonders gut angesehen und galten, weil aus der Mandschurei kommend, nicht einmal als richtige Chinesen. So betrachteten es viele Chinesen als ihre Pflicht im Verlauf des 17. Jahrhunderts, den gesamten Regierungsapparat zu boykottieren – einschließlich Piraterie. Eine der erfolgreichsten Figuren dabei war eine Piratenführerin mit Namen Chiao Kuo-Fu-Jen, die keinen Hehl aus ihrer Verachtung für die neuen Kaiser machte, was sich etwa dadurch belegen lässt, dass sie ausschließlich Regierungsschiffe kaperte. Sie stammte wohl aus gutem Hause, worauf ihre kleinen Füße hindeuten, und befehligte bis zu 500 Schiffe. Das chinesische Kaiserhaus blieb indes nicht untätig und mobilisierte zahlreiche Kriegsschiffe, was dazu führte, dass die Dame Chiao sich erst an die koreanische Küste und dann wohl ins Privatleben zurückzog, denn irgendwann verschwand sie unbemerkt.
Ganz anders war das bei der Piratenfamilie Cheng. Der Gründer der Dynastie war Sohn eines Beamten gewesen, stieg in das Geschäft seines Onkels ein und wurde, als der Erfolg ausblieb, Pirat. Hier nun war er so erfolgreich, dass die chinesische Regierung ihn erst bekämpfte, ihn dann mit Titeln überhäufte und ihn so, benebelt von so viel Anerkennung, festnehmen und einsperren ließ. Das wiederum passte seinem Sohn gar nicht. Dieser als Koxinga in den europäischen Quellen auftauchende Mann, galt als friedlich und gewalttätig, so dass viele davon ausgehen, er habe unter einer psychiatrischen Krankheit gelitten. Dennoch war er äußerst erfolgreich und befehligte über 4000 Schiffe jeglicher Größe. Sein Beitrag zur Weltgeschichte zeichnet sich dadurch ab, dass er die Niederländer von der Insel Formosa vertrieb, diese in Taiwan umbenannte und sie modernisierte. Sein Sohn wiederum versöhnte sich mit den Xing-Kaisern und überließ ihnen die Insel, mit ein Grund, warum die Volksrepublik bis heute Ansprüche auf Taiwan stellt.
Waren die Piraten im 19. Jahrhundert auch aus der Vorstellungswelt der Europäer verschwunden, so waren sie im chinesischen Raum weiterhin aktiv. Die wohl bekannteste Figur ist die Witwe Ching. Ihr Mann war ein erfolgreicher Piratenkapitän, der 1807 von chinesischen Offiziellen zu Tode gefoltert wurde. Sein Frau übernahm daraufhin kurzer Hand das ruder und überzog das Reich der Mitte mit Plündereien sondergleichen. Die Dame saß über vier Jahrzehnte fest im Sattel einer Armee aus über 60.000 Mann. Die chinesische Regierung war dem gegenüber nahezu machtlos und versagte auf ganzer Linie. Erst die Drohung, man würde nicht davor zurückschrecken, die europäischen Mächte einzuschalten, was für China bedeutete, mit dem äußersten zu drohen, lenkte die Witwe ein und zog sich zurück, um ein erfolgreiches Unternehmen aufzuziehen, das sie bis zu ihrem Tod leitete.
Und heute? Wir leben in einer globalen Welt, die auf die Seefahrt angewiesen ist. Das merkt man gerade zurzeit, in der der Transport aus China nach Europa teurer wird und ein quer liegendes Schiff den Suezkanal blockiert. Piraten spielen natürlich auch in dieser Zeit eine Rolle. Vor allem um das Horn von Afrika herum tummeln sich ehemaliger somalische Fischer, die auf ihren Booten mit Kalischnikows bewaffnet große Containerschiffe überfallen. Seit 1984 wurden über 5000 Überfälle gemeldet. Im Jahr 2010 gab es alleine 445 Übergriffe, von denen etwas weniger als die Hälfte von Somaliern begangen wurden. Aber auch Westafrika ist nicht vor Piraten sicher, wenn auch in weit geringerer Zahl. 19 Angriffe gab es von nigerianischen Piraten. Eine Ladung Hilfsgüter, die von einem von mir unterstützten Hilfeverein für den Kongo bestimmt war, wurde so etwa vor ein paar Jahren auch überfallen, aber glücklicherweise nicht angetastet.
Von diesen Piraten hört man indes wenig. Auch ihnen geht der Nimbus der Piraten der Karibik ab und gemessen an diesen exzentrisch auftretenden Männern wirken die ausgemergelten Figuren vor der Küste fast Mitleid erregend.
Doch die Geschichte geht weiter – und Piraten werden auf die ein oder andere Weise dabei sein.