Zwischen Kirche und Friedhof: Die Geschichte der Verlobungsstraße in Wupperfeld

Wenn man durch die schachbrettartig angelegten Straßen von Wuppertal-Wupperfeld spaziert, fällt die Sternstraße kaum auf. Und doch verbirgt sich hinter diesem Namen eine bemerkenswerte Geschichte, die viel erzählt über städtische Planung, religiöse Lebenswelten und eine symbolisch aufgeladene Alltagskultur im 19. Jahrhundert.

Die Straße wurde im Volksmund lange Zeit „Verlobungsstraße“ genannt. Der Name ist keine sentimentale Erfindung der Nachwelt. In Zeitungen der 1840er Jahre taucht die Bezeichnung offiziell auf: Wahlbezirke wurden nach ihr benannt, Wahllokale lagen an ihr. Spätestens zum 1. Januar 1854 aber wurde sie umbenannt. Fortan hieß sie „Sternstraße“ – ein Name, der bis heute gilt. Warum dieser Wechsel stattfand, ist nicht dokumentiert, aber es gibt gute Gründe, ihn mit der beginnenden Industrialisierung und einer begleitenden Säkularisierung oder zumindest funktionalen Differenzierung zwischen religiösen und ökonomischen Sphären in Verbindung zu bringen. Die Zeit um 1850 war nicht nur von technologischem Wandel, sondern auch von sprachlicher und symbolischer Neuausrichtung geprägt. Was früher in einem kirchlich geprägten Gemeinderaum als Ort sozialer Übergänge – wie der Verlobung – gedacht wurde, konnte nun auch anders gelesen werden: als Adresse eines Lichterproduzenten, einer modernen Straße im Dienst von Produktion, Handel und städtischem Ausbau.

Im Jahr 1777 erhielt die junge lutherische Gemeinde von Wupperfeld die Genehmigung zum Bau einer eigenen Kirche. Die Gemeinde war neu, ehrgeizig und organisiert: In wenigen Jahren entstanden Kirche, Pastorat, Schule, Armenhaus und ein eigener Friedhof. Dieser lag direkt hinter der Kirche, getrennt durch eine geradlinig angelegte Straße, wie sie typisch ist für den rationalen Stadtgrundriss der späten Aufklärung.

Die Sternstraße endete im 19. Jahrhundert als Sackgasse unmittelbar vor der Seifen- und Lichterfabrik Rosbach. Diese Firma, hervorgegangen aus einer Ölhandlung, produzierte zunächst Tran und Lampenöl, dann Seife, Kerzen und technische Fette. Licht war hier nicht nur Produkt, sondern ein Markenzeichen. Es ist daher durchaus denkbar, dass die Sternstraße ihren neuen Namen in Anlehnung an diese Lichtproduktion erhielt – der Stern als Symbol des Lichts, nicht in weihnachtlicher, sondern in industriell-aufgeklärter Lesart.

Zugleich erinnert der frühere Name „Verlobungsstraße“ an eine soziale Funktion dieser Straße. Sie lag im Schatten der Kirche, vor dem Blick der Gemeinde geschützt, und führte zugleich am Friedhof vorbei, auf dem die Gräber zum Teil durch schwarz angemalte Holzkisten geschützt wurden.

Es ist gut denkbar, dass junge Menschen hier nach dem Gottesdienst spazieren gingen, miteinander ins Gespräch kamen, Pläne schmiedeten. Die Verlobung – als Vorform der Ehe – war ein öffentliches, religiös eingebettetes Ereignis. Ein Straßenname, der diesen Übergang markierte, passt in eine protestantische Gemeindekultur, die Lebensstationen sichtbar verankerte: Taufe, Konfirmation, Verlobung, Ehe, Tod – alle fanden rund um diesen Ort statt.

So steht die Geschichte dieser Straße für mehr als einen vergessenen Namen. Sie erzählt von der Aufbruchsstimmung einer lutherischen Gemeinde, von einer Stadtplanung, die Rationalität mit Gemeinsinn verband, und von einer Industrie, die mit dem Licht handelte – im wörtlichen wie im symbolischen Sinn.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert